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Bouncer 2 - Die Gnade der Henker
Bewertung:
(3.8)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 30.04.2010
Autor:Alexandro Jodorowsky (Autor) und François Boucq (Zeichner)
Übersetzer:Horst Berner
Typ:Western / Graphic Novel
VerlagEhapa Comic Collection
ISBN/ASIN:978-3-7704-2817-5
Inhalt:56 Seiten, Hardcover
Preis:12,00 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt (Achtung: Spoiler!):

Nach den turbulenten Ereignissen des ersten Bandes erfüllt Bouncer sein Versprechen und nimmt sich der Ausbildung von Seth, den Sohn von Blake, an, damit dieser Rache an Ralton van Dorman für den Tod seiner Eltern nehmen kann. Beide machen sich auf den Weg zu Crazy Butterfly, dem Lehrmeister von Bouncer, der früher selbst als Revolverheld unter dem Namen Silver Kane bekannt war, bis er nach einer Schießerei mit Wonder Kid von seinem eigenen Tun angewidert war und sich in die Einsamkeit der Berge zurückzog. Die Reise in das abgelegene Tal in den Bergen ist Angesichts des einbrechenden Winters mühsam und beschwerlich, doch noch schlimmer ist es für beide nach ihrer Ankunft festzustellen, das Crazy Butterfly von einem Bären attackiert worden ist und im Sterben liegt. Somit bleibt dem Bouncer nichts anderes übrig, als die Ausbildung seines Neffen in der Abgeschiedenheit der Berge selbst zu übernehmen.

 

Da die Suche nach dem Diamanten für Captain Ralton van Dorman und seine Männer erfolglos war, beschließen sie eine Postkutsche zu überfallen, die mit einer nicht unbeträchtlichen Ladung Gold unterwegs nach Barro City ist. Der Überfall gelingt und van Dormans Männer metzeln kaltblütig die Insassen der Postkutsche nieder – bis auf einen Fahrgast, eine junge Frau, zu der van Dorman scheinbar eine ganz besondere Beziehung hat und unterwegs nach Barro City ist, um dort ihre neue Stelle als Lehrerin an der örtlichen Schule anzutreten.

 

Als Deborah in Barro City angekommen ist, sorgt sie im Schulgebäude direkt für einen Skandal, da sie das Gitter, welches die „normalen“ Kinder von denen der örtlichen Prostituierten trennt umgehend entfernen lassen will. Sie ist fest entschlossen alle Kinder des Ortes gleich zu behandeln – egal welcher Herkunft sie sind. Die örtlichen Honoratioren sind entsetzt über ihre neue Lehrerin und es ist absehbar, welch schweren Stand sie mit ihrem progressiven Lehrmethoden in der Stadt haben soll.

 

Seth hat sich zwischenzeitlich als gelehriger Schüler des Bouncers erwiesen und aus dem Jungen ist ein junger Mann geworden. Gegen Ende des Winters kehren er und Bouncer zurück nach Barro City, da es für den angehenden „Mörder“ nichts mehr zu lernen gibt. Weiterhin begierig darauf, Rache an den Mördern seiner Eltern zu nehmen, scheint seine Zeit allerdings noch nicht gekommen zu sein, lediglich eine Schlägerei bei ihrer Ankunft im „Infierno Saloon“, bei der Seth den Bouncer gegen die van Bohlen – Brüder unterstützt, gibt einen kleinen Vorgeschmack auf das „neue“ Leben von Seth.

 

Da Ralton und seine Männer erst in einem Monat wieder in Barro City erwartet werden, drängt der Bouncer Seth dazu, in der Zwischenzeit die Schule zu besuchen, damit er die Zeit des Wartens sinnvoll nutzt. Nach anfänglichem Zögern macht sich Seth auf den Weg zur Schule und verliebt sich an seinem ersten Schultag direkt Hals über Kopf in Deborah. Doch die Sitten in Barro City sind rau und unbarmherzig und durch ihr Verhalten hat sich Deborah keine Freunde gemacht.

 

Der Bürgermeister selbst stiftet drei Männer dazu an, die neue Lehrerin einzuschüchtern, damit diese so schnell wie möglich wieder die Stadt verlässt und die alte Ordnung wieder Einzug in der Schule hält. Die angeheuerten Männer platzen mitten in den Unterricht und nur mit knapper Not kann Seth Deborah vor einer Vergewaltigung retten und die Männer erschießen – ein erster, aber entscheidender Test für seine neu erworbenen Kenntnisse. Es dürfte den Leser allerdings an dieser Stelle sicherlich nicht wundern, das sich die junge Lehrerin nach diesem Auftritt, bei dem Seth durch einen Schuss verletzt wird, sich diesem ebenfalls zugeneigt zeigt.

 

Als Seth nach zwei Wochen Bettruhe wieder langsam zur Besinnung kommt, teilt ihm der Bouncer mit, Ralton und seine Männer seien wieder in der Stadt, die sich zur Zeit auf dem ehemaligen Gehöft seiner Eltern niedergelassen hätten. Deborah selbst habe vor einigen Tagen die Stadt verlassen und von ihr habe man keine Spur. Seth macht sich umgehend auf den Weg, um endlich Ralten entgegen zu treten, doch sein Schock ist groß, als er auf dem Gehöft zunächst nicht auf Ralton, sondern auf Deborah trifft, die ihm mitteilt, ihr Vater und seine Männer seien wieder in der Stadt. Es stellt sich heraus, das niemand anderes als Ralton ihr Vater ist und Deborah absolut nichts über dessen dunkle Seiten und Machenschaften weiß, sondern ihn vielmehr für einen ehrenwerten und aufrichtigen Menschen hält.

 

Seth steht vor einer schwerwiegenden Entscheidung – tötet er Ralton, wird ihn Deborah hierfür hassen, doch ohne Rache an seinen Eltern möchte Seth auch nicht leben. Glücklicherweise hat der Bouncer eine Idee, wie man Ralton in eine Falle locken kann und die ganze Angelegenheit doch noch zu einem glücklichen Ende bringen kann.

 

Schreibstil & Artwork:

Alexandro Jodorowsky wurde 1929 als Sohn russischer Emigranten in Iquique (Chile) geboren. Auf eine unruhige Jugend folgte ein unstetes Leben, in der er sowohl die Literatur als auch das Medium Film für sich entdeckte und sich einen Namen als Filmschaffender von internationalem Rang mit Werken wie „El Topo", „La Montagne Sacrée" oder „Tusk" machte.

Dabei zeigte Jodorowsky durchaus Talent eigene Comics zu zeichnen, wie beispielsweise die Serie „Fabula Panicas“, die wöchentlich im mexikanischen Magazin „Heraldo Cultural“ erschien. Sein eigentliches Debüt im Bereich Comics machte Jodorowsky 1966 in Mexiko mit dem Szenario der futuristischen Saga „Anibal 5", die von Manuel Moro illustriert wurde. 1978 traf er Jean Giraud, besser bekannt als Moebius, mit dem er an einer Filmadaption des Romans „Dune" arbeitete. Für Moebius, schuf er mit „John Difool" auf Anhieb ein Meisterwerk der Science-Fiction- und Fantasy-Comic-Literatur. 1982 entwarf Jodorowsky für den Zeichner Arno das Szenario zu „Alef-Thau". Über die Jahre hinweg folgten zahllose weitere Szenarien für bekannte Zeichner, darunter beispielsweise „Das weiße Lama" (mit Bess), „Die Meta-Barone" (mit Juan Gimenez), „Lust und Glaube" (mit Moebius), „Mondgesicht" (mit François Boucq), „Die Saga von Alandor“ (mit Cadelo) sowie 1997 „Die Techno-Väter“ (mit Janjetov und Frédéric Beltran).

 

Mit „Wo ein Vogel am schönsten singt“ betätigte er sich zudem als Buchautor. 1996 gewann Jodorowsky auf dem Comic-Salon in Angoulème den begehrten „Alph’art“ für das beste Szenario für seine neue Comic-Serie „Juan Solo“. 1999 widmete man ihm dort eine Retrospektive über sein jahrelanges Schaffen als Filmemacher und Szenarist, als Romancier und Poet mystischer Dichtung.

Seit 2001 arbeitet er gemeinsam mit dem Zeichner François Boucq an der Western-Reihe „Bouncer“, wobei er sich auch hier zwischendurch Zeit nimmt, um beispielsweise in 2002 gemeinsam mit Jean-Claude Gal an der Reihe „Diosamante“ zu arbeiten.

 

Bereits in der Rezension des ersten Bandes habe ich Jodorowsky gescholten, er benutze Gewalt als alleiniges Stilmittel, was auch auf den zweiten Band dieser Reihe zutrifft, in dem er schonungslos Sex, Brutalität und die dunklen Abgründe der menschlichen Seele zeigt. Allerdings gelingt ihm dabei fast schon wieder ein kleines Kunststück, da er dabei nie wirklich geschmacklos oder pornographisch wird, sondern den Leser völlig in seinen Bann zu ziehen weiß, um ihn langsam mit der ungedämpften Wucht der Geschichte zu konfrontieren. Insofern ist dieser Comic nicht für Kinderhände bestimmt und dürfte auch nicht für zart besaitete Leser geeignet sein.

 

Weiterhin schwierig ist es für den Leser zwischen Gut und Böse in dieser Geschichte zu unterscheiden, da trotz einiger positiver Facetten, welche der Bouncer in diesem Band an den Tag legt, er sich mehr oder weniger selbst als „Mörder“ bezeichnet, der mit großem Stolz Seth ebenfalls diese „Ausbildung“ zuteil kommen lässt. Seth dürfte sich zwar – neben Deborah – als positiv ausgerichteter Charakter hervorheben, doch ist es fraglich, was er mit seinem neuen Leben anfangen möchte. Will er nur Rache oder träumt er insgeheim von einem Leben als Revolverheld? Diese Fragen lässt Jodorowsky gezielt offen und so darf man gespannt auf die weitere Entwicklung sein.

 

Nach dem recht furiosen Auftakt im ersten Band schafft es Jodorowsky allerdings nicht ganz die Erzählung um die doch recht denkwürdige Familiengeschichte der Brüder Blake, Bouncer und Ralton nebst ihrer bemerkenswerten Mutter und dem spektakulären Raub des Diamanten zu einem versöhnlichen Ende zu bringen. Die Liebesgeschichte zwischen Seth und der Lehrerin wirft zwar einen unter Umständen einen gewollten Lichtblick in das düstere und verkommene Barro City, doch dafür ist diese Liaison doch etwas zu einfach und vorhersehbar gearbeitet, wenn man sich die überaus komplizierte Familiengeschichte des ersten Bandes in Erinnerung ruft.

 

Ein weiterhin dominierendes Motiv Band sind wiederum Rache oder Habgier der Protagonisten, die von ihrem Aufbau eigentlich etwas mehr Konturen besitzen, die es Jodorowsky allerdings nicht immer gelingt überzeugend darzustellen. Der Bouncer scheint zwar etwas aufgeschlossener und zugänglicher zu werden, doch insgesamt bleiben die Charaktere oftmals holzschnittartig und klischeehaft in ihrer Darstellung, zumal die weiteren Beweggründe des „Schurken“ Ralton van Dorman fast gänzlich außen vor bleiben.

 

Der französische Comiczeichner François Boucq wurde am 28.11.1955 in Lille geboren. Seine ersten Zeichnungen, bei denen es sich um politische Karikaturen handelte, veröffentlichte er 1974 in dem politischen Wochenmagazin „Le Point“. Nach einigen Serien begann er 1983 regelmäßig für das zwischen 1978 – 1997 erschienene Comic-Magazin „À Suivre“ zu zeichnen. Aus diesen Werken entstanden später „Les Pionniers de l'Aventure Humaine“ („Die Pioniere des menschlichen Abenteuers“), „Point de Fuite pour les Braves” und „La Pédagogie du Trottoir“. Für „Die Pioniere des menschlichen Abenteuers“, auf Deutsch erschienen im Alpha Comic Verlag, gewann Boucq 1992 den Max-und-Moritz-Preis.

 

Zusammen mit Jérôme Charyn arbeitete er an „La Femme du magicien“ (dt.: „Die Frau des Magiers“) und „Bouche du Diable“ (dt.: „Teufelsmaul“), mit Alexandro Jodorowsky an „Face de Lune“ (dt.: „Mondgesicht“), welche sich inzwischen auch in Deutschland auf drei Bände erstreckt. 1998 gewann er den „Grand Prix de la Ville d'Angoulême“ des „Festival International de la Bande Dessinée d'Angoulême“. Seit 2001 arbeitet er abermals mit Jodorowsky als Szenarist an der Westernreihe „Bouncer“ zusammen. Seine jüngsten Veröffentlichungen sind die ersten beiden Bände der Serie „Janitor“, die er gemeinsam mit dem Szenaristen Yves Sente schuf.

 

Die visuelle Gestaltung von Boucq, äußert sich auch weiterhin in zum Teil großen Panels, welche sich über die gesamte Breite der Seite erstrecken und mit zum Teil sehr schön arrangierten Wechseln in der Perspektive aufwarten können, egal ob es sich um weite Landschaften oder die Darstellung des „Infierno Saloon“ handelt. Seine Figuren sind sehr realistisch in der Darstellung, was sich auch positiv in der überaus dynamischen Darstellung der Charaktere äußert. Zwar gibt es etliche Déjà-vu bei den Bewohnern von Barro City, wie man sie vielleicht schon in etlichen Western gesehen hat, doch Boucq schafft es, jedem einzelnen ein gehöriges Maß von Authentizität einzuhauchen und selbst vermeintliche „Nebendarsteller“ hervorzuheben. In Kombination mit der hervorragenden und stimmigen Kolorierung weiß auch dieser Band zeichnerisch absolut zu überzeugen.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung

Die Qualität des Hardcoverbandes ist vollkommen in Ordnung und so gibt es an dieser Stelle von mir eigentlich nichts zu kritisieren: Der Hochglanz-Einband sieht schön aus, das Papier (nebst der Fadenheftung) macht einen haltbaren Eindruck und das Druckbild ist ebenfalls klar und überzeugend. Bezüglich der Ausstattung werden dem Leser keine Extras geboten, was durchaus zu verschmerzen ist, doch wären einige Worte von Jodorowsky zu dem Szenario oder zusätzliche Skizzen von Boucq eine willkommene Ergänzung gewesen. Die angenehm zu lesende Übersetzung von Horst Berner sei an dieser Stelle ebenfalls erwähnt.

 

Fazit:

Die Zusammenarbeit des Enfant terrible Alexandro Jodorowsky mit François Boucq führt in der Reihe „Bouncer“ zu einem Western-Erlebnis der ganz besonderen Art und meines Erachtens auch zu einer ganz neuen Gattung dieses Genres im Bereich der Comics, dem bereits in der Rezension zum ersten Band von mir erwähntem „Kunst-Western“. Jodorowsky hat bereits mit seinen Filmen bewiesen, welches Potential hinter den vermeintlich einfachen „Western-Geschichten“ steckt und tobt sich mit seiner Geschichte um den Bouncer gnadenlos in seiner Western-Fabel-Welt aus. Kein Klischee wird ausgelassen, keine Grausamkeit kann bestialisch genug sein und die Liebe etwas ganz besonderes. In diesem zweiten Band nimmt er sich in seiner Brutalität etwas zurück und präsentiert uns eine etwas „ruhigere“ Seite, wobei die Ausbildung von Seth in dem abgelegenen Tal fast schon philosophische Kategorien erreicht, da es dem Bouncer um wesentlich mehr geht, als nur den banalen Einsatz des Revolvers zur Verteidigung zu lehren. Die grandios in Szene gesetzten Bilder von Boucq tun das übrige dazu und machen aus diesem Comic ein sehr unterhaltsames und manchmal auch verstörendes Leseerlebnis.