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Baker Street 1 - Sherlock Holmes fürchtet sich vor gar nichts
Bewertung:
(3.7)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 03.05.2010
Autor:Pierre Veys (Autor) und Nicolas Barral (Zeichner)
Übersetzer:Martin Surmann
Typ:Comic / Funny / Krimi
VerlagPiredda Verlag
ISBN/ASIN:978-3-941279-35-3
Inhalt:48 Seiten, Hardcover
Preis:13,00 EUR
Sprache:Deutsch

Sherlock Holmes dürfte sicherlich der berühmteste Detektiv der Welt sein, obwohl es sich bei ihm eigentlich nur um eine literarische Figur handelt, die vom Arzt und Schriftsteller Arthur Conan Doyle ins Leben gerufen wurde. Zwischen 1887 und 1927 verfasste Arthur Conan Doyle insgesamt 56 Kurzgeschichten und vier Romane mit seinen Protagonisten Sherlock Holmes und seinem Freund Dr. Watson, die auch nach dem Tod des Autors weiterleben sollten, da Theater, Kino und Radio den Detektiv zum Helden von Bühnenstücken, Filmen und Hörspielen machten. Und so dürfte es sicherlich nicht wundern, wenn sich zwei Franzosen nunmehr anschicken, Sherlock Holmes in neue Abenteuer zu stürzen.

 

Inhalt

Die erste Episode führt Sherlock Holmes und Dr. Watson in den vornehmen „Noris Club“. Dorthin wurden die beiden auf Bitte von Sir Jameson, dem Leiter dieses illustren Etablissements eingeladen. Sir Jameson stellt den beiden Lord Beverage und Constable Wilkinson vor und bei einer gemeinsamen Tasse Tee schildert Lord Beverage seinen mysteriösen

„Zwischenfall auf der Themse“

. Holmes läuft angesichts der Erzählung des Lords zur vollen Größe auf und lässt sich alle nur erdenkliche Londoner Zeitungen bringen. Ein großer Auftritt des Detektivs mit einer grandiosen Lösung, die allerdings von jäh vom Erscheinen von Lady Beverage unterbrochen wird und die gnadenlos geniale Lösung unseres Sherlock Holmes - sehr zum Vergnügen von Dr. Watson - plötzlich ziemlich lächerlich aussehen läßt.

 

In der zweiten Episode bittet Lestrate um die Hilfe von Sherlock Holmes und Dr. Watson, da der berühmte Nationalheld Colonel Norton, der sich bei der Niederschlagung der indischen Revolte von 1857 einen Namen gemacht hat, tot aufgefunden wurde. Gemeinsam suchen sie das Haus von Norton auf, der erst kürzlich von seiner Frau verlassen wurde.

Khaloud, sein indischer Diener, Somerset, sein etwas zurückgebliebener Sohn und Lawrence Glocksney, der Hauslehrer sind zur Zeit die einzigen Bewohner des Londoner Anwesens von Colonel Norton und Holmes braucht trotz dieser möglichen Verdächtigen nicht lange für die Lösung des Falles:

„Ophiophobie“

– Angst vor Schlangen, welche den Colonel den letztlich das Leben gekostet hat. Auch wenn der große Detektiv wieder einmal richtig liegen sollte und alle Hinweise in einen logischen Zusammenhang bringt, so zeigt sich doch erneut wieder einmal, wie sehr der große Meister danebenliegen kann – erneut zur Freude seines Freundes Dr. Watson.

 

Bei

„Tossing the caber“

genießen Holmes und Dr. Watson eigentlich ihren verdienten Urlaub in den schottischen Highlands – doch scheinen sie auch hier den Nachstellungen von Inspektor Lestrade nicht zu entgehen. Er braucht die Hilfe der beiden, da ein Anschlag während der jährlichen Highland Games auf die Königin geplant sei. Nach anfänglichen Zögern willigt man ein nach Edinburgh zu reisen und der Sache nachzugehen. Allerdings ist bei der Ankunft in Edinburgh das Festival schon in vollen Gange und während Watson wegen einer Verletzung ständig den heilenden Kräften des Whisky vertraut, scheint Holmes den Drahtzieher des Komplotts rasch ausfindig gemacht zu haben, der sich allerdings – über aus peinlich – als der Premierminister herausstellt. Und während man noch versucht die Wogen zu glätten, die das Eingreifen von Holmes verursacht hat, macht sich der überaus betrunkene Dr. Watson daran letztlich durch sein beherztes Eingreifen die Königin zu retten. Was aber nicht unbedingt die Freude der Schotten nach sich zieht...

 

 

Die Episode

„Das rote Pernambukoholz“

schließt unmittelbar an die Geschehnisse in Schottland an, wo sich Holmes und Dr. Watson immer noch in Edinburgh aufhalten. Hier lernen sie den Cousin von Inspektor Lestrade kennen, Marcus Lestrade. Dieser bittet den großen Detektiv um seine Hilfe in einem sehr mysteriösen Fall, wobei auf dem Landsitz von Hugh Mac Kinnon, einem Kaffee-Importeur, sämtliche roten Gegenstände, wie Kissen, Tischdecken, Teppichläufer und ähnliches bei einem Einbruch zerstört worden sind. Holmes macht sich sofort an die Ermittlungen und stößt in diesem Zusammenhang auf das Gemälde „Red Castle“, welches sich in der Royal Scottish Academie befindet und scheinbar vor einigen Tagen gestohlen werden sollte.

Einige wissenschaftliche Experimente genügen Holmes und er nötigt Dr. Watson zu einem eigenen nächtlichen Einbruch in die Royal Scottish Academie um dort etwas mit dem Gemälde „Red Castle“ zu probieren. Und wirklich – Holmes ist hinter das Geheimnis des missglückten Einbruchs gekommen und darüber hinaus hat er auch auf dem Gemälde eine Schatzkarte entdeckt, welche letztlich die Ursache für den Einbruch bei Hugh Mac Kinnon war. Und so führt die Spur die beiden zur Burg der Mac Barrals, die als „Red Castle“ dargestellt wurde, um dort nach dem Schatz zu suchen. Und hier treffen Sherlock Holmes und Dr. Watson zum ersten Mal in diesem Comic auf Professor Moriaty, der ebenfalls auf der Suche nach dem Schatz ist.

 

Wieder zurück in London bittet Lestrade um Hilfe, da man die Mumie des Chepseth aus dem Britischen Museum gestohlen hat und Professor Moriaty ein

„Lösegeld für eine Mumie“

in Höhe von 300.000 Pfund verlangt. Nach dem Debakel in Schottland ist Holmes nur allzu gerne bereit zu helfen. Angekommen im Britischen Museum braucht unser Detektiv auch nur wenige Fragen zu stellen und sich die Örtlichkeiten zu betrachten um hinter den gewieften Trick des Professors zu kommen. Doch wieder einmal entwickelt sich manches ganz anders, als es Sherlock Holmes recht wäre und Dr. Watson entdeckt seine ganze eigene Spur hinter der vermeintlich verschwundenen Mumie.

 

In einem kurzen

„Epilog“

berichtet ein Diener Professor Moriaty von dem fehlgeschlagenen Versuch mit der Mumie im Britischen Museum und es scheint, als würde sich der Professor nur zu gerne für diese erlittene Schmach an Sherlock Holmes rächen wollen.

 

Schreibstil & Artwork:

Der Autor Pierre Veys wurde 1959 im nordfranzösischen Cambrai geboren. Sein eigenes Schaffen sieht er beeinflusst von Schriftstellern wie Jack Vance, Michael G. Coney und Yves Dermèze. Bereits während seines Biologiestudiums wandte er sich vermehrt dem Schreiben von Gags, Kurzgeschichten und Szenarios zu. Dabei schrieb er zwei Jahre lang für die Truppe eines Theaterrestaurants, verfasste Sketche für französischen Comedian Jean-Marie Bigard, arbeitete für das Fernsehen (France 3) und realisierte Gags für die Magazine „Fluide Glacial" und „Spirou".

Veys traf 1997 auf den Zeichner Nicolas Barral, mit dem er auf humorvolle Art und Weise die Bearbeitung des Mythos Sherlock Holmes in Angriff nahm. Der erste Band der Reihe „Baker Street“ beinhaltet noch ausschließlich Kurzgeschichten, während der Meisterdetektive in den Folgebände umfangreichere Fälle zu lösen bekam.

 

Mit dem Zeichner Guilhem entstand ab 2001 die Serie „Space Mounties“. Für die Comic-Reihe „Boule et Bill“, die in Deutschland auch als „Schnieff und Schnuff“ bekannt ist und die 1959 in Zusammenarbeit von Maurice Rosy und dem belgischen Comiczeichners Jean Roba (1930 - 2006) entstand und seit 2003 von Robas ehemaligem Assistenten Laurent Verron weitergeführt wird, steuerte Veys einige Szenarios bei. Seine Harry-Potter-Parodie „Harry Cover“ mit den Zeichnungen von Baka erschien 2005 und noch im gleichen Jahr folgte die Blake & Mortimer Parodie „Die Abenteuer von Philip und Francis“, die ebenfalls zusammen mit Nicolas Barral entstanden war.

 

Für die 1963 für das Magazin „Pilote“ erfundene Comicfigur „Achille Tallon“ (auch bekannt unter dem deutschen Namen „Albert Enzian“) von Michel Regnier (alias Greg) verfasste Veys ab 2006 neue Szenarien, die er mit dem Zeichner Moski umsetzte. Im Jahr 2008 schrieb er das Szenario für den Comic „Ch'tis“ (mit Zeichnungen von Frédéric Coicault), der später erfolgreich als „Willkommen bei den Sch’tis“ verfilmt werden sollte. Im Jahr darauf folgten die Geschichten um den Abenteurer „Adamson“, gezeichnet im realistischen Stil von Carlos Puerta.

 

Es sind zwei entscheidende Dinge, die Veys in die fünf kurzen Episoden einfließen lässt: Er kennt die Holmes-Geschichten von Doyle (und deren Verfilmungen) und hat ein sicheres Gespür für das Timing von Kurzgeschichten. So entstehen in den kurzen Episoden glaubhafte Charaktere, egal ob es sich um Holmes, Watson oder Lestrade handelt, die so in Szene gesetzt werden, als stammten sie ursprünglich direkt aus einem Roman von Doyle. Allerdings werden sie dann so pointiert und humorvoll in Szene gesetzt, wie man es eigentlich von einem Comic nicht für möglich halten sollte. Seine Figuren sind ernsthaft im Auftreten und dem literarischen Vorbild verpflichtet, aber dennoch mit einem gewissen Funken von Anarchie versehen, der einen guten Funny und seine Situationskomik ausmacht.

Sicherlich ist es nicht leicht wirklich passende Szenarien zu entwerfen und so mutet manches vielleicht den gestandenen Holmes-Fan etwas seltsam an, doch erkennt man in den überspitzt dargestellten Charakterzügen die gewohnten Handlungsmechanismen und so lässt er den großen Sherlock Holmes munter deduzieren, wobei dieser mit oftmals tatkräftiger Hilfe (und eher praktischen Erwägungen) seines Freundes Dr. Watson unterstützt wird.

 

Nicolas Barral wurde 1966 in Paris geboren. Er studierte ein Jahr plastische Kunst in Angoulême unter der Führung von Robert Gigi. Bei einem Nachwuchswettbewerb der französischen Handelskette „fnac“ wurde sein Comiczeichentalent von Jean-Christophe Delpierre entdeckt, der ihn bei dem Magazin „Fluide Glacial" unterbrachte, wo ab 1993 die Geschichten um den chronisch suizidgefährdeten „Ernest Mafflu“ erschienen. Seine zeichnerischen Vorbilder sieht Barral unter anderem in Jean Giraud und Jacques Tardi (durch den er die 50er Jahre lieben lernte), aber auch in Christian Rossi und François Boucq.

 

Zusammen mit Christophe Gibelin kreierte Barral 1995 die Figur des Monsieur Plomb, der in der Fliegerserie „Les ailes de plomb“ die Hauptrolle spielt. Nebenher zeichnete Nicolas Barral aber auch gerne Cartoons, die seinen trockenen (fast britischen) Humor zeigten. Dieses kam der zusammen mit dem Szenaristen Pierre Veys kreierten Serie „Baker Street“ zugute, die 1997 in der Nummer 3107 des „Spirou"-Magazins mit der Kurzgeschichte „Zwischenfall auf der Themse“ debütierte. Im Oktober 1998 folgte schließlich das erste Album dieser Reihe um den berühmten Meisterdetektiv, das 1999 von der Société Sherlock Holmes de France mit dem „Groom“ ausgezeichnet wurde.

 

2005 erschien die Blake & Mortimer Parodie „Die Abenteuer von Philip und Francis“, wiederum nach einem Szenario von Pierre Veys. 2007 erschien der erste Band von „Dieu n'a pas réponse à tout“ (Szenario: Tonino Benacquista), aus dem auch eine Kurzgeschichte unter dem Titel „Der liebe Gott“ im ZACK Magazin erschien. Dort wurden auch einige Storys von „Napoleon Tran“ abgedruckt, wobei Barral hierbei als Szenarist in Erscheinung trat und die Zeichnungen von Olivier TaDuc stammen.

 

Das bekannte Erscheinungsbild von Sherlock Holmes – groß, hager und mit spitzen Gesichtszügen – hat Barral hervorragend in Szene gesetzt, wobei ihm entweder der Schauspieler Basil Rathbone oder Jeremy Brett als Vorlage dienten. Aber auch die sonstige zeitgenössische Szenerie weiß er überzeugend darzustellen und so könnte man fast meinen, neben den zahlreichen besseren Holmes-Verfilmungen seien einige Motive den Zeichnungen von Sidney Paget, die den Erstdruck der Geschichten im renommierten britischen Literaturmagazin „The Strand“ begleiteten, entnommen.

 

Die Reihe ist dem Bereich Funny zuzuordnen und so wird man sich nicht über dicke Nasen wundern (wie sie auch ewig dem Whisky verpflichtete Dr. Watson sein eigen nennt) und eine für dieses Genre fast charakteristische Darstellung der Figuren. Die kurzen Episoden sind durchdacht und wunderbar gezeichnet, so wie man Barral insgesamt eigentlich nur eine sicheren Strich und ein gutes Gespür für Mimik und Einstellungen zusprechen kann.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung

Die vom Piredda Verlag vorgelegte Qualität gibt keinen Anlass zur Klage – eine saubere Verarbeitung in einem haltbaren Hardcover-Einband, der auch nach mehrmaliger Lektüre immer noch einwandfrei aussieht. In Sachen Ausstattung gibt es ein wunderschönes kleines Extra in Form von großformatigen Skizzenblättern, die sich zwischen den einzelnen Episoden befinden – ein echter Augenschmaus, der sich auch als Poster gut machen würde. Die Übersetzung von Martin Surmann befleißigt sich des gewohnt britischen Untertons, wie man sie von besseren Holmes-Übersetzungen kennt. Einziger Kritikpunkt dürften das sehr klein und filigran geratene Schreibschrift-Font der Aufzeichnungen des Dr. Watson sein, die beim Entziffern doch einige Mühe machen – hier hätte ein etwas stärkerer Kontrast vielleicht Wunder gewirkt.

 

Fazit

Die Darstellung von Sherlock Holmes als Comicfigur ist nichts ungewöhnliches – das gab es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder einmal in höchst unterschiedlichen Ausprägungen. Die Entdeckung dieser literarischen Figur als Funny hingegen war für mich schon etwas neues, zumal ich wissen wollte, ob dem Duo Veys und Barral der Spagat gelungen ist, sowohl einen gewissen literarischen Anspruch zu erheben, als auch einfach nur den Leser zu amüsieren. Beides kann ich in den fünf vorliegenden, bedauerlicherweise sehr kurzen Episoden nur voll und ganz bestätigen.

 

Hartgesottene Fans der Figur des Sherlock Holmes werden zwar sicherlich ihren Kopf schütteln über die manchmal schrulligen und derben Ideen der einzelnen Episoden, aber Pierre Veys verliert nie gänzlich sein literarisches Vorbild aus den Augen und schafft es seinen Sherlock Holmes (als natürlich auch Dr. Watson) mit einer Reihe neuer und interessanter Fälle zu beschäftigen, die einfach nur Spaß und neugierig auf die Fortsetzung in den nächsten Bänden machen.