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War and Dreams
Bewertung:
(3.4)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 04.08.2010
Autor:Autor: Maryse Charles, Zeichner: Jean-François Charles
Übersetzer:Resel Rebiersch
Typ:Graphic Novel
Setting:Historisch / 2. Weltkrieg
VerlagSplitter Verlag
ISBN/ASIN:978-3-940864-01-7
Inhalt:192 Seiten, Hardcover mit SU
Preis:24,80 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt

In einem kleinen idyllischen Dorf an der nordfranzösischen Opalküste erinnern sich vier Männer an ihre Vergangenheit und an die Geschehnisse während des Zweiten Weltkrieges:

 

Da ist der Kunstmaler Erwin, der als deutscher Soldat während des Krieges in Frankreich stationiert wird und an den Bunkeranlagen des Atlantikwalls seinen Dienst verrichten muss. Das Schicksal nimmt seinen Lauf, als sich Erwin in eine Französin verliebt, welche regelmäßig am Strand Muscheln sucht und die er durch seine Malerei für sich gewinnen kann. Gemeinsam mit seiner Nichte Marian reist Erwin viele Jahre später entlang der Küste und ist auf der Suche nach seiner Geliebten und die Erfüllung eines Versprechens, dabei kehren die Erinnerungen an eine scheinbar längst vergessene Zeit wieder zurück.

 

Der britische Offizier Archie wurde während des Nordafrikafeldzuges verletzt und verlor ein Bein, doch dies bedeutete nicht das Ende seiner militärischen Karriere. Er wechselte zum Geheimdienst nach Kairo und war an der Planung die Bunkeranlagen an der nordfranzösischen Küste zu bombardieren, von der aus das etwa 160 km entfernte London aus fünfzig 140 m langen V3-Geschützrohren beschossen werden sollte, maßgeblich beteiligt. Viele Jahre nach Ende des Krieges kauft er sich ein Haus an der Opalküste und hängt den Erinnerungen seines wechselvollen Lebens nach.

 

Der Amerikaner Joe kämpfte als Bomberpilot im zweiten Weltkrieg und gehörte zu jener Staffel, welcher die Bombardierung der Bunkeranlagen in Mimoyecques an der Opalküste oblag, bei auch Hunderte von Zwangsarbeitern ihr Leben lassen mussten. Gemeinsam mit seinem Enkel hat es ihn, den einstmals berühmten Fliegerhelden, nach Europa verschlagen, wo er sich schmerzvoll mit seinen Verfehlungen der Vergangenheit auseinandersetzt.

 

Und dann ist da noch Julien, der Franzose, der für den französischen Widerstand gekämpft hat, zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich verpflichtet wird und nach seiner Flucht zurück in die Heimat seine geliebte Laura auf sehr tragische Art und Weise verloren hat.

 

So bilden die Lebensentwürfe dieser vier Männer rund um den Angriff auf die Bunkeranlage eine seltsam anmutende Geschichte inmitten des Krieges, die später aus Erinnerungen von dem von Leid und der Tragik geprägten Leben vermeintlich längst vergessener Tage erzählt.

 

Schreibstil & Artwork:

Jean-François Charles wurde am 19.10.1952 in Belgien geboren. Nach seinem Kunststudium begann er zunächst für einige Jahre unter dem Pseudonym „Bof“ Karikaturen für Magazine wie „La Libre Belgique” oder “ La Nouvelle Gazette” zu zeichnen, bis er es mit der Geschichte „Belles Histoires de l'Oncle Paul“ in das Magazin „Spirou“ schaffte, wo er dann auch seine erste längere Geschichte „Les Chevaliers du Pavé“ nach einem Szenario von Jean-Marie Brouyère and Thierry Martens (Terence) veröffentlichte. Nebenbei war er auch für den Verlag Averbode tätig, wo er sich als Illustrator einiger Jugendzeitschriften betätigte.

1978 traf er den Szenaristen Jan Bucquoy, mit dem er gemeinsam einige Geschichten für „Spatial“ schuf, wozu auch „Le Bal du Rat Mort“ gehörte. Diese Geschichte wurde von Michel Deligne 1980 als Album veröffentlicht und von den Kritiken hoch gelobt. Für Deligne entstand 1982 gemeinsam mit seiner Frau Maryse auch seine historische Reihe „Les Pionniers du Nouveau Monde” (deutsch bei Kult Editionen und Finix), die es auf bislang 17 Alben brachte. Seit Band 13 arbeitet Jean-François mit seiner Frau Maryse als Szenaristin und Texterin regelmäßig zusammen.

Von 1991 bis 1998 arbeitete er mit dem Szenaristen Jean Dufaux für den Verlag Glénat an der Reihe „Fox“. Auch als Maler hatte sich Jean-François Charles einen Namen gemacht, so das in 2001 ein Bildband seiner Gemälde erschien. Im gleichen Jahr illustrierte er den dritten Band „Le Décalogue“ (dt. „10 Gebote – Die Ikone in Tränen“) des Autors Frank Giroud. Gemeinsam mit seiner Frau Maryse, die auch unter Pseudonym „Ruellan“ einige Bekanntheit erlangt hat, arbeitete er an den jeweils Vier Bände umfassenden Reihen „India Dreams“ und „War and Dreams“, die beide auf Deutsch als Splitter Book vorliegen. Das Ehepaar Charles lebt heute in der Villa Sagamore in Belgien.

 

Beieindruckend sind die realistisch gehaltenen Illustrationen von Jean-François Charles, der diese scheinbar als Aquarelle mit Direktkolorierung gearbeitet hat und bei denen, bedingt durch den Verzicht auf Konturlinien, der fließende Übergang zum Gemälde entsteht und man fast meint einen „gemalten“ Comic in Händen zu halten. Die Figuren sind, bedingt durch die Technik von Charles, weich „gemalt“ und besitzen keinerlei harten Konturen, dennoch bestechen sie durch eine durchgehend ansprechende Mimik und Körpergestaltung. So wie Jean-François Charles ohnehin bei den wenigen erotischen Szenen sein ganzes Können bei der Darstellung der menschlichen Anatomie präsentiert, was allerdings in der Ausführung nie penetrant sondern eher distanziert wirkt.

 

Die fiktive Geschichte von vier Menschen, deren Leben auf sehr unterschiedliche Wiese vom 2. Weltkrieg geprägt wurde, entstand nach einer Reise an die nordfranzösische Opalküste, wo Maryse und Jean-François Charles für sich ein Haus gekauft haben. Angeregt durch die ehemaligen Bunkeranlagen an der Küste und durch die Erzählungen der eigenen Eltern recherchierten sie bei älteren Bewohnern der Umgebung, wie diese den Krieg an der Küste erlebt hatten. So entstand Stück für Stück eine Geschichte, welche die komplexe Vergangenheit des Landes widerspiegelt und sich mit vier recht unterschiedlichen Schicksalen verknüpft. Allerdings ist das kleine Format der SplitterBooks – ähnlich wie bereits bei „India Dreams“ – dem visuellen Erlebnis nicht immer zuträglich und so hätte ich nur allzu gerne einige Bilder in einem großformatigen Hardcoverband gesehen.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung

Die ursprünglich in vier Einzelbänden bei Castermann erschienene Reihe von „War and Dreams“ (Band 1: „La Terre entre les deux caps“, Band: 2 „Le Code Enigma“, Band 3 „Le Repaire du Mille-pattes“ und Band 4 „Des fantômes et des hommes“) sind beim Splitter Verlag in der Sammelband-Reihe „SplitterBook“ in der tadellosen Übersetzung aus dem französischen von Resel Rebiersch erschienen.

In Sachen Qualität und Verarbeitung steht diese kleine handliche Ausgabe (175 x 245 mm), den großformatigen Alben des Verlags in nichts nach – ganz im Gegenteil. Die Verarbeitung des Hardcover-Bandes (nebst Schutzumschlag) ist ordentlich und man erhält hier zu einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis eine gelungene Gesamtausgabe. In Sachen Ausstattung gibt es in diesem Band als Beilage eine sehr schöne, dem Stil der 40er Jahre nachempfundenen Zeitschrift mit Wendecover: Auf der einen Seite die Ausgabe der Propagandazeitschrift der Deutschen Wehrmacht „Signal“, auf der anderen die Seite die der amerikanische Ausgabe des „Live“-Magazins, wobei sich der Inhalt von insgesamt 12 Seiten zum Teil auch auf die Akteure der Geschichte bezieht.

 

Fazit

Nach der grandiosen Familiensaga „India Dreams“, die ebenfalls ursprünglich als vierbändiges Comicwerk angelegt war und als „SplitterBook“ erschien, freut es mich auch diesen Band von Maryse und Jean-François Charles in Händen zu halten. Zugegebenermaßen gibt es mittlerweile eine Fülle von Dokumentationen, Filmen und Büchern, die sich mit den Menschen beschäftigten, die hinter den Uniformen steckten, doch dieser Band beabsichtigt etwas anderes: Vor dem historischem Hintergrund des zweiten Weltkrieges eine Liebegeschichte zu erzählen und die Schicksale von vier Menschen, die vollkommen unterschiedliche Lebensentwürfe haben miteinander zu verbinden.

 

Leider geht dieses Konzept nicht ganz auf und manchmal – vielleicht auch aus deutscher Sicht – beschleicht einem beim lesen ein gewisses Unbehagen, auch wenn sich keine Geschichtsklitterung in die historisch korrekt dargestellten Geschehnisse einschleicht – da die Handlung der Akteure einfach etwas zu verklärt wirkt. Doch vielleicht ist es gerade diese subjektive Sichtweise der Personen, die auf ihre Vergangenheit zurück schauen und mit ihrem Handeln für Leid, Tod und Zerstörung, aber auch für Liebe, Hoffnung und Zuversicht in einem dunklen Kapitel der europäischen Geschichte gesorgt haben.

 

Egal wie man den Inhalt letztlich beurteilt, so dürften den Leser auf jeden Fall die Zeichnungen von Jean-François Charles überzeugen, ob es sich nun um den Opal-Strand, die nordafrikanische Wüste oder die russische Landschaft handelt. Er besitzt ein unerhört sicheres Gespür sowohl für die Darstellung der Natur als auch für die zahlreichen drastischen und dynamischen Darstellungen von Kampfhandlungen. Insofern entschädigt die Optik für die manchmal nicht immer überzeugende Geschichte, die dennoch einen recht großen Reiz besitzt, insbesondere, wenn man das vierte Kapitel liest und sich der Kreis der unterschiedlichen Geschichten schließt. Eine ruhige und unprätentiöse Geschichte, die den Leser mit den unterschiedlichen Handlungsebenen ihrer Akteure durchaus zu unterhalten weiß.