Links zur Rezension Inhalt:Luke ist mit seiner kleinen Tochter Tweety auf den endlosen Highways von Amerika unterwegs und versucht dabei die großen Städte zu umfahren. Welches Ziel die beiden vor Augen haben oder wo sie herkommen oder eigentlich hin wollen, mag sich dem Leser nicht erschließen. Luke scheint eine Welt zu sehen, die sich selbst zerstört, die traurige und kranke Menschen hinterlässt, die Einsamkeit und Anonymität wachsen lässt und in einer schmerzhaften Beliebigkeit versinkt.
Doch eines Tages ändert sich die eng vertraute Zweisamkeit von Luke und Tweety, als die beiden auf den Anhalter Bill stoßen, der in einer gottverlassenen Gegend im Rollstuhl sitzend am Straßenrand auf etwas oder jemanden zu warten scheint. Im Gegensatz zu Luke weiß Bill zwar wo er hin will, aber er kennt den Weg noch nicht. Er ist auf der Suche nach dem Mann, der ihm neue Beine geben kann, die er im Krieg beim Absturz eines Helikopters verloren hat. Im Gegensatz zu Luke braucht Bill nur die Zeichen richtig zu deuten, die ihn auf seiner weiteren Reise führen. Tweety findet großen Gefallen an den scheinbar seltsamen Erzählungen und Geschichten von Bill, die nicht immer in das Weltbild von Luke zu passen scheinen, doch das anfängliche Misstrauen von Luke schwindet und er und Tweety beschließen, Bill auf seiner seltsamen Reise zu begleiten, die eigentlich ähnlich seltsam ist, wie ihre bisherige, ziellose Fahrt durch das Land.
Sie gelangen auf ihrem weiteren Weg in den Süden Amerikas, der immer noch geprägt von Rassenhass ist. Dort hoffen sie weitere Zeichen zu finden. Und wirklich scheint es, als könne der „Sumpfmann“ ihnen weiterhelfen. Er gibt ihnen auf, im hohen Norden zu suchen, dort wo das Meer das Land berührt. Und so fahren sie zum Meer, wo sie in einem alten und leer stehenden Luxushotel auf einen Sprengmeister treffen, dem die Aufgabe zufällt, in Kürze das Hotel niederzulegen. Auch dieser Mensch – mit seinen höchst eigenen Ansichten – bestimmt die weitere Fahrt der Reisenden mit seinen Aussagen.
In dem alten Hotel beginnt nachts allerdings die bisher recht philosophische Suche der Reisenden neue Züge anzunehmen und die Grenzen von Wirklichkeit und Realität lösen sich in einem „Traum“ auf. Gemeinsam erleben die drei im gleichen Traum den Trip in eine surreale Welt, die letztlich mit dem Einsturz des alten Hotels endet.
Die Reise führt weiter hoch in den Norden , bis über die kanadische Grenze in Richtung Labrador, wo Bill endlich das Ziel seiner Suche trifft – den Schamanen. Doch den letzten Teil seines Weges muss er alleine, an Bord des seltsamen Schiffes des Schamanen, antreten, der ihn auf das Meer hinausfährt. Es ist ein psychedelischer Trip, den Bill hier erwartet und in dessen Verlauf er in der Tiefe und der Finsternis des Meeres Antworten auf seine Fragen erhält.
Und so endet die denkwürdige Reise von Luke und Tweety ohne Bill, der sich mit einem Flugzeug auf den weiteren Weg gemacht hat und sich über die Sonnenstrahlen freut, die seine Beine wachsen lassen.
Schreibstil & Artwork:Auch wenn es in den letzten Jahren etwas ruhiger um den 1946 in Nürnberg geborenen und in Hamburg lebende Künstler und Dozenten Matthias Schultheiss geworden ist, so zählt er doch nach wie vor zu den internationalen Stars der Comicszene und hat sich als Pionier des deutschen Comicromans einen Namen gemacht.
Nach einer Lehre als Möbelschreiner folgte von 1967 bis 1968 ein Studium an der Hochschule für bildenden Künste (HFBK) mit dem Schwerpunkt Illustration in Hamburg. Nach seinem Abschluss arbeitete er bis 1978 zunächst als freier Illustrator in den Bereichen Werbung, Cover- und Romanillustration. 1981 veröffentlichte er seine erste Graphic Novel „Trucker“ im Comic Reader der Edition Becker & Knigge, die rasch auf den talentierten Künstler aufmerksam machte.
Auch in Frankreich wurde man auf Schultheiss aufmerksam und so schaffte er dort 1985 seinen Durchbruch in dem renommierten, französischen Verlag Albin Michele mit dem Comic „Kalter Krieg“, in dem ein junger Hacker die Weltgeschichte durcheinander bringt, da er ein koreanisches Flugzeug in den Luftraum der Sowjetunion steuert. Die CIA bemerkt die Angelegenheit rechtzeitig, doch verhindert sie das sich abzeichnende Unglück nicht und so wird der Hacker Opfer der CIA. Der Band enthält drei weitere Kurzgeschichten und wurde nach seinem Erscheinen in Deutschland indiziert. 1986 folgte „Theorem de Bell“ und beim Verlag Glenat „Le Reve du Requin“. Überaus erfolgreich gestaltete sich auch seine graphische Umsetzung der Kurzgeschichten von Charles Bukowski, deren Ausgaben nicht nur europaweit, sondern auch in Amerika vertrieben wurden.
Überaus produktiv folgten rasch die jeweils beeindruckenden, dreibändigen Reihen „Die Wahrheit über Shelby“ (1986) und „Die Haie von Lagos“ (1986), die zunächst bei französischen Verlagen erschienen und erst anschließend für den deutschen Markt übersetzt wurden. Für seine kreative Leistung erhielt Schultheiss 1987 den Max-und-Moritz-Preis der Stadt Erlangen als bester deutschsprachiger Comic-Künstler. Aber auch auf anderen Gebieten zeigte sich der Zeichner recht umtriebig und so inszenierte und produzierte er 1989 das Theaterstück „Sharks Dream“ im Kampnageltheater in Hamburg. In den folgenden Jahren erschienen „Night Taxi“ (1990), „Talk Dirty“ (1991) und „Blutsbrüder“ (1992). Den renommierten, italienischen Comic-Preis „The Yellow Kid“ erhielt er 1990 in Lucca und 1992 sollte in Angouleme eine Ausstellung seines Gesamtwerkes folgen.
1993 wagte Schultheiss mit der Serie „Propellerman“, welche vom Verlag Dark Horse Comics produziert wurde, den großen Sprung auf den amerikanischen Markt. Doch nach nur acht Einzelheften wurde die Reihe abgesetzt, da sie vom amerikanischen Publikum nicht angenommen wurde. Eine weitere internationale Zusammenarbeit folgte, als der japanische Verlag Kodansha Anfang der 90er Jahre in Europa nach Comiczeichnern suchte, die Comics im Manga-Stil für den japanischen Markt zeichnen sollten. Neben Baru („Autoroute de Soleil“) zählte auch Matthias Schultheiss zu den ausgewählten Zeichnern und entwickelte ab 1994 die Comic-Reihe „Im Zentrum des Wahnsinns“. 1996 hatte er bereits über 400 Seiten fertiggestellt, als plötzlich alle noch laufenden Verträge und Projekte mit europäischen Zeichnern, ohne Angabe von Gründen, beendet und die auf 700 Seiten geplante Reihe nicht mehr fertiggestellt wurde.
Es waren wahrscheinlich nicht zuletzt diese beiden gescheiterten Projekte, die dem Engagement von Schultheiss im Bereich des Comics einen herben Dämpfer verpassten und so folgten in den nächsten Jahren lediglich Comicnovellen und Kinderbuchprojekte. So illustrierte er 2002 nach einem Text Detlev Wahls die Kindergeschichte „Die Pfütze“ für den Lappan Verlag.
In der Zwischenzeit arbeitete Schultheiss an der Entwicklung verschiedener TV-Serien mit und erhielt im Jahr 2005 die Auszeichnung des Art Directors Club für Deutschland (ADC) in der Kategorie „Firmendarstellungen und Jahresberichte".
Ende März 2008 meldete er sich allerdings in der Comic-Szene wieder zurück und veröffentlichte in dem japanischen Manga-Magazin „Mandala“ (welches zur Kodansha-Gruppe gehört) die 40-seitige Graphic Novel „Die Frau auf dem Fluss“, der 2009 „Daddy“ folgte. Damit dürfte Schultheiss zu den wenigen europäischen Zeichnern gehören, die sich in Japan etablieren konnten. Doch nicht nur das – bereits Ende 2007 unterschrieb er einen Exklusiv-Vertrag beim französischen Verlag Glenat und legte als erste von drei geplanten, umfangreicheren Graphic Novels den Band „Die Reise mit Bill“ vor, der in Deutschland vom Splitter Verlag herausgegeben wird.
Matthias Schultheiss lebt und arbeitet in Hamburg, wo er an der DFI (Design Factory International) Illustration, Storyboard und Figürliches Zeichnen unterrichtet.
Angelegt wie ein Roadmovie, spielt die Handlung von „Die Reise mit Bill“ auf den Landstraßen und Highways Amerikas und so wird die Reise, insbesondere für Luke und Bill, aber zum Teil auch für Tweety, zu einer Metapher für die Suche nach Freiheit und Identität. In seinen Bildern präsentiert Schultheiss hierzu atmosphärische Momentaufnahmen, bildgewaltige Landschaftspanoramen und poetische Reflexionen, die er zu einer anspruchsvollen Arbeit über einsame Menschen auf der Sinnsuche und ihre subjektiven Realitätserfahrungen verdichtet.
Oftmals erscheinen die Bilder von Schultheiss wie eilig dahingeworfene Skizzen, die nachlässig koloriert wurden. Was auf den ersten Blick allerdings aussieht, als habe ein schluderiger Zeichner schnell seine Ideen aufs Papier gekritzelt, entdeckt der Betrachter erst nach und nach als schlichte Schönheit: Der Strich ist gezielt und es wird nichts dem Zufall überlassen, ebenso wie die Wahl der Perspektiven und Einstellungen – schließlich ist es ja mehr oder weniger ein Road-Movie in Comic-Form – sind immer wieder sorgfältig ausgewählt und es macht als Leser Freude diesem steten Wechsel zu folgen. Die Kolorierung setzt hierbei weitere Akzente, insbesondere wenn man der Reise von Süden nach Norden folgend die einzelnen „Klimazonen“ dargestellt bekommt. Sind diese in der Hitze der Wüste noch hellgelb mit Stichen ins Rot, ändern sich diese über das dominante Grün der Südstaaten bis hin zu dem sehr erdverbundenen Farbspektrum in der Wildnis am Ende der Reise. Qualität, Ausstattung & Übersetzung:Die Graphic-Novel „Die Reise mit Bill“ ist beim Splitter Verlag als „Splitter Book" erschienen, wobei dieses in Sachen Qualität und Verarbeitung den großformatigen Alben des Verlags in nichts nachstehen. Hier bekommt man für sein Geld einen fast schon ziegelsteindicken Wälzer, bei dem das normale Albumformat wahrscheinlich nicht ausgereicht hätte und vielleicht dieser Geschichte mit großformatigen Bildern sogar abträglich gewesen wäre. So dürfte diese Veröffentlichungsform mit Sicherheit absolut passend sein. Die gute Fadenheftung sorgt bei diesem Schwergewicht für ungetrübtes Lesevergnügen, das Druckbild ist einwandfrei und wie bei Bänden dieser Reihe üblich, gibt es dazu noch den passenden Schutzumschlag.
In Sachen Ausstattung gibt es als Extra in diesem Band lediglich einen kurzen Lebenslauf von Matthias Schultheiss, der sich mit einer knappen Seite begnügt. Hier bekam man bei anderen Ausgaben der Splitter Books schon mehr geboten, was aber in diesem Fall durchaus zu verschmerzen ist.
Fazit:Es ist eine lange und sehr ruhige Geschichte, die uns Schultheiss in diesem Band präsentiert und die sich vielleicht auch nicht richtig entscheiden kann, ob sie eher die Stilrichtung eines Road-Movie oder einer modernen Selbstfindungsgeschichte einschlagen soll. Eine Schublade lässt sich auf jeden Fall nicht finden, doch das ist nicht schlimm, da mich persönlich diese seltsame Mischung sehr beeindruckt hat und ich mich freue, Schultheiss nach vielen Jahren in recht guter Form wieder auf Papier zu sehen. Dadurch, dass Schultheiss gänzlich auf Sprechblasen verzichtet und seine Bilder eigentlich nur als Illustration dienen, hat man fast das Gefühl, man lese ein Buch oder vielleicht das Skript zu einem Film. Hier dürfte der Begriff Graphic-Novel auf jeden Fall angebracht sein, da das erzählerische Talent von Schultheiss zweifelsohne hervorragend ist.
Insgesamt kann ich diesen Band nur empfehlen, da sowohl die Zeichnungen als auch der Text schlicht und ergreifend überzeugen und diese moderne Geschichte sich deutlich von den bisherigen Veröffentlichungen in der Reihe SplitterBooks abhebt.
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