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Manara Werkausgabe 4 - Candid Camera
Bewertung:
(3.4)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 08.09.2010
Autor:Milo Manara
Übersetzer:Michael Leimer
Typ:Manara – Werkausgabe
Setting:Spezial / Sonstiges
VerlagPanini Comics
ISBN/ASIN:978-3—86607-978-6
Inhalt:164 Seiten, Hardcover mit SU
Preis:24,95 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt

Ende der 70er und zu Beginn der 80er Jahre schuf Milo Manara sechs kurze Geschichten, die später unter dem Titel „Candid Camera“ erschienen und in denen Honey, die Heldin aus „Der Duft des Unsichtbaren“, die Hauptrolle spielt.

Die unterschiedlichen Geschichten basieren alle auf dem gleichen Konzept: Eine bunt zusammengewürfelte Crew unter Anleitung eines gewissenlosen Regisseurs versucht nach dem Prinzip der „Versteckten Kamera“ immer wieder neue und spektakuläre Aufnahmen zu machen, die bei Manara immer wieder im Bereich der erotischen Provokation enden.

 

In „Honey I“ dreht es sich darum, ob sich eine Frau für Geld auf der Straße für ein Kamerateam entblößt. Nach einigen Hindernissen entwickeln sich hier die Dinge anders als erwartet. Bei „Honey II“ versucht sich das Team an einem Remake von „Krieg der Welten“ und möchte eine halbnackte und dreibusige Frau in einer UFO-Attrappe am Kolosseum präsentieren – doch statt spektakulärer Aufnahmen endet diese Inszenierung in einem Verkehrschaos und in einer Horde aufgebrachter Bürger. Bei „Honey III“ muss das Team mit neuen Widrigkeiten kämpfen: Damit die nächste Produktion finanziell abgesichert werden kann, möchte der neue Produzent beim Geschlechtsverkehr mit seiner Frau gefilmt werden, damit er dann die Videos mit seinen gleichgesinnten Freunden tauschen kann. Da seine Frau bei so etwas nicht mitmacht, kommt das Team auf die Idee, die Ehefrau durch ein Double zu ersetzen, aber auch ein Double kann man verwechseln...

Die Episode „Honey IV“ handelt von einer Erzählung des Kameramannes, dem auf seinem Weg nach Hause etwas seltsames passiert ist und der im Rahmen seiner Nachforschungen auf die seltsamen Vorlieben eines Ehemannes stößt, der seine Frau gerne von seiner Mutter züchtigen lässt.

Die Thematik von „Honey V“ hingegen ist recht ernsthaft, da im Rahmen des Miss-Italien-Wettbewerbs aufgezeigt wird, wie die Illusionen einer jungen Teilnehmerin zerstört werden und diese nur einen einzigen Ausweg für sich sieht – den Tod. Die Geschichte von „Honey VI – Eine Hexe in Venedig“ beginnt mit einem heimlich belauschten Gespräch in einem Flugzeug, wo das Team mitbekommt, dass eine Frau, die früher eine Hexe war, von einem Priester „kontrolliert“ werden soll. Rasch besorgt das Team in Venedig die passende Ausstattung und präsentiert der Frau einen leibhaftigen Teufel in einem Kostüm, der diese dazu veranlasst eine „Wasserprobe“ in den Kanälen von Venedig zu machen. Allerdings hat niemand aus dem Team eine Ahnung, dass es sich bei der Frau wirklich um eine Hexe handelt.

 

In „Der letzte tragische Tag von Gori Bau und Callipigia“ dreht sich alles um drei Teenager, die in angetrunkenem Zustand anzügliche Abenteuer erleben und sich später mit einem Schlauchboot auf den Weg zu einem Schiff machen wollen, welches unweit des Strandes vorbeifährt. Doch der Teufel steht bereit, um die übermütigen Teenager für ihre fleischlichen Gelüste zu bestrafen.

 

„Sex oder Tabu“ ist ein Test in Comic-Form, in dem der Leser herausfinden kann, ob er Tabus oder sexuelle Hemmungen hat. Eingebettet ist dieser Test in die Geschichte einer Frau, die von einem UFO entführt wird, dessen Passagiere mehr über das Sexualleben der Menschen erfahren wollen.

 

Eine ganz besondere Kommode führt in der Episode „Marie Claire – Frauen“ eine junge Dame ins Reich der Phantasie und erinnert mit seiner Geschichte ein klein wenig an Peter Pan. In „Das Tagebuch der Sandra F.“ hingegen, geht es um eine Leserin, die sich an Manara wendet und ihm Seiten aus ihrem Tagebuch schickt, welche davon berichten, wie seine Geschichten ihr halfen sich von einer Depression zu befreien.

 

Die Geschichte „Reklame“ ist eine böse Abrechnung mit der Werbebranche und spielt vor dem Hintergrund der Fellini-Verfilmung von „Casanova“, der immer wieder jäh von Werbepausen unterbrochen wird und auch den Zuschauer nicht ungeschoren davon kommen lässt – weniger Erotik als mehr ein Augenzwinkern gegenüber der damaligen Medienwelt.

 

In „Acherontia Atropos“ nimmt sich Manara des Themas der Snuff-Movies an, die Anfang der 80er Jahre bekannt wurden und lädt zu einem interessanten Spiel ein, in dem aus dem Jäger der Gejagte wird. Wiederum etwas zeitgenössischer und auch erotischer ist die Episode „Piercing“, in der eine junge Frau – sehr zum Unverständnis ihrer Freundinnen – sich den Freuden des Piercing hingibt und am Schluss einen Rollstuhlfahrer sehr glücklich macht. Bei der Episode „Salomé“ dreht sich alles um den Kuss den Salomé von Iokanaan haben möchte, den dieser vehement ablehnt. Ihr Tanz und die Erfüllung ihres Wunsches bringen ihr Iokanaans Kopf – und die Gelegenheit zum Kuss!

 

Die Geschichte „Corto Maltese gewidmet“ bringt Rasputin an einen Strand, an dem sich unzählige Figuren versammelt haben, die allesamt aus der Feder von Hugo Pratt stammen. Darunter ist auch Crano. (Ich würd den vorherigen Satz allerdings ganz streichen, keine Ahnung was der aussagen soll...) Rasputin möchte, ebenso wie die anderen Figuren, in eine neue Geschichte und macht sich auf den Weg , damit er als erstes entdeckt wird.

 

Den Schluss des Bandes bildet ein umfangreiches Portfolio „Frauen und Autos“, dessen Bilder erstmalig in der Zeit zwischen 1992 bis 2003 in „Republic Auto“ veröffentlicht wurden, einer Beilage der italienischen Zeitung „La Republica“, und später im Sammelband „Frauen und Autos“ beim italienischen Verlag Edizioni Di erschienen.

 

Schreibstil & Artwork:

Milo (eigentlich: Maurilio) Manara wurde am 12.09.1945 in Lüsen, einem Ort nahe Bozen in Südtirol, geboren und gehört heute unumstritten zu den renommiertesten Comic-Künstlern weltweit.

Als Zeichner für Comics trat Manara erst in den späten 60er Jahren in Erscheinung. Mit regelmäßigen Zeichnungen für zwei in Italien sehr populäre, zum Teil pornografische Comicmagazine des Genre „fumetti neri“ (ital.; zu deutsch „schwarze Comics“) finanzierte er zwischen 1968 und 1971 sein Architekturstudium an der Universität in Venedig, wo er unter anderem aber auch Plakate für ein maoistisches Künstlerkollektiv mit dem Namen „Miraculo“ anfertigte. Sein Erstlingswerk „Genius“ aus dem Jahr 1969 ist der erste Schritt in eine außergewöhnliche Comic-Karriere. Zwischen 1971 und 1973 zeichnete er die billig produzierte, erotische Piratenstory „Jolanda de Almaviva“ und fertigte etliche Comicstrips für die italienischen Magazine „Telerompo“ und „Corriere dei Ragazzi“.

 

Der Durchbruch gelang Manara 1978 mit seiner Comicadaption des chinesischen Literaturklassikers „Der Affenkönig“, dem in der Zeit von 1978 bis 1987 die nach den Vorlagen von Hugo Pratt und Federico Fellini geschaffene Reihe um die Figur des Giuseppe Bergmann folgte. Sein besonderes Faible für Erotik (gemischt mit gediegenem Humor) führte Manara 1983 in der Reihe „Click!“ fort. Weitere internationale Erfolge stellten sich allerdings auch ein – so erschien beispielsweise „„Mann aus Papier“, „Der Schneemensch“, „Candid Camera“ oder aber Ende der 90er Jahre „Kamasutra“. Zu den Höhepunktes seines Schaffens im Bereich des anspruchsvollen, erotischen Comics dürften zweifelsohne „Außer Kontrolle“ („Il gioco“), von 1983 und „Der Duft des Unsichtbaren“ („Il profumo dell'invisibile“) gehören.

 

In den 80er Jahren begann Manara damit, verstärkt mit anderen großen Künstlern wie Hugo Pratt, Federico Fellini oder aber auch Luc Besson, zusammenzuarbeiten. Gemeinsam mit Pratt schuf er die beiden Bände „Ein indianischer Sommer“ und „El Gaucho“, mit Fellini entstanden „Die Reise nach Tulum“ und „Die Reise des G. Mastorna“ (beide Geschichten sind als Band 1 der Werkausgabe von Panini erschienen). Doch Manara zeigt sich auch in anderen Genres recht umtriebig – so schuf er mit dem französischen Regisseur Luc Besson zwei Werbespots für das Parfum-Marke „Chanel No. 5“, arbeitete an der Visualisierung verschiedenen Spots für Autofirmen mit oder schuf CD-Cover für diverse Interpreten. Derzeit arbeitet Milo Manara unter anderem gemeinsam mit dem Szenaristen Alexandro Jodorowsky an der historischen Comic-Reihe „Die Borgia“.

 

“Candid Camera“ präsentiert dem Leser nicht nur einen Einblick in die unglaubliche Bandbreite des Zeichners Manara, sondern zeigt auch deutlich, dass, hinter der oftmals plakativ zur Schau getragenen Erotik, Manara weitaus mehr in seinen Geschichten zu transportieren weiß. So ist es nicht zuletzt der hämische Spot in diesen Geschichten, der unserer Gesellschaft einen Spiegel vorhält, wie wir selbst immer süchtiger nach neuen und aufregenden Geschehnissen werden und dabei vor keinen Tabus halt machen. Insofern wirkt die präsentierte Erotik manchmal etwas grenzwertig, kippt aber niemals in den schmuddelig-pornographischen Bereich, da einiges der Phantasie des Lesers überlassen bleibt.

 

Der Zeichenstil der älteren Beiträge von Manara dürfte dem heutigen Betrachter in seiner Formgebung etwas antiquiert erscheinen. Dennoch besitzen seine Charaktere (insbesondere natürlich die weiblichen) einen durchaus realistischen Stil, der in gekonnt schwungvollem und präzisem Strich zu Papier gebracht wurde. Was Manara hierbei zugute kommen dürfte, ist sein ehemaliges Architekturstudium beim spanischen Bildhauer Miguel Ortíz Berrocal, bei dem er viel über die plastische Darstellung des menschlichen Körpers gelernt hat – was sich natürlich auch in seiner hervorragenden Darstellung der Anatomie seiner Figuren äußert.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung

Insgesamt 164 Seiten als gebundene Hardcoverausgabe mit Schutzumschlag zu einem überaus erschwinglichen Preis machen diesen vierten Band der Manara-Werkausgabe nicht nur inhaltlich zu einem Schmuckstück. Unter dem Schutzumschlag, den eine wunderschöne, zu den Comics passende Skizze ziert, verbirgt sich ein gänzlich in rot gestalteter Hochglanzeinband, den auf der Vorder- und Rückseite jeweils eine leicht bekleidete Frau „schmückt“, wie man sie aus dem opulenten Schaffenswerk von Manara kennt.

 

In Sachen Ausstattung gibt es als Extra ein sehr lesenswertes Vorwort, welches sich intensiv mit den Hintergründen zur Entstehung der versammelten Geschichten auseinandersetzt, aber an etlichen Stellen auch einige Fragen offen lässt. Glücklicherweise spielt sich der Autor aber weniger als trockener Chronist auf, sondern weiß den Leser mit einigen eingestreuten Anekdoten über Manara durchaus auf den bevorstehenden Lesegenuss einzustimmen. Die Übersetzung stammt von Michael Leimer, bei dem ich manchmal allerdings nicht sicher war, ob er den richtigen Ton getroffen hat.

 

Einige kritische Bemerkungen muss ich aber trotz allen Lobes anbringen: So gibt es bei der Fülle des vorhandenen und vorgestellten Materials weder ein Inhaltsverzeichnis noch Anmerkungen über die Erstveröffentlichung, geschweige denn einen Hinweis, unter welchen Gesichtspunkten man den vorliegenden Band mit Material „gefüllt“ hat. Hier bin ich mir nicht sicher, ob das Etikett „Werkausgabe“ richtig platziert ist und man vielmehr hätte sagen müssen „Gesamtausgabe“.

 

Fazit

In diesem Band werden Geschichten unterschiedlichster Art und Güte von Milo Manara versammelt, die dieser über viele Jahre hinweg für verschiedene Comic-Magazine und Zeitungen erschaffen hat. Dabei erzählt Manara – mal ironisch, mal dramatisch – zum Teil umwerfende Kurzgeschichten, in denen er sein breites Spektrum an Erzählstilen eindrucksvoll unter Beweis stellt. Insbesondere ist es seine Gesellschaftskritik, die sich hinter den manchmal barbusigen Damen und vermeintlich schlüpfrigen Geschichten verbirgt und die sich erst bei näherem Betrachten dem Leser erschließt.

 

Insgesamt ein weiterer, schöner Band der Werkausgabe von Milo Manara, zu dessen Inhalt nicht nur die großen und bekannten Werke wie etwa „Candid Camera“ gehören, sondern auch etliche, kleinere Geschichten, die manchmal nur zwei oder ein wenig mehr Seiten umfassen, aber qualitativ wie auch inhaltlich zu überzeugen wissen. Deshalb von mir erneut ein großes Lob für diese erschwingliche Ausgabe, die einen recht tiefen Einblick in das unterhaltsame und kurzweilige Werk von Manara gibt und das nicht nur durch erotische Zeichnungen besticht.