Geisterkartelle ist der zweite Kampagnenband von Pegasus Press für das Shadowrun-Rollenspiel. Wie bei fast allen Büchern für Shadowrun, die Pegasus herausgibt, haben es die Redakteure nicht einfach dabei belassen die amerikanische Ausgabe zu übersetzen und die Errata einzubauen, sondern es wurden auch noch zusätzlich Texte, Abenteuer und Material für den deutschen Markt eingearbeitet, so dass man nun auch in Europa seine Berufung als Spielleiter ausüben und seine Spieler quälen darf. Als kleiner Bonus liegt dem Band auch noch eine CD-ROM bei.
Optik und LayoutGeisterkartelle kommt leider mal wieder in schnödem Schwarz-Weiß daher, allerdings bin ich diesmal nicht ganz so enttäuscht wie üblich. Denn die Qualität der Illustrationen hat sich enorm gehoben und bei einem Bild bin ich sogar ganz froh, dass es keine Farbe besitzt, würde es doch sonst an die Grenzen des guten Geschmacks stoßen. Ansonsten bietet das Design dieses Kampagnenbandes wenig Neues. Man erhält ein stabiles Hardcover mit Seiten, die nicht so schnell einreißen wie manch andere und die zweispaltig beschriftet sind. Der Einband ist im üblichen Dunkelblau gehalten, dass wir alle (oder zumindest ich) so lieben. Nicht fehlen darf natürlich das allseits beliebte und geliebte Lesebändchen. Und sogar das Lektorat hat sich gesteigert. Ich konnte diesmal, mit der Ausnahme eines Seitenbalkens, keine Fehler in Rechtschreibung und Satzbau finden. Einziger Kritikpunkt neben der Farbe, besteht im Umschlagmotiv. Im ersten Moment wirkt es einfach genial, vor allem durch den Koffer mit dem bekannten „Keine Macht den Drogen“-Aufkleber, von dem subtil das „Keine“ abgekratzt wurde. Auf den zweiten Blick fällt aber die doch recht abgedrehte Frisur des Mannes im mittleren Hintergrund auf. Die mag zwar in der Sechsten Welt als relativ gewöhnlich durchgehen, aber ich finde sie treotzdem recht unpassend für dieses Cover.
Inhalt(Vorsicht (kleiner) Spoiler!!!)Der Kampagnenband Geisterkartelle dreht sich vor allem um eines: Tempo. Tempo ist die neue Modedroge der Sechsten Welt, die selbst mundane Menschen den Astralraum sehen lässt und süchtiger macht als alles je dagewesene, inklusive BTL-Chips. Diese neue Droge wird hergestellt und verteilt von den Geisterkartellen. Um genau zu sein, vom Olaya-Kartell unter der Führung von Jaime Salazar.
Nach dem Inhaltsverzeichnis und dem üblichen Jackpoint, folgt auch schon „Ein neuer Kick“. Dieses Kapitel besteht aus einer Ansammlung von Dokumenten, Chatlogs und Protokollen die alle den Verlauf der Tempokrise beschreiben, wie ihn die Medien, die Behörden, die Konzerne und die Schatten wahrnehmen. Diese Idee und ihre Ausführung finde ich sehr gelungen, ist es doch weit kurzweiliger als das übliche, „kalte“ Beschreiben. Es lässt den Leser seine eigene Meinung bilden und gibt dem Spielleiter Möglichkeiten an die Hand, wie er den Spielern das plötzliche Auftauchen und das langsame Erkennen der Krise präsentieren kann. Daran angeschlossen ist noch eine Partitur, die grob beschreibt, welchen Verlauf die Kampagne dieses Buches besitzt. Außerdem werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie man die präsentierte Kampagne aus anderen Blickwinkel als denen eines Runners spielen kann, zum Beispiel als Polizisten, Konzernangehörige, Söldner, Journalisten oder gar Sanitäter. Nach einer kurzen Beschreibung der wichtigsten Hauptakteure folgt eine Darstellung der Verbreitung von Tempo in Wort und Bild. Zum Abschluss des Kapitels wird noch das Allerwichtigste beschrieben: Die Droge Tempo. Dabei werden sowohl Wirkungen der Einnahme als auch die Symptome einer Sucht beschrieben, einmal als Text und auch in Spielwerten. Danach geht es auch schon los mit der eigentlichen Kampagne.
Die Kampagne ist anders gestaltet, als man es vielleicht gewohnt ist. So werden etwa nicht, wie häufig üblich, mehrere ausgearbeitete Abenteuer aneinandergehängt. Stattdessen ist die Kampagne in vier Teile gegliedert, die sich unabhängig voneinander oder auch zusammen spielen lassen. Das heißt es steht der Gruppe frei, ob sie die komplette Kampagne oder nur ein oder zwei Teile daraus spielen wollen. Dies liegt unter anderem daran, dass alle Teile an unterschiedlichen Orten stattfinden. Die einzelnen Abschnitte sind dabei alle gleich gegliedert, was die Übersichtlichkeit verbessert. Deshalb beschreibe ich zunächst auch nur einmal den Aufbau und gehe dann auf den Inhalt der jeweiligen Teile ein.
Der Aufbau Zunächst wird jedes Mal der Handlungsstrang beschrieben, der im entsprechenden Teil der Kampagne abläuft. Dies geschieht selbstverständlich deutlich ausführlicher als im ersten Kapitel. Zusätzlich werden in einem Seitenkasten Vorschläge präsentiert, wie man den aktuellen Abschnitt mit den anderen verbinden kann um möglichst wenig Logikbrüche in der Handlung zu haben. Anschließend werden Informationen geliefert, wie die entsprechenden Organisationen, die am aktuellen Handlungsverlauf beteiligt sind, die ganze Sache sehen und wie viel sie überhaupt davon wissen. Danach werden noch einmal die Protagonisten des aktuellen Handlungsstrangs vorgestellt, gegen oder für die die Runner arbeiten werden. Darauf folgen dann auch schon die Abenteuer-Gerüste. Dabei gilt nomen est omen. Die Abenteuer sind nicht vollkommen ausgearbeitet, sondern es sind lediglich Handlungsgerüste, an denen man als inspirierter Spielleiter nach Lust und Laune herumbasteln kann. Es werden die Hintergründe erläutert, sowie der grobe Handlungsablauf mit den wichtigsten Stationen. Dazu kommen noch Karten des wichtigsten Ortes des jeweiligen Runs. Hinterher werden einige weitere Abenteuerideen kurz angerissen. Leute, die Konzernenklaven oder Schattenstädte besitzen, wird diese Vorgehensweise aus den Beispielabenteuern bekannt vorkommen. Allerdings wird diesmal soviel Hilfestellung geleistet, dass die NSCs und das „Kanonenfutter“ entweder ausgearbeitet hinter den Abenteuer-Gerüsten präsentiert werden oder auf das Grundregelwerk verwiesen wird. So werden viele der Archetypen und Connections daraus verwendet. An einigen Stellen wird auch auf andere Bücher verwiesen, jedoch deutlich seltener. Dafür sind dann zusätzlich die meisten dieser Gegenstände und Critter noch einmal mit Werten bei den anderen ausgearbeiteten NSCs aufgeführt.
Die Handlung „Kostprobe“ spielt gänzlich in Seattle und die Runner arbeiten für ein hohes Mitglied des Komun'go-Rings. Dabei müssen sie sowohl die Versorgung der Stadt mit Tempo sicherstellen, als auch den Ring nach undichten Stellen abklopfen. Dabei dürfen schließlich auch nicht die Behörden aufmerksam werden und so muss auch eine Leiche aus einer DocWagon Klinik gestohlen werden. Schließlich müssen die Charaktere einen Angriff eines anderen Syndikats vortäuschen nach dem sie einen Bodyguardjob erledigt haben.
„Die Quelle“ beginnt zwar ebenfalls in Seattle, schickt die Spieler aber über den gesamten Pazifikraum. Als Mitglied der Tempodelegation, die die Droge verteilen soll, wird in Seattle erstmal etwas Tempo-Konkurrenz erledigt, dann sich in Hongkong mit der Smoke Circle Society angelegt und bevor sie sich versehen, stecken die Spielercharaktere auch schon mitten im Kowloon-Massaker, bei dem sie auch von mächtigen, toxischen Geistern angegriffen werden. Dem kaum entkommen dürfen sie sich auch schon gleich in Neo-Tokio mit der Polizei anlegen, um eine Ladung Tempo zurückzubekommen bevor die richtigen Schlüsse gezogen werden. Schließlich und endlich dürfen die Runner noch einen Bodyguardjob in Los Angeles erledigen, es sei denn sie wollen noch die Euro-Tour mitmachen.
Diese „Euro-Tour“ schickt die Charaktere über Europort und Lille, wo sie eine wilde Verfolgungsjagd erwartet, schließlich nach Marseille. Dort dürfen sie sich dann mit den Vory v Zakone und Europol anlegen, bevor die Mafia mitmischt und die Runner zwingt für die Alta Commissione zu arbeiten. Kurze Zeit später werden diese auch schon in GeMiTo gebraucht, wo sie zwischen die Fronten geraten und dazu noch mit einem Verräter und Insektengeistern zurechtkommen müssen. Der Höhepunkt findet dann in Lissabon statt, wo sie Zeuge eines weiteren Verrats und eines Massenmordes werden.
Im letzten Teil wird dem Olaya-Kartell dann endlich der „Todesstoß“ versetzt. Jedoch müssen die Spieler erst einmal zurück nach Los Angeles den Bodyguardjob erledigen, wobei sie mitten in einen Anschlag von Aztechnology und Interpol auf die höchsten Köpfe der Geisterkartelle landen. In Caracas müssen sie dann noch ein paar illoyale Mitglieder des Olaya-Kartells liquidieren, bevor sie schließlich den Ursprung von Tempo zerstören sollen.
Wie schon erwähnt, kann diese Kampagne ganz oder nur teilweise gespielt werden und die Abenteuer sind nicht komplett ausgearbeitet. Dies hat den Nachteil, dass Spielleiter noch einiges an Arbeit hinein stecken müssen, um die Runs spielbar zu machen. Der Vorteil dieser Methode ist allerdings die unglaubliche Freiheit, die man als Spielleiter dadurch erhält. Es ist möglich in ein Abenteuer noch eine Menge zusätzlicher Handlungsfäden einzubauen, man kann zusätzliche Abenteuer dazwischen setzen und vieles mehr. Die Autoren dieses Buches liefern genug Ideen um die Kampagne auszubauen. Ebenfalls ein Kritikpunkt ist allerdings, dass viele Bücher wirklich empfehlenswert sind zu besitzen. Darunter fallen Schattenstädte, Konzernenklaven und alle Regelerweiterungen. Dieser Punkt wird etwas dadurch ausgeglichen, dass die Städte jeweils kurz angerissen und die meiste Ausrüstung in Werten aufgeführt ist.
Inhalt der CD-ROM Einige werden vielleicht die Promo-CD kennen, die Pegasus zum Start ihrer Shadowrunpublikation veröffentlichte. Die Geisterkartelle-CD erinnert stark daran. Ebenso wie bei der Promo-CD sind auch hierauf die Einsteigerregeln mit dem Abenteuer „Freier Markt“ in neuem Design gebrannt. Zusätzlich befindet sich das Gewinnerabenteuer des Chrompredator 2009-Wettbewerbs „Die Wölfe von St. Pauli“ auf dem Datenträger. Und wer das multimediale Abenteuer auf der Promo-CD mochte, wird sich ganz besonders über diese CD freuen, denn es gibt ein neues dieser Art, das ebenfalls als Teil der Tempokampagne gespielt werden kann. In „Temporausch“ begeben sich die Spieler auf die Suche nach einem verschwundenen Magier und Familienvater, nur um auf die Spur einer illegalen Forschung zu kommen, die mit Tempo an erwachten Metamenschen experimentiert. Doch während des Runs stellen die Charaktere fest, dass sie nicht die Einzigen sind, die hinter dem hoffnungslos süchtigen Mann her sind. Ebenfalls auf der CD befinden sich jede Menge Handouts, sowohl solche die zum Buch in Beziehung stehen, als auch allgemeine, wobei sich diese auf Karten beschränken.
Genau wie ihr Vorgänger ist auch die CD-ROM zu Geisterkartelle gelungen. Die Abenteuer sind gut ausgearbeitet und es macht einfach Spaß im gefundenen Kommlink eines NSCs nach den nötigen Infos zu suchen. An der CD kann ich fast keine Kritik finden. Lediglich die schauspielerischen Fähigkeiten im Videotagebuch könnten etwas besser sein.
Fazit:Geisterkartelle ist ein Kampagnenband der etwas anderen Art. Die Abenteuer sind nicht voll ausgearbeitet sondern lediglich grob skizziert. Der Spielleiter muss also noch ein wenig Arbeit hineinstecken, hat dafür aber ungewöhnlich viele Freiheiten, wodurch er die Kampagne problemlos an den Spielstil seiner Gruppe anpassen kann. Des Weiteren ist es möglich nur einzelne Teile daraus zu spielen, möchte man keine so lange Kampagne spielen, oder den Kontinent nicht verlassen. Alternativ kann man sich natürlich auch nur einzelne Abenteuer herausgreifen. Die Abenteuer sind dabei fast alle interessant und abwechslungsreich, so dass jeder auf seine Kosten kommen dürfte, auch wenn ein gewisser Anspruch an Einfallsreichtum der Spieler besteht, um die Runs zu überstehen. Etwas nachteilig sind die vielen Bücher neben dem Grundregelwerk, die man benötigt, um die Kampagne ohne Umarbeitung zu spielen, jedoch haben die Autoren auch hier soviel Hilfestellung wie möglich gegeben, um den Buchlosen zu unterstützen. Die beigelegte CD ist fast vollkommen gelungen. Man muss schon Kritikpunkte mit der Lupe suchen, um sie nicht zu mögen. Die beiden enthaltenen Abenteuer sind es absolut wert gespielt zu werden. Spielleiter die keine Angst vor etwas Arbeit haben und etwas Inspiration wollen, ohne von vorgefertigten Abenteuern eingeengt zu werden, sollten auf jeden Fall den Kauf dieses Kampagnenbandes in Betracht ziehen. Zumindest Ideen werden sie zur Genüge finden. Die Illustrationen und das Lektorat haben sich im Vergleich zu anderen Shadowrunpublikationen enorm verbessert und so kann ich zu Geisterkartelle nur sagen: Ausgezeichnet!
|
||||||||||||||||||||||||