Mit „New York: Im Schatten der Wolkenkratzer“ legt Pegasus Press einen weiteren kombinierten Quellen- und Abenteuerband vor. Wer jetzt allerdings meint, es handele sich hierbei nur um eine Übersetzung des englischen Bandes „Secrets of New York“ von William Jones, der 2005 bei Chaosium erschien, den muss ich an dieser Stelle glücklicherweise enttäuschen. Gegenüber der Ausgabe von Chaosium wurde eine ganze Menge verändert und wesentlich verbessert: So wurde beispielsweise die Beschreibung von Manhattan um die im „Secrets of New York“ fehlenden Viertel ergänzt, so dass nun erstmalig eine Beschreibung der ganzen Halbinsel vorliegt. Zudem nehmen die anderen Bezirke wie Brooklyn nun jeweils ein eigenes Kapitel ein, um einen einheitlichen Aufbau zu gewährleisten. Doch mehr zu den Veränderungen in den einzelnen Passagen.
Die Optik:Wie immer legt Pegasus Press einen optisch überaus ansprechenden Hardcoverband vor, der sich an der bisherigen Produktlinie der Cthulhu-Publikationen orientiert, wobei die Gestaltung des Umschlags wiederum Manfred Escher oblag, der dem Betrachter eine gelungene düstere Montage aus Wolkenkratzern, Tentakeln und anderen Objekten bietet und somit die cthulhoide Stimmung der Stadt bereits schon rein äußerlich wirkungsvoll einfängt. In Sachen Qualität und Verarbeitung gibt es keine Mängel, da sowohl die Heftung, das verwendete Papier als auch die Druckqualität dem hohen Standard der Produkte von Pegasus Press entsprechen und der Käufer damit recht zufrieden sein dürfte.
Inhaltlich gibt es das gewohnt zweispaltige Layout in dem optisch komplett in Schwarz-Weiß gehaltenen Band, welches durch zeitgenössische Fotografien, ergänzende Hinweise oder Textkästen aufgelockert wird. Die sinnvollen Überschriften und Hervorhebungen sorgen zudem für eine übersichtliche Struktur, in der man sich schnell und problemlos zurechtfindet. Insgesamt also 224 sehr stimmungsvolle Seiten, in denen der Leser mehr über die legendäre Stadt erfahren kann.
Dem Band ist zusätzlich noch eine recht detaillierte zeitgenössische Karte von New York im Format A2 beigefügt, die sich praktischerweise in einer kleinen Plastikhalterung am Ende des Bandes auf der Umschlaginnenseite befindet.
Der Inhalt:Den Einstieg macht im ersten Kapitel ein geschichtlicher Überblick über die Entstehung von New York, die von den ersten holländischen Niederlassungen im 17. Jahrhundert einen Bogen bis in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts spannt und die wichtigsten Begebenheiten chronologisch in komprimierter und sehr angenehm lesbarer Form aufbereitet. Ergänzt wird der Text durch eine übersichtliche Zeittafel, aus der sich wichtige Ereignisse und Begebenheiten schnell ablesen lassen.
Die weiteren Abschnitte des Kapitels befassen sich mit überaus nützlichen und interessanten Informationen rund um die Stadt in den „wilden Zwanzigern“, seien es die Auswirkungen der Prohibition in New York, die Fortbewegungsmittel oder aber auch das Nachtleben dieser Metropole. Gesellschaftliche Aspekte bleiben allerdings auch nicht außer Betracht und so werden sowohl soziale als auch Rassenprobleme in diesem Schmelztiegel der ethnischen Vielfalt dargestellt.
Mit einer überaus hilfreichen Übersicht von nützlichen Adressen erhält man als Spielleiter (oder Spieler) ein Verzeichnis von Grandhotels, Restaurants, Herrenausstattern, Nachtclubs und einigen anderen Orten nebst Adresse, das sich sicherlich immer wieder als nützlich erweisen dürfte. Eine zusätzliche Übersicht der Einkaufsbezirke in Manhattan gibt es in einer gesonderten Karte.
Den Abschluss des Kapitels bildet ein Abschnitt mit einer Auflistung von etlichen interessanten Details zu New York in den 20ern als auch einige Tipps für Touristen, die zum ersten mal in diese Stadt kommen und eine mehr oder weniger hilfreiche Empfehlung von Filmen, in denen man sich unter Umständen noch ein wenig mehr Inspiration über das Flair von New York holen kann.
Das völlig neu geschriebene zweite Kapitel widmet sich dem organisierten Verbrechen und der damit verbundenen Kriminalität in New York und versetzt Spielleiter in die Lage, die Spieler so nah wie möglich an der Realität agieren zu lassen, wenn sie sich mit dieser Thematik befassen möchten (oder müssen). Die Darstellung umfasst den Zeitraum von 1900 bis nach dem Ende der Prohibition und damit der Blütezeit des organisierten Verbrechens in dieser Stadt.
In mehreren Abschnitten erfährt man zunächst einiges über die Hintergründe, Struktur und Betätigungsfelder der verschiedenen kriminellen Gruppierungen und bekommt eine ganze Reihe von Anknüpfungspunkten für Spielercharaktere für diesen Bereich geboten. Es folgen dann Darstellungen der wichtigsten Gruppierungen und Familien nebst deren Protagonisten so wie deren Verhältnisse untereinander. Mit dem vorgestellten Material, welches mit seiner Fülle an Informationen, Namen, Abläufen und Bandenkriegen ein stimmiges zeitgenössisches Bild liefert, sollte man einen guten Eindruck bekommen können.
Wem das alles noch nicht reicht, dem sei auch hier eine Übersicht zu Filmen und Serien am Schluss des Kapitels empfohlen, bei der natürlich der Hinweis auf das Meisterwerk von Francis Ford Coppola „Der Pate“ nicht fehlen darf.
Bei dem dritten Kapitel „Echtes Grauen in New York“ handelt es sich um ein komplett neu geschriebenes Kapitel für diesen Band, der sich dem echten und recht mysteriösen Kriminalfall der Josefina Terranova widmet, welcher 1906 in New York Schlagzeilen machte. Bei den Texten handelt es sich zwar überwiegend um die Übersetzung zeitgenössischer Zeitungsartikel und Berichte, doch erhält man hierdurch einen guten Einblick in das amerikanische Gerichtssystem und die Ermittlungsarbeiten der Polizei. Dieses Kapitel wäre unter Umständen besser im Magazin „Cthulhoide Welten“ aufgehoben gewesen, da er zwar recht interessante Informationen liefert, aber bezogen auf New York nicht unbedingt mit spektakulären Hintergrundinformationen aufwarten kann.
In Kapitel 4 bis 10 bekommt der neugierige Leser nunmehr endlich die recht umfangreiche und neu strukturierte Beschreibung der fünf Bezirke von New York geliefert: Manhattan, Brooklyn, The Bronx, Queens und Staten Island. Da das dicht besiedelte Manhattan einen wahren Mikrokosmos darstellt, hat man diesen Bezirk zur besseren Übersicht noch einmal in drei einzelne Kapitel aufgeteilt: Uptown, Midtown und Downtown Manhattan. Ebenso befindet sich im Kapitel „Staten Island“ als Ergänzung noch eine Beschreibung der Flussinseln.
Da der Aufbau der einzelnen Kapitel immer gleich ist, möchte ich an dieser Stelle Wiederholungen vermeiden und diese zusammenfassen: Zunächst gibt es einen Gesamtüberblick über den einzelnen Bezirk, dessen geschichtliche Entwicklung und soziale Struktur, um dann die einzelnen Viertel in diesem Bezirk näher darzustellen. Ein kleiner, jeweils beigefügter, Kartenausschnitt hilft bei der schnellen Orientierung – bei Manhattan ist man allerdings gezwungen auf die beigefügte große Karte zurückzugreifen, was manchmal recht umständlich ist.
Jeder Bezirk bzw. jedes Viertel in New York hat seinen eigenen Charme und unverwechselbaren Ruf und so werden sowohl zahlreiche echte und bekannte Sehenswürdigkeiten, als auch einige fiktive Örtlichkeiten vorgestellt, die man im Spiel verwenden kann. Die Beschreibung der Viertel wird immer wieder ergänzt durch zeitgenössische Fotos, zusätzliche Karten, als auch durch etliche interessante und fertig ausgearbeitete Nichtspielercharaktere, die für den Spielleiter mit ihrem Wissen oder ihrem Beruf bei der Gestaltung von Abenteuern sowohl einige interessante Ideen liefern, als auch dem Schauplatz New York mehr Tiefgang verleihen. Natürlich beschränkt sich die Beschreibung der Örtlichkeiten nur auf einige wesentliche, für das Spiel potentiell relevante Orte, doch sollte diese Auswahl mehr als genügen, um dieser pulsierenden Millionenmetropole Leben einzuhauchen. Eins dürfte auf jeden Fall deutlich werden – New York ist zwar der Name der Stadt, aber es sind letztlich seine recht unterschiedlichen Stadtteile, die ihr Gesicht prägen.
Interessanterweise gibt es in den Texten bei manchen Schauplätzen immer wieder Hinweise, in welchen anderen Cthulhu-Publikationen diese bereits Verwendung fanden, doch insgesamt gibt es nicht so viel an cthuloidem Grauen in der Stadt zu entdecken, wie man vielleicht denkt. Hier präsentiert sich New York eher als unbeschriebenes Blatt, welches es durch eigene Ideen auszufüllen gilt, für die es allerdings einige Anregungen in den Texten gibt.
Insgesamt dürfte dieser Teil des Quellenbandes inhaltlich mehr als genug Ansatzpunkte bieten, um New York mit seinen unerschöpflichen Facetten sowohl als Schauplatz für eigene Abenteuer zu nutzen, als auch den Charakteren einen aufregenden und abwechslungsreichen Wohnsitz zu bieten.
Im zweiten großen Abschnitt des Bandes befinden sich insgesamt drei Abenteuer, die alle in New York angesiedelt sind. Die beiden spieltechnisch nicht besonders gelungen konzipierten Abenteuer der US-Ausgabe, „The Half Moon“ und „Transgression“ wurden nicht aufgenommen und stattdessen gibt es drei vollkommen neue Abenteuer aus der Feder von deutschen Autoren, welche die Spieler mit einigen dunklen Geheimnissen, aber auch Spielmöglichkeiten von New York konfrontieren und die sich in ihrer Konzeption allesamt deutlich voneinander unterscheiden.
„Pinselstriche“ von Alexander Dotor und Peter Schott Die Charaktere sind Mitglieder einer Jury, die einen Kunstpreis an zeitgenössische New Yorker Künstler vergibt. Allerdings scheint einer der Künstler mit seinem eingereichten Werk etwas ganz besonderes zu bezwecken und schnell müssen die Charaktere feststellen, das die seltsame Mordserie an den Jurymitgliedern kein Zufall ist. Es gilt für die Charaktere die Puzzleteile zusammenzusetzen und herauszufinden, wie sie das drohende Unheil, welches mit dem bizarren Werk des Künstlers Albus Craig verbunden ist, aufzuhalten ist. Was von seiner Grundkonzeption recht spannend und gut in Szene gesetzt ist, entwickelt sich leider gegen Schluss des Abenteuers nicht ganz so rund, wie man es vielleicht erwartet hätte. Hier sind unter Umständen einige Kniffe des Spielleiters notwendig, damit die Charaktere eine größere Chance haben zu überleben. Ansonsten sehr gelungen und ohne größere Probleme umsetzbar.
„Tunnel mit Aussicht“ von Bernhard Biehler Die New Yorker Polizei bittet die Charaktere ihnen als zivile Berater bei einem äußerst ungewöhnlichen Fall zu unterstützen. Bei einem offensichtlich durchgeführten Ritual in der U-Bahnstation City Hall kamen scheinbar alle Beteiligten ums Leben oder sind verschwunden. Bei ihren Nachforschungen stoßen die Charaktere auf eine okkulte Verschwörung, die von langer Hand das Ritual geplant hat, welches allerdings nicht beendet werden konnte. Doch die Beschwörung scheint nicht gänzlich misslungen zu sein und die Charaktere müssen sich beeilen, um das drohende Unheil aufzuhalten, welches bereits damit begonnen hat die noch bestehenden Barrieren zwischen den Dimensionen zu sprengen. Es ist vielleicht etwas schwierig hochspezialisierte Charaktere zusammenzuführen, doch sollte dies gelingen, so erwartet die Spieler ein recht interessant in Szene gesetztes Abenteuer.
„Der Fluch des Schwarzen Mannes“ von Mirko Bader Der seltsame Tod eines heruntergekommenen Geigen-Virtuosen im Central Park, der mit seiner Musik praktisch die nahe gelegenen Hochhäuser zum Erzittern brachte, führt die Charaktere auf die Spur einer Gruppe von sechs Menschen, welche den Untergang der „Titanic“ überlebten. Doch der Preis den sie für ihr Überleben zahlen mussten ist hoch. Bei ihren Nachforschungen stoßen die Charaktere auf einen bizarren Ritus und eine unheilvolle Verbindung der Überlebenden zu einer Gottheit, die an dieser Stelle besser ungenannt bleiben sollte. Die Charaktere stehen – wie so oft – unter Zeitdruck und müssen Nachforschungen anstellen, Gespräche führen und Leute beschatten, um der Wahrheit auf den Grund zu kommen. Hier zeigt sich, dass atmosphärische Stärke nicht unbedingt Schwächen im Abenteuer wett machen kann. Vielleicht eins der schwächeren Abenteuer in diesem Band.
Unterm Strich sind alle drei Abenteuer durchaus gelungen um die Atmosphäre von New York einzufangen, aber in einigen Bereichen bedarf es durchaus noch einiger Korrekturen oder Eingriffe durch den Spielleiter, möchte man etwas mehr Logik in die Geschehnisse bringen. Für Einsteiger sicherlich nicht ganz so einfach – hier bedarf es schon eines erfahrenen Spielleiters.
Fazit:Dass es sich um mehr als eine reine Übersetzungsarbeit, sondern um einen komplett überarbeiteten Quellen- und Abenteuerband handelt, dürfte durch die zahlreichen Anmerkungen zu verschiedenen Passagen mehr als deutlich geworden sein, insbesondere wenn man die Original-Ausgabe von Chaosium kennt, die doch einige Mängel hat. Hier hat die Redaktion von Pegasus Press gute Arbeit geleistet, um das vorhandene Material in einen vernünftigen Kontext zu bringen und so auch Abenteuer im „Big Apple“ zu ermöglichen.
Dieses Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen, ist aber im Vergleich zu den Bänden „Arkham“ oder „Innsmouth“ als klassische Cthulhu-Locations immer noch ein wenig blass. Man merkt an einigen Stellen deutlich, wie schwer es den Autoren gefallen ist, das historisch korrekt dargestellte New York um den Mythos zu ergänzen und Anknüpfungspunkte für den Spielleiter und dessen eigene Ideen zu bieten. Hier hätte ich einige innovativere Ideen erwartet, dennoch möchte ich die sehr übersichtliche und detailreiche Gestaltung des Bandes positiv hervorheben, die mit zahlreichen interessanten Geschäften, Vierteln und Begebenheiten aufwarten kann und einer ganzen Reihe von sehr authentisch dargestellten Nichtspielercharakteren, die dem Band eine nicht zu unterschätzende Atmosphäre verleihen.
Für sein Geld erhält der Käufer auf jeden Fall einen sehr gut recherchierten Quellenband von New York in den 20er Jahren, der seinen Fokus recht stark auf die organisierte Kriminalität legt und dem cthuloiden Grauen in der Stadt etwas mehr Raum hätte geben können. Wer als Spielleiter schon immer einmal Abenteuer mit Bezug zur Mafia oder anderen Gruppierungen des organisierten Verbrechens in den wilden 20er Jahren spielen wollte, der dürfte hier auf jeden Fall sehr gut aufgehoben sein.
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