Links zur Rezension Vorbemerkung:Mit „Thalassa und der Bettelkönig“ (nachfolgend: Thalassa) kommt ein sehr spannendes Quellenbuch für das MIDGARD-Rollenspiel auf den Markt. Thalassa war die Hauptstadt der Seemeister und ging im Krieg der Magier unter. Heute sind die Ruinen der Stadt größtenteils von einem Schlackefeld überzogen, nur etwa 10% der alten Stadtfläche sind aktuell noch bewohnbar. In der wohl einstmals prächtigsten Stadt Midgards herrscht heute die sagenumwobene Gestalt des Bettlerkönigs, der eine einmalige Staatsform, eine Art der geregelten Anarchie, etabliert hat.
Das langerwartete Quellenbuch, das aus einer Zusammenarbeit mit im Midgard-Forum aktiven Spielern entstanden ist, nennt als Hauptautoren Carsten Wille, Christoph Tinius, Dirk Richter (den Autoren der MIDGARD-Einsteiger-Reihe RUNENKLINGEN) und Rico Nielein. Gerd Hupperich steuerte die Beschreibung des Nyktos bei.
Das Buch richtet sich einmal mehr an Spieler über 16 Jahren.
Das Buch:Thalassa ist ein zweihundert Seiten starker MIDGARD-Quellenband, der als großformatiges Hardcover Buch und nicht als Box, erscheint. Dennoch liegt dem Band eine vollfarbige Karte der Umgebung bei, die in einer auf der hinteren Umschlagseite eingeklebten Plastiklasche eingesteckt ist. Die Karte hat ungefähr DinA3-Format. Die beiliegenden Karten sind oftmals auch der Grund dafür, dass die MIDGARD-Werke im Handel eingeschweißt ausliegen. So möchte man verhindern, dass eine Karte auf dem Transportweg oder im Laden abhanden kommt. Die Innenseiten der Buchdeckel sind in sattem Grün gehalten und wirken einfach, aber edel. Die Bindung macht ebenfalls einen gewohnt soliden Eindruck. Die Verarbeitung und die Materialien sind top. Hier gibt es von mir nur Lob und keine Kritik! Beim Layout bleibt man sich treu: Das Buch weist die übliche schlichte, aber gelungene MIDGARD-Optik auf. Diese besteht aus bortenartig angebrachten Illustrationen an den Rändern der Buchseiten (die unter anderem die sog. Bettlerstecken zeigen), durchweg gelungenen, schwarz-weißen Illustrationen und einer Vielzahl von Grundrisszeichnungen an diversen Stellen im Buch. Gerade die Grundrisse finde ich sehr gelungen und, aufgrund der detaillierten Ausgestaltung, sehr hilfreich für den Spielleiter. Überhaupt sprüht das Buch, auch wenn keine eigene Rubrik für Abenteuer(-aufhänger) enthalten ist, vor Ideen, Möglichkeiten und Tipps, wie man Thalassa in seine Kampagne einbinden und nutzbar machen kann.
Der Preis für das Quellenbuch Thalassa beträgt 29,95 €.
Der Inhalt:Die Beschreibung der Stadt Thalassa und ihrer Bewohner stehen im Vordergrund dieses Bandes. Zwar wird auch auf die geschichtliche Bedeutung und Kultur eingegangen, doch ist der Schwerpunkt deutlich auf der Beschreibung des aktuellen Zustands der Stadt und seiner Bewohner zu finden. Thalassa lehnt sich an das historische Karthago an und orientiert sich zudem an anderen großen Städten der Antike, wie etwa Rom, Antiochia oder Konstantinopel. Damit wurde eine geographisch und kulturell höchst interessante Region in die Spielwelt eingefügt. Durch den direkten Bezug zu den Seemeistern wird auf den Seiten dieses Quellenbuches auch einiges an Hintergrundinformationen über den Krieg der Magier, der vor vielen Jahren auf Midgard tobte, gegeben. Alleine deswegen und wegen der anfangs zu lesenden Ausführungen über das „alte“ Thalassa ist das Buch eigentlich schon eine Pflichtlektüre für alle MIDGARD-begeisterten Spieler.
Das Buch ist inhaltlich in neun Kapitel unterteilt.
Zunächst gibt es eine Anleitung für den Spielleiter und eine Abkürzungs- und Benutzungserläuterung. Dieses erste Kapitel trägt den Titel „Zum Geleit“.
Dann folgt in „Zu den Füßen des Nyktoros“ die von Gerd Hupperich verfasste Umgebungsbeschreibung.
Das Kapitel „Die Ruinen von Thalassa“ schildert die Entwicklung Thalassas und bringt dem Spielleiter unter anderem die sagenumwobene Figur des Bettlerkönigs, sowie dessen Herrschaftsform näher. Thalassa besteht aus vier eigenen Stadtteilen. Diese vier Stadtteile werden in den nachfolgenden vier Kapiteln ausführlich unter die Lupe genommen. Es handelt sich dabei um die Kapitel „Das Ziegenviertel“, „Schiffersruh“, „Das Rabennest“ und „Der Knochenhügel“. Das letzte „richtige“ Kapitel nennt sich „Das fahrende Volk“ , während der letzte Abschnitt, mit dem Titel „Anhänge“, bedeutende Personen, ein kleines Bestiarium, Thaumaturgium und einen Personen- und Schauplatzindex auflistet.
Die Umsetzung der vielen Ideen gelingt dem Autoren-Team äußerst gut. Das Werk vermittelt einen angenehmen, klaren Eindruck von der eigenständigen Kultur dieses Ortes und ist beinahe von vorne bis hinten gut lesbar. „Historisches“ in Erzählboxen, erklärendee Fließtexte und eine Vielzahl von detaillierten Risszeichnungen mit Erläuterungen (inkl. der Beschreibung antreffbarer Personen) variieren in harmonischer Art und Weise. Das Buch ist nie langweilig. Auch wenn einem nicht alles zusagt, so bietet sich für jeden Geschmack etwas Nutzbares und gut Beschriebenes. Obgleich unglaublich viele Ideen eingeflossen sind, erhalten die Autoren die Freiheit am Leben, die ein Spielleiter braucht, um die Stadt den Bedürfnissen seiner Kampagne anzupassen. Diese Balance einzuhalten ist nicht immer einfach und gelingt hier gut.
Anmerkung: Spezielle, bereits ausgearbeitete Abenteuer finden sich, anders als in den meisten anderen MIDGARD-Regionalbänden, im Thalassa-Quellenbuch nicht. Das ist jedoch kein Nachtteil des Buches, welches sich durch die immense Fülle an in den Texten eingearbeiteten Abenteueraufhängern, -ideen, Hintergründen und Geschichten bestens als Ideengeber für eine eigene Kampagne in und um Thalassa eignet. Des weiteren haben die Autoren bereits einige (!) Abenteuer zu ihrer Stadt entworfen, die dem Verlag auch schon vorliegen, über deren Erscheinen aber noch nicht endgültig entschieden ist. Weiterhin findet sich online auf der Verlagshomepage Kartenmaterial zum kostenfreien Download!
Auch wenn es sich bei der beschriebenen Stadt um die ehemalige Hauptstadt der mächtigsten Magier, die je auf Midgard aktiv waren, handelt und auch viele von den Seemeistern erschaffene magische Werke den Lauf der Zeit überdauert haben, so finden sich im Buch keine Regeln für epische Magie, besonders machtvolle Artefakte oder Ähnliches. Vielmehr werden einige Wirkungen noch aktiver seemagischer Magie (z.B. im Bezug auf das Hafenbecken) vorgestellt, ohne aber fixe Regeln zur Anwendung (oder gar der Erlernbarkeit durch Spielerfiguren) zu geben. Gleiches gilt im Großen und Ganzen auch für Artefakte. Es werden einige beschrieben, aber nur sehr wenige werden mit Spielwerten ausgestattet, um einerseits dem Spielleiter eine gewisse Handlungsfreiheit zu erhalten und andererseits, um das Gleichgewicht der Spielgruppen nicht zu gefährden. Die beschriebenen Gegenstände, etwa die Bettlerstecken oder ein besonderes „Diadem aus Seemeistertagen“, welches dem Bettlerkönig zu seiner Position verhilft, sind dafür aber von besonderer Qualität und passen unglaublich gut zum Setting.
Die Beschreibung der Stadt, ihrer Bewohner, ihrer Geschichte und ihrer Gegenwart erzeugt eine ganz eigene, einzigartige Atmosphäre, die einen potentiellen Spieler/Spielleiter bereits beim ersten Lesen direkt in ihren Bann zieht.
Die Hintergrundideen sind toll und die vielen wunderschönen Details, wie etwa die Bettelstäbe, mit denen die „Soldaten“ des Bettelkönigs, die Bettelgarde in Thalassa für Ruhe und Ordnung sorgen, sind extrem stimmig ausgearbeitet worden. Eine Vielzahl von Begegnungen und Nichtspielerfiguren sowie ein dem Buch vorangestellter Einführungsteil mit kleinen Erläuterungs- und Spielhilfen, die sich an den Spielleiter richten, runden den positiven Eindruck ab und machen das Buch zu einer echten Schatzkiste für findige Leiter.
Das Fazit:„Thalassa und der Bettelkönig“ ist ein „erwachsenes“ Rollenspielbuch. Das zeigt nicht nur das atmosphärisch genau zum Buch passende Coverbild, sondern auch die Ausgestaltung und der Aufbau des Inhalts. Denn im Buch bekommt der Leser nicht alles mundgerecht serviert, sondern man muss mit dem Buch arbeiten. Lässt man sich aber darauf ein, erhält man in angenehmer Darstellung mehr als genug Informationen, um sich viele Spieleabende lang in einer der vielleicht interessantesten Umgebungen der Spielwelt Midgards aufzuhalten. Die Stimmung in der ehemaligen Hauptstadt der Seemeister wird sofort greifbar, die Idee der Obrigkeit um den Bettelkönig ist interessant und die Umsetzung ist bis ins Detail überzeugend und gelungen. Habe ich das Alba-Quellenbuch noch als das wichtigste MIDGARD-Quellenbuch bezeichnet, so ist mit Thalassa vielleicht das bisher mit am besten zu bewertende Quellenbuch erschienen, was Umsetzbarkeit, inhaltliche Stimmigkeit bei gleichzeitiger Ausgefallenheit und Spezialität des Settings anbelangt.
Ich spreche hier eine klare Kaufempfehlung aus, für Spielleiter, die ein antikes Setting, viele neue, interessante Ideen, aber auch MIDGARD-typische Umsetzungen dieser Ideen und/oder einfach nur Informationen über die Geschichte Midgards suchen, denn auch auf den Krieg der Magier wird in diesem Buch natürlich mehr eingegangen, als dies bisher in den meisten Büchern der Fall war.
Wer allerdings ausgefertigte Abenteuer, viele neue Artefakte und (epische) Zauber und vielleicht einen perfekten Dungeon-Crawl (um diese zu finden) erhofft, sollte von der Anschaffung dieses Buches Abstand nehmen.
Ich vergebe für ein hervorragendes Quellenbuch die starke Note von 4,5 Punkten.
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