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Preacher 8 - Bis zum letzten Atemzug
Bewertung:
(4.0)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 24.05.2011
Autor:Garth Ennis (Autor), Steve Dillon (Zeichner)
Übersetzer:Fred Fliege & The Wild Bunch
Typ:Comic / Graphic Novel
Setting:Preacher
VerlagPanini Comics
ISBN/ASIN:978-3-86607-921-2
Inhalt:256 Seiten, Hardcover, US-Format
Preis:29,95 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt

Der texanische Prediger Jesse Custer verschmilzt durch einige überaus dumme Zufälle mit einer spirituellen Macht namens Genesis, die ihm besondere Kräfte und allumfassendes Wissen beschert. Mit diesen Fähigkeiten ausgestattet, macht sich Custer auf die Suche nach Gott, der nach diesem „Unfall“ scheinbar seine Schöpfung im Stich gelassen hat und auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist; diesem will er hierfür „kräftig in den Arsch treten“. Auf seiner recht absonderlichen und oftmals auch gewalttätigen Odyssee durch die USA wird er von seiner schießfreudigen Freundin Tulip sowie dem versoffenen irischen Vampir Cassidy begleitet.

 

Da Tulip am Ende des letzten Bandes Jesse für Tod hielt, suchte sie Zuflucht bei Alkohol, Drogen und in den Armen von Cassidy. Als Jesse dann endlich seine Freundin wieder aufspüren konnte, war er über diese „neue“ Beziehung geschockt und machte sich aus dem Staub, obwohl er keine Ahnung davon hatte, welche Qualen Tulip deswegen erdulden musste. Doch nach vielen Monaten des täglichen Deliriums an der Seite von Cassidy fasst Tulip in einem seltenen Moment von Klarheit in ihrem benebelten Kopf einen Entschluss: Sie wird Cassidy verlassen und wieder auf eigenen Füßen stehen.

 

Die Geschichte selbst wendet sich dann der Vergangenheit von Tulip zu, die dem Leser bislang noch nicht aufgezeigt wurde. So erfährt man, dass Tulip eigentlich der heiß ersehnte Sohn von Mr. O´Hare werden sollte, der dann allerdings Vater einer Tochter wurde. Da die Mutter bei der Geburt von Tulip starb, wächst das Mädchen bei seinem Vater auf, der sie erzieht, als wäre sie sein innig gewünschter Sohn – mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen. Er bringt dem Kind schon in frühen Jahren den Umgang mit Waffen bei, ist mehr als einmal in der Schule wegen Prügeleien seiner Tochter und liest ihr zum Einschlafen Kriegsgeschichten aus billigen Romanen vor. Nach dem mehr oder weniger tragischen Tod ihres Vaters, der bei einer Jagd versehentlich erschossen wurde, schwört sich Tulip nie mehr eine Waffe anzufassen. Mit dem Geld aus dem Verkauf des Hauses des Vaters kann man ihr eine mehr als hervorragende Schulbildung zukommen lassen. Am Internat lernt sie Amy Grinderbinder kennen, für die sie später noch ihren Schwur brechen soll, als sie diese vor einer Vergewaltigung rettet. Amy wohnt nunmehr in New York, wohin sich Tulip aufgemacht hat, um dort Trost bei ihrer besten Freundin zu finden und ihr vom Tod Jesses zu erzählen.

 

Doch auch Jesse macht sich auf den Weg nach New York, um dort bei Amy vielleicht einen Hinweis auf den Verbleib von Tulip zu bekommen. Nach langer Zeit des Zweifels will er endlich seine Frau wieder in seinen Armen halten. Eine überaus denkwürdige Reise führt Jesse quer durch die USA und wenn er nicht gerade Radio hört, nimmt er Anhalter mit. Unter diesen befindet sich der Ex-Pornodarsteller Jesse Strauss, der nach einem ziemlich bizarren Unfall mehr oder weniger auf der Flucht ist. Die beiden Sex-Detektive Bob und Freddy, die dem Leser noch aus Band 2 bekannt sein dürfen, werden ebenfalls mitgenommen und können Jesse mit einigen amüsanten Anekdoten aus ihrem Leben aufheitern. Und dann gibt es noch einen mysteriösen Fremden, bei dem es sich wahrscheinlich um Elvis handelt und der auch etwas zu erzählen hat.

 

Angekommen in New York kommt es zum unerwarteten Treffen von Tulip und Jesse. Allerdings möchte ich mich hier nicht in Details auslassen – dieses Wiedersehen wird dem Anspruch der bisherigen Reihe auf jeden Fall sehr gerecht. Als Tulip Jesse von ihrem sechs Monate dauernden Horrortrip mit Cassidy erzählt, kann dieser die Welt nicht mehr verstehen. Wie kann sein vermeintlich bester Freund, der zwar ein Arschloch ist, wirklich so übel drauf sein? Jesse macht sich auf Spurensuche in New York, um mehr über die dunkle Vergangenheit von Cassidy herauszufinden. Und er hat Glück – er trifft auf eine obdachlose Frau, die für einige Dollar bereit ist, ihm vom Leben des irischen Vampirs zu erzählen.

 

Natürlich dürfen auch alte Bekannte in diesem Band nicht fehlen: So gibt es ein Wiedersehen mit Hover, der nach seiner von Jesse in Auftrag gegebenen „Mission“ zu Mr. Starr zurückkehrt. Doch dieser hat eigene Probleme, da er Mr. Eisenstein geschickt bekommt, der den Vorfall im Monument Valley untersuchen soll. Und natürlich darf auch Arschgesicht nicht fehlen, der es mittlerweile zum Superstar gebracht hat, aber an einen ziemlich üblen Manager geraten ist.

 

Schreibstil & Artwork

Der Nordire Garth Ennis wurde am 16.01.1970 in Hollywood geboren. Eigentlich wollte er studieren, doch nach nur drei Monaten warf er alles hin und begann 1989, mit dem festen Vorsatz Comic-Autor zu werden, seine Karriere mit der Serie „Troubled Souls“, die von John McCrea gezeichnet wurde und in der kurzlebigen Anthologien-Reihe „Crisis“ erschien. Diese war überaus erfolgreich und erhielt sogar eine Fortsetzung. Mit „True Faith“ folgte eine weitere Serie für „Crisis“, die sich als Satire auf die Religion bezog, allerdings durch die massiven Proteste religiöser Verbände recht schnell wieder eingestellt wurde.

 

Seit 1991 verfasste er, neben einigen kürzeren Erzählungen, einige Episoden für die US-amerikanischen Comic-Serie „Hellblazer" und erhielt letztlich sogar seine eigene Serie: „Hitman". Regelmäßig arbeitet er mit den Zeichnern Steve Dillon, Glen Fabry und John McCrea zusammen. Als Comic-Autor erlangte er aber vor allem durch seine DC-Vertigo Comic-Serie „Preacher" großen Bekanntheitsgrad.

 

Gemeinsam mit Steve Dillon, den er während der Arbeit an „Hellblazer“ kennen und schätzen lernte, schufe er die Serie „Preacher“. Diese Reihe brachte es beim DC Label Vertigo auf 66 Ausgaben und erzählt die Geschichte eines desillusionierten Predigers Jesse Custer mit übernatürlichen Kräften, der auf der Suche nach Gott ist, welcher seine Schöpfung im Stich gelassen hat.

 

Zum Grundton der „Preacher“-Reihe gehört ein ätzend-böser schwarzer Humor, den Ennis seit Beginn pflegt, und auch der Einsatz von exzessiver Gewalt als Stilmittel, wobei der Autor keinen Halt vor Minderheiten, Blasphemie und anderen, zum Teil abgrundtief kranken Einfällen macht.

 

Auch wenn diese seltsame, oftmals wüste und brutale Suche nach Gott in diesem Band eine weitere Auszeit hat und Jesse sich auf die Suche nach seiner großen Liebe Tulip macht, so nimmt sich Ennis in diesem vorletzten Band der Reihe mehr als genügende Zeit für die Darstellung seiner fast kompletten Bandbreite an wichtigen Charakteren, egal ob es sich um Tulip, Cassidy, Mr. Starr oder Arschgesicht handelt. Es werden weitere Geheimnisse um die Vergangenheit manches Protagonisten gelüftet oder aber auch das Elend beleuchtet, in dem sich Arschgesicht als vermeintlich gefeierter Rockstar befindet oder aber das Dilemma von Mr. Starr, der seine Geheimgesellschaft im aussichtslos erscheinenden Kampf gegen Jesse Custer restlos dezimiert hat und nun nicht mehr weiter weiß.

 

Das größte Glanzstück dürfte ihm sicherlich mit der Familiengeschichte von Tulip und deren bester Freundin gelingen. Hier zeigt sich Ennis von seiner besten Seite, wohingegen die Geschichte um Cassidy in ihren Rückblicken zwar recht aufschlussreich, aber insgesamt etwas zu langatmig geraten ist. Bei Arschgesicht und Mr. Starr sollte sich der Leser auf einige sehr vergnügliche und kurzweilige Passagen einstellen, aber auch die Fahrt von Custer, den es aus der Kleinstadt Salvation nach New York zieht, verspricht ein kurzweiliges Wiedersehen mit zwei alten Bekannten und einigen wunderbar gelungenen Dialogen über die wahre Seele Amerikas.

 

Der Zeichner Steve Dillon, geboren 1962, hatte mit Garth Ennis bereits im britischen Comic-Bereich zusammengearbeitet, bevor dieser ihn für „Preacher" engagierte. Zum Verlauf der Geschichte soll Ennis nur eine Forderung an Dillon gestellt haben: „Überrasch mich!"

Auf den ersten Blick wirken die Zeichnungen von Dillon recht unscheinbar und wenig spektakulär – vielmehr hat man sogar manchmal den Eindruck, als seien einige Bilder geradezu eilig geschaffen worden, um die Deadline zu schaffen. Doch gerade dieser Stil macht ein großes Stück der Atmosphäre von „Preacher“ aus, da er den rotzigen Grundton der Charaktere eigentlich hervorragend unterstreicht.

 

Die Aufteilung der Panels ist insgesamt recht klassisch und so gibt es nur wenige Bildfolgen in unterschiedlichen Formaten, wechselnde Umrandungen oder großflächige Bildkompositionen, in denen die einzelnen Panels ineinander übergehen – obwohl für die Geschichte für Experimente sich hervorragend anbietet. Allerdings waren es die 90er und aus dem heutigen Blickwinkel dürfte Dilon unter Umständen einen zeichnerisch anderen Stil einschlagen. Die typischen Farben stammen wiederum von Pamela Rambo und Patricia Mulivhill.

 

Von ihrem Einfallsreichtum (und der Gestaltung) dürften die Zeichnungen von Dillon weder etwas für schwache Gemüter, noch für friedliebende Zeitgenossen sein, da die gewalttätigen, düsteren Ideen des Autors mit zahllosen und zum Teil schonungslosen Details in Szene gesetzt werden. Hierdurch ergänzen sie die zum Teil vorherrschende derbe Wortwahl, die nicht nur bei Auseinandersetzungen, sondern oft auch bei „normalen“ Dialogen im Alttag vorherrscht. Das mag zwar manchmal etwas gewöhnungsbedürftig sein, doch wirkt diese Kombination in ihrer Art nie aufgesetzt oder künstlich, sondern lässt die Figuren vielmehr authentisch erscheinen und machen gerade hierdurch einen großen Reiz dieser Reihe aus.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung

Mit Band 8 der auf insgesamt neun Bände angelegten Reihe präsentiert der Panini-Verlag im vorliegenden Sammelband „Bis zum letzten Atemzug“ die Hefte 51 bis 58 der Reihe sowie das Special „Tall in the Saddle“ („Aufrecht im Sattel“). In Sachen Qualität überzeugt dieser bleischwere Hardcover-Band mit seinen 256 Seiten auf jeden Fall: Man erhält nicht nur die Einzelhefte in gebundener Form, sondern auch die Nachdrucke der Cover der Einzelausgaben von Zeichner Glenn Fabry (die man fast schon als Gemälde bezeichnen müsste) nebst Anmerkungen zu ihrer Entstehung, Ausführung und Änderungen bis zum endgültigen Layout.

 

Etwas störend, aber bereits bei den anderen Sammelbänden angemerkt, ist die Heftung, die es manchmal etwas schwierig macht Textpassagen, die nah am Innenrand liegen zu lesen, ohne den Band dafür gehörig aufzuknicken. Das ist bei gebundenen Sammelbänden keine Neuheit und wahrscheinlich auch aus drucktechnischen Gründen nicht zu vermeiden. Die Übersetzung der Texte stammt von Fred Fliege & The Wild Bunch, die es auch weiterhin schaffen, den oftmals nicht ganz einfachen „Umgangston“ der Akteure ins Deutsche zu Übersetzen. An dieser Stelle sei auch das Lettering von Alessandro Benedetti lobend erwähnt, da sowohl die Optik als auch der Lesefluss einfach passt!

 

Fazit

Bei jedem Band der „Preacher“-Reihe dürften sich vielleicht auch heute noch alle Vorurteile bestätigen, die von konservativer Seite in den 90ern modernen Comics entgegengebracht werden: Sie seien primitiv, brutal, zynisch und verderben die Jugend bis auf die Knochen. Und dennoch möchte ich an dieser Stelle lieber die New York Daily News zitieren, die es meines Erachtens sehr gut auf den Punkt gebracht hat: „Preacher gibt einem den Glauben an gute Comics zurück“.

 

Fast scheint es, als würde dieser vorletzte Band der Reihe sich noch einmal ausreichend Zeit nehmen müssen, alle Geschichten zu erzählen, die bislang zu kurz kamen oder noch nicht erzählt wurden, um sich dann endlich einem spektakulären Ende zu nähern. Wie bereits erwähnt, gibt es etliche sehr gut erzählte Passagen in diesem Band, wozu ich insbesondere die Geschichte über den familiären Hintergrund und die Jugendjahre von Tulip zähle. Die Geschichte über die Vergangenheit von Cassidy, die Custer von einer älteren Obdachlosen erzählt bekommt, ist zwar sicherlich interessant, aber den Charakter von Cassidy zu beleuchten schafft sie irgendwie dann am Ende meines Erachtens nach doch nicht. Sie gibt dem Leser einige Erklärungen über die Entwicklung dieses einst besten Kumpels von Custer, doch eine Erklärung, warum er so ein mieses Arschloch ist, der im Laufe seines untoten Lebens etliche Frauen schamlos ausgenutzt hat, erhält man nicht. Hier dürfte der letzte Band der Reihe mit Sicherheit noch einige Erklärungen beinhalten, da eine Aussöhnung von Custer und Cassidy im Moment ziemlich schwierig erscheint.

 

Der Band bleibt in seiner Erzählung sehr geradlinig und lebt von einer Fülle von Rückblicken seiner Protagonisten. Um dieses starre Geflecht ein wenig aufzulockern, gibt es parallel hierzu die aktuellen Geschehnisse von Arschgesicht und Mr. Starr zu erleben. Eingebettet in das gestochen scharfe und klare Artwork von Steve Dillon beweist die Geschichte von Ennis wiederum zu Recht, warum die Reihe „Preacher“ in den 90er Jahren Kultstatus erlangt hat, der nach wie vor gilt und in dieser Art schwierig zu übertreffen sein dürfte. Ein Lesevergnügen mit reichlich bitter-schwarzem Humor und einer überzeugenden Geschichte. Allerdings sei an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich vor der Darstellung von Gewalt in diesem Band gewarnt, die nicht unbedingt jedermanns Geschmack sein dürfte und nichts für zartfühlende Gemüter ist.