Erwachte LänderDiese Rezension beschäftigt sich mit dem Shadowrun Quellenbuch „Erwachte Länder“, das bei FanPro erscheint. Das Buch ist ein klassischer Hintergrundband, der sich größtenteils mit dem Australien der 6. Welt beschäftigt, aber auch Informationen über andere erwachte Länder und Stätten der Macht bietet.
Zunächst einmal zur Aufmachung des Buchs: „Erwachte Länder“ ist ein Softcover mit 128 Seiten. Eine farbige Illustration des beliebten Künstlers Paul Bonner ziert das Cover. Eine Bewertung dieser Illustration spare ich mir an dieser Stelle, da jeder selbst entscheiden kann, ob ihm/ihr das Bild gefällt oder nicht. Der Innenteil ist durchgehend schwarz-weiß gehalten, die Anzahl der Illustrationen ist eher gering. Auch die Abstände zwischen Text und Seitenrand sind mit ca. 1cm sehr schmal, was zusammen mit der durchschnittlichen Schriftgröße zu einer sehr hohen Informationsdichte führt, was überaus positiv anzumerken ist.
Nun aber zum Inhalt des Buchs. Wie bereits erwähnt liegt der Schwerpunkt auf der Beschreibung des Australiens im Jahr 2060, jedoch sind das Thema insgesamt die „erwachten Länder“ der 6. Welt, also die Regionen, in denen eine überdurchschnittlich hohe magische Aktivität zu verzeichnen ist. Entsprechend beginnt das Buch auch mit einer Beschreibung verschiedener magischer Phänomene wie Manastürme, Manablasen oder Manaorkane. Anschließend folgt das mit 64 Seiten umfangreichste Kapitel des Quellenbandes: „Australien: Das Land Down Under“, das sich wie zu erwarten eingehend mit dem sechsten Kontinent beschäftigt. Ganz in der Tradition anderer Regional-Bände des Shadowrun Universums beginnt das Kapitel mit einer Abhandlung über die (fiktive) Geschichte Australiens im 21. Jahrhundert. Die geschichtlichen Informationen sind so ausführlich wie nötig und so knapp wie möglich gehalten, so dass der Leser zwar alles Wissenswerte erfährt, jedoch niemals gelangweilt wird. Der nächste Part trägt den bezeichnenden Namen „Leben in Australien“ und beschreibt auf vier Seiten verschiedene Aspekte des Alltags Down Under, gegliedert in einen allgemeinen Teil sowie Abschnitte über die Regierung, die herrschenden Bevölkerungsstrukturen, Wasser und Lebensstandard, Rech und Ordnung sowie die australische Matrix. Alle hier gebotenen Informationen sind äußerst brauchbar und angenehm präsentiert. Die folgenden drei Seiten gehen auf kriminelle Syndikate ein, die in Australien ein Rolle spielen, unter ihnen alte Bekannte wie die Mafia, die Yakuza oder die Triaden, aber auch einzigartige Organisationen wie die „Vory V Zakone“ (ein Ableger der russischen Mafia), die südafrikanische oder die griechische Mafia. Dies ist eines der wenigen Kapitel, bei dem etwas ausführlichere Informationen wünschenswert gewesen wären. In der vorliegenden Form werden nur kurz die Syndikate sowie ihre „Erwerbsfelder“ genannt. Mit „Stadtleben in Australien“ wird der Leser auf knapp neun Seiten über die wichtigsten Städte Australiens informiert. Das Kapitel enthält Informationen über Sydney, Melbourne, Brisbane, Canberra, Perth, Cairns und Darwin. Deutlich wird, dass Sidney im Jahr 2060 das australische Pendant zur Schattenmetropole Seattle darstellt. Die durch einen mysteriöserweise seit Jahrzehnten aktiven Manaorkan isolierte Metropole ist ein idealer Schauplatz für Kampagnen oder Abenteuer Down Under. Entsprechend liefert „Erwachte Länder“ auch mehr Informationen über Sidney, als über die anderen Städte. Im Anschluss an dieses sehr interessante Kapitel folgt auf sechs Seiten eine Beschreibung der Kons, die in Australien aktiv sind und was ihre wichtigsten Interessen sind. Die Informationen sind solide, wenn sie auch das Etikett „Der Vollständigkeit halber aufgeführt“ nicht ganz von sich weisen können. Das nächste Kapitel trägt den Titel „Die Traumzeit: Australische Magie“ geht auf sieben Seiten auf die magischen Traditionen der Aborigines ein. Auch in diesem Kapitel wird man gut informiert über die Tradition der Koradji (Aborigine-Schamanen), ihre Magie und Riten. „Das Outback“ beschäftigt sich mit dem australischen Hinterland und beschreibt auf 13 Seiten seine Besonderheiten, seine Bewohner und seine Gefahren. Einige besonders interessante Orte wie Uluru (besser bekannt als Ayers Rock), das Great Barrier Reef oder den Kakadu Regenwald. Diese Orte stechen natürlich nicht nur durch ihre außergewöhnliche Schönheit, sondern meist auch durch mysteriöse magische Phänomene oder unheimliche Bewohner hervor. Die nächsten sieben Seiten sind der Beschreibung von elf neuen Crittern (paranormale Kreaturen) gewidmet. Außerdem wird erklärt, welche der aus dem Grundregelwerk bekannten Wesen auch in Australien angetroffen werden können. Diese Informationen sind wohl hauptsächlich für den Spielleiter interessant (obwohl sie Spielercharakteren das Überleben Down Under erleichtern könnten). Den Abschluss dieses überaus aufschlussreichen Exkurses auf den sechsten Kontinent bildet das vier Seiten umfassende Kapitel namens „Magische Gefahren“, das in die Unterpunkte „Insektengeister“, „Children of the Rainbow Serpent“, „City“ und „Toxische Schamanen“. Während die erste und die letzte dieser magischen Bedrohungen einem geneigten Schattenläufer bestens bekannt sein sollten, bedürfen die beiden anderen einer Erklärung. Die Children of the Rainbow Serpent sind eine Terrorzelle von extremistischen Aborigines, die für die Rückgabe Australiens an seine Ureinwohner und die Rettung der Umwelt kämpfen. City hingegen ist ein Mysterium. Anscheinend handelt es sich hierbei um eine Verbindung freier Geister, deren Ziele jedoch völlig unklar sind.
Das nächste große Kapitel trägt den Namen „Erwachte Stätten“ und beschreibt auf 20 Seiten insgesamt 17 solche Orte die für seltsame magische Phänomene berühmt und berüchtigt sind. Wem das ein wenig knapp erscheint, dem sei gesagt, dass es sich tatsächlich nur um recht oberflächliche Informationen handelt, die aber als Plot Hooks mehr als ausreichend sind. Was man nicht erwarten sollte, ist eine ähnlich detaillierte Abhandlung wie sie über Australien zu finden ist. Insgesamt sind die Informationen aber auch in diesem Kapitel sehr gut „verpackt“. Die Schreibe ist recht gut, was es angenehm macht, das Kapitel zu lesen.
Abgerundet wird „Erwachte Länder“ schließlich von einem 26 Seiten umfassenden Kapitel namens „Spielleiterinformationen“, das auch genau diese enthält, nämlich Regeln und tiefer greifende Informationen zu so ziemlich allem, was man in den vorhergehenden Kapiteln erfahren hat. Es versteht sich von selbst, dass dieser Teil des Quellenbandes für Spieler tabu ist. Die Regeln sind solide und bauen halbwegs systematisch auf die Grundregeln auf, wenn auch bei Erwachte Länder eine alte Schwäche des Shadowrun Systems auftritt, nämlich das Hinzufügen von neuen Mechanismen mit fast jedem Erweiterungsband. Dies führt dazu, dass das System immer unübersichtlicher wird, je mehr zusätzliche Regelwerke man einbezieht (ein Fehler, der z.B. auch die 2. Edition von AD&D belastet hat). Insgesamt hält sich die „Regel-Wucherung“ bei dem vorliegenden Band aber absolut im Rahmen (verglichen mit anderen SR-Regelwerken).
Fazit: Um es kurz zu machen: Erwachte Länder ist ein hervorragender Quellenband für Shadowrun, soweit man vorhat, eine Kampagne in Australien zu spielen. Sämtliche Hintergrundinformationen werden ausgesprochen gut präsentiert, und nicht zuletzt die gute Arbeit des Übersetzers (Mario Hirdes) rundet den positiven Gesamteindruck ab. Auch die altbekannten Kommentare von Schattenläufern lockern den Text auf und sorgen für ein sehr angenehmes Leseerlebnis. Die Verwendbarkeit im Spiel ist hervorragend (als Spielleiter sind mir beim Lesen Dutzende Ideen für gute Abenteuer Down Under gekommen), aber auch als unterhaltsame Abendlektüre ist der Quellenband durchaus zu empfehlen. Insgesamt richtet sich Erwachte Länder natürlich eher an Spielleiter denn an Spieler. Schließlich sollte noch der vergleichsweise geringe Preis von 23 € erwähnt werden, der die Spieler anderer System (vor allem Dungeons & Dragons) vor Neid erblassen lässt. Soviel Buch bekommt selten für sein Geld! Doch nun auch noch einige Kritikpunkte. Zunächst einmal ist der Titel des Quellenbandes etwas irreführend. „Australien in den Schatten“ wäre wohl passender gewesen, den andere erwachte Länder werden eigentlich nicht beschrieben und die Informationen zu den erwachten Städten in anderen Erdenteilen sind eher spärlich. Außerdem verweist „Erwachte Länder“ hin und wieder auf andere Regelerweiterungen (hauptsächlich „Schattenzauber“), was dazu führt, dass dem Leser teils wichtige Informationen vorenthalten werden, wenn er diese Werke nicht besitzt. Die Häufigkeit solcher Verweise ist allerdings nicht besonders hoch. |
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