Links zur Rezension Inhalt:Im kleinen Städtchen Fennelburg, mitten in der landwirtschaftlich ausgerichteten Zone 235b, trifft Mrs. Rutherford bei der täglichen Wäsche angesichts der frivolen Unterwäsche ihrer Tochter Annemone mehr oder weniger der Schlag. Auf dem Sterbebett liegend verfügt sie im Beisein ihres Arztes, dass Annemone nur dann ihr Erbe antreten kann, wenn sie ihren Vater Dr. Wedgeworth Rutherford wiederfindet. Der mittlerweile berühmte Genetiker hatte sie vor 25 Jahren einfach mit ihrem Kind sitzen lassen.
Die Suche nach ihrem Vater führt Annemone mit der Hilfe des überaus zwielichtigen Privatdetekivs Matt Brennan und dessen schlagkräftigen Gehilfen Charlemagne Detracy in die Wirtschaftszone 237, ins Herz der Hauptstadt Bib Krik und mitten in die Vorbereitungen zur 25-Jahr Feier von „Pro Genetics“, dem omnipräsenten Konzern der genetischen Zukunft. Während Dr. Rutherford als geniales wissenschaftliches Oberhaupt von „Pro Genetics“ noch um die Hand der Bürgermeisterin Marla Moronoff buhlt, hegt sein Boss Édouard Duchâteau ganz eigene, finstere Pläne und im Hintergrund brauen sich nicht nur um die Bio-Gemüsehändler dunkle Wolken zusammen. Zumindest nimmt das weitere Chaos seinen Lauf.
Schreibstil & Artwork:Der am 1.3.1958 in Gießen geborene Autor, Illustrator und bildende Künstler Hans-Michael Kirstein machte 1977 sein Abitur an der Liebigschule Gießen, dem sich von 1977 bis 1982 ein Studium der Visuellen Kommunikation in Mainz anschloss. Studienschwerpunkte waren Illustration, Typographie sowie Designgeschichte; sein Abschluss Diplom-Designer. Bereits während seines Studiums setzte sich Kirstein mit etlichen kunsttheoretischen Fragen auseinander, um dann Mitte der 80er Jahre unter anderem an Schulen über Comics zu referieren. Der sich selbst als „Zack“-konditionierter Leser bezeichnende Kirstein war schon früh ein großer Freund von Hermann, den er regelmäßig mit seiner Fan-Post „belästigte“, bis es nach einigen Jahren zu einem ersten Treffen der beiden kam. Über die Jahre hinweg entwickelte sich eine freundschaftliche Beziehung zwischen den beiden Künstlern, aber auch die Idee eines gemeinsamen „Comic-Projektes“, bei welchem Kirstein das Szenario liefern sollte, welches Hermann dann mit überaus denkwürdigen Panels füllen sollte.
Was Kirstein als Handlungsfaden und an Akteuren liefert ist ein kunterbuntes Durcheinander an Ideen, Dialogen und anderen denkwürdigen Seltsamkeiten. So kommt die Geschichte zwar auf ihrem Weg voran, aber immer wieder erwarten den Leser einige heftige Schlaglöcher auf dem Weg bis zum Ende dieser seltsam gewundenen Straße. Doch steckt hinter vielem (oder auch manchem) eine wirklich vorhandene Absicht des Autors, die sich unter Umständen dem einen oder anderen Leser erschließt – mir manchmal nicht. Und so muss ich hier etwas zögern und bin immer noch am Zweifeln, ob es sich um große Kunst oder schenkelklopfende Banalitäten handelt.
Der belgische Zeichner Hermann wurde 1938 in Bévercé in der Nähe von Lüttic geboren. Nach einem Studium in Möbeldesign arbeitete er zunächst als Innenarchitekt, entdeckte jedoch bald seine Liebe zu Comics und arbeitete ab 1964 unter anderem für die Magazine „Spirou“ und „Tintin“. Der Szenarist Greg erkannte sein großes Talent und bat ihn, weiterhin als Zeichner für ihn zu arbeiten. 1966 begann er mit Greg die Serie „Andy Morgan“, welche in der Zeitschrift „Tintin“ erschien und der sich 1969 „Comanche“ hinzugesellte. Erst 1977 begann er eigene Geschichten zu schreiben und realisierte die sehr erfolgreiche Serie „Jeremiah“, die er für den deutschen Herausgeber Koralle erfand und die bis heute erscheint. 1983 kam die im Mittelalter spielende Serie „Die Türme von Bos-Maury“ hinzu. Neben den Serien entstanden viele Einzelbände, so auch der mittlerweile verfilmte Band „Lune de Guerre“ (Die Bluthochzeit).
Dieser Band dürfte für Kenner und Liebhaber von Hermann sicherlich ein mehr als untypisches Erlebnis sein, da er sowohl seine bekannte Struktur, seine eindeutigen graphischen Vorlieben, den Erzählstil und vieles andere schlicht und ergreifend über Bord wirft. Dabei geht Hermann sehr subtil und intelligent mit seinen Farben und mit einem sehr schnellen Strich vor, der den Zeichnungen nicht nur ein sehr hohes Maß an Spontanität verleiht, sondern dies auch sehr intensiv bei den Figuren, Landschaften und Hintergründen zu sehen ist. An dieser Stelle sei auch Sibin Slavkovic erwähnt, dem die Kolorierung oblag und der mit seinen sanft-dezenten Farben (die dennoch recht bunt sein können!) für ein insgesamt recht harmonisches Bild sorgt.
Qualität, Ausstattung & Übersetzung:Der Splitter Verlag bietet seinem Leser den gewohnten und von mir hoch geschätzten Standard in Sachen Comic: Eine solide Heftung in einem robusten Hardcoverband, der sowohl durch seine Verarbeitung als auch durch sein klares Druckbild überzeugt. Zudem gibt es für diesen besonderen Comic mit seinem recht speziellen Inhalt ein umfangreiches „Making-of-Interview“ mit dem Autor Hans-Michael Kirstein, welches nicht nur durch seine Inhalte, sondern auch durch die zahlreichen Skizzen, Entwürfe und zusätzlichen Erklärungen besticht. Die Übersetzung stammt von Dr. Guido J. Braem, der sich mit den sicherlich nicht immer ganz einfachen Dialogen auseinandersetzen musste, dies aber recht überzeugend gemacht hat.
Fazit:Ein eher experimenteller SF-Comic, der durch skurrile Ideen, abstruse Charaktere und einen gewöhnungsbedürftigen Erzählfluss verstört, aber irgendwie auch zu unterhalten weiß. Es gibt zwar eine gewisse Moral (von der ich meine, sie zumindest in Grundzügen erkannt zu haben), aber keinen erhobenen Zeigefinger. Überaus hilfreich ist das umfangreiche Interview mit Hans-Michael Kirstein, in dem dieser die Entstehung des Comics beschreibt und einiges über die Vorgehensweise bei der Ausgestaltung der zahllosen komischen oder auch genialen Ideen erzählt. Man mag sicherlich zugestehen, das ohne die Mitwirkung des Zeichners Hermann diesem Comic nicht ohne weiteres so viel Lob zugekommen wäre – doch was ist, wenn man Hermann nicht kennt? Für solche Leser dürfte dieser Band vielleicht wie ein Relikt aus den frühen 80er Jahren des vorherigen Jahrhunderts erscheinen, in dem sich ein im Drogenrausch befindlicher Szenarist die Nächte mit einem überaus talentierten Zeichner um die Ohren schlägt und beide sich im Morgengrauen unter Umständen wundern, was sie letztlich zu Papier gebracht haben. Da ich das zeichnerische Talent von Hermann sehr hoch schätze, war dieser Band eine willkommene Einladung zu einem ungewohnten Ausflug, der auch in meine Bewertung eingeflossen ist. Insoweit kann ich diesen Band allen begeisterten Hermann-Fans nur voll und ganz empfehlen. Ansonsten dürfte es für den normalen Leser ein nicht sonderlich leicht zu verdauender Comic sein, der allerdings mit einem Augenzwinkern daher kommt und einfach nur unterhalten möchte.
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