InhaltWinter 1946: der Krieg ist vorbei und die Stadt, in der Viktor lebt, ist zerbombt. Nur ein einziger Stadtteil hat die Angriffe wie durch ein Wunder schadlos überstanden, wobei es schadlos auch nicht richtig trifft. Hier leben nur Mörder, Diebe, Huren und die paar Seelen, die es aus welchen Gründen auch immer nie geschafft haben von hier fort zu gehen. Die Bewohner des Viertels nennen es dennoch das kleine Paradies. Viktor schlägt sich hier ebenfalls durch. Er ist groß, fett, aber geschäftstüchtig und bringt immerhin trotz des Krieges einen laufenden Lebensmittelladen über die Runden. Bei dem Versuch einem Nazi-General die Flucht aus der Stadt zu ermöglichen, fallen Viktor des Generals kleine Tochter Lena und eine ominöse Tasche in die Hand. Er schaut hinein und weiß, dass er sie sofort wegschmeißen sollte, aber er tut es nicht. Dafür nimmt er die kleine Lena mit zu sich, denn ihre Eltern sind bei ihrem Fluchtversuch buchstäblich in die Luft gegangen.
Als sei das nicht schon genug für das einfache Leben eines Krämers in finsterer Gesellschaft, fällt ihm buchstäblich noch Anna vor die Füße. Sie fällt quasi aus den Wolken in den Schnee von Viktors Hinterhof – unverletzt! Schnell wird klar, ein normaler Mensch kann sie nicht sein. Viktor, gespalten zwischen Angst und Hilfsbereitschaft, nimmt sie auf und gibt ihr ein Zimmer. Der Leser erfährt, woher Anna stammt, was sie ist und was sie gerade versucht. Sie möchte gern von Ihresgleichen fort und wieder unter Menschen leben, wie in ihrer Kindheit. Doch das Leben in dem Viertel – dem kleinen Paradies – ist hart und das macht es für Anna nicht einfacher, sich wieder unter Menschen zu Recht zu finden. Dazu haben die Wesen, zu denen sie nicht mehr gehören möchte, sie noch nicht aufgegeben. Und, was ist eigentlich in dieser ominösen Tasche?
Schreibstil & ArtworkDas Erstlingswerk des Deutschen Daniel Schreiber ist recht ungewöhnlich. Nicht nur, dass es eine rein deutsche Produktion ist – also nicht aus dem Französischen übersetzt werden musste – es ist auch eines der wenigen Werke, in denen Autor und Zeichner die gleiche Person sind. Dennoch kann man beides als gelungen bezeichnen. Seine Bilder sind zwar düster und geben zu jeder Zeit die Stimmung wieder, die in so einem Viertel wohl herrschen muss. Des Weiteren bewegen sie sich auf einem sehr hohen Niveau und passen perfekt zur Geschichte. Es gibt dabei einen weiteren interessanten Punkt: keine einzelne Figur im ganzen Comic ist hübsch zu nennen. Alle, selbst die Protagonistin, wirken düster und irgendwie unansehnlich, als müssten alle Bewohner dieser Umgebung einfach so aussehen. Es mag Daniel Schreibers persönlicher Stil, oder auch nur ein Stilmittel für diesen Band sein, es ist ihm jedenfalls gut gelungen.
Dazu kommt noch, dass seine Figuren mich eher an Franzosen, als an Deutsche erinnern – was auf keinen Fall an der Hässlichkeit der Figuren, sondern mehr an ihrer Art liegt. Das ist insofern zu bemerken, da nahezu alle Comics im Splitter Verlag aus Frankreich stammen und nun eine der wenigen Ausnahmen dennoch sofort französisch wirkt. Bemerkenswert.
Die Geschichte von Annas Paradies ist hingegen noch etwas wage. Der Band liest sich spannend, die Figuren sind interessant und lassen hoffen, aber trotz 60 Seiten geschieht eigentlich nicht viel. Ein Comic beschränkt sich normalerweise auf kurze knappe Aktionen, einfach weil der Platz fehlt. Dieser Band schafft sehr viel Stimmung und einen tollen Rahmen für mehr, aber er erzählt doch recht wenig. Dennoch, die Qualität von Figuren und Geschichtsbeginn sind nicht übel, die Sprache ist sauber und passend und vieles wird einfach über die tadellosen Artworks erreicht. Insgesamt ist es ganz sicher kein schlechtes Erstlingswerk.
Qualität und AusstattungEs ist ein Splitter. Für Kenner reicht dieser Satz, für alle anderen sei gesagt, dass man bei allen Splitter Comic Bänden (die ich bislang in Händen halten durfte) ein übergroßes Hardcover erhält, das sich durch einen soliden Einband, einen fehlerlosen Druck und gutes Material immer wieder auszeichnet. In diesem Band bekommt der Kunde am Ende noch einen Bonus von Daniel Schreiber, wie sein erster Entwurf eines Covers ausgesehen hat, dazu die kompletten Geschichte, wie es entstand, was auch einen Einblick gibt, wie der Künstler arbeitet. Das liest sich ebenfalls gut.
Fazit:Ich bin noch nicht sicher, ob dieser Comic Band mit den von mir gegebenen 3.5 Punkten zu gut oder zu schlecht wegkommt. Das liegt nicht an den Zeichnungen, die ohne Frage sehr gut sind. Ihr düsterer Ton mag nicht jedem gefallen, aber an der Qualität ändert das nichts. Man kann hierfür das Coverbild als Beispiel nehmen. Die Geschichte lässt mir zu viele Fragen offen, um den Band besser zu bewerten. Ich will hier keine weiteren Spoiler einfügen, denn so viel Geschichte hat der Band eben nicht, dass er zu viele Infos verkraften könnte, ohne dem Leser den Spaß zu nehmen, den der Band in jedem Fall bieten kann. Für wen ist der Comic etwas? Prinzipiell für jeden, der mysteriöse und düstere Geschichten mag, dem der Zeichenstil gefällt und der sich auf offene Geschichten einlässt. Die Serie ist auf 3 Bände ausgelegt, nach dem zweiten Band weiß man da sicher mehr. Für ein Erstlingswerk ist es sicher als gelungen zu bezeichnen. Freuen wir uns also auf Band 2.
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