Inhalt:Für Giuseppe Bergmann beginnt endlich das echte Leben! Er wird von einer Produktionsfirma ausgewählt ein großes Abenteuer zu erleben, welches wirklich fesselnd und aufregend sein soll. Seine Zuschauer sollen dabei ihren Alltag komplett vergessen und Dinge miterleben, die sie noch nie zuvor gesehen haben. Geld spielt dabei keine Rolle. Als „Gehilfe“ wird ihm von dem Produzenten dieser seltsamen „Reality-Show“ ein gewisser H.P. aus Venedig zur Seite gestellt, bei dem es sich um niemand geringeres als die Figur von Hugo Pratt handelt. Doch schon die Reise nach Venedig ist voller seltsamer Ereignisse und einiger einschneidender Erlebnisse: Beim Baden im Meer wird er bedroht, gerät in die Wirren einer Demonstration und soll sich sogar entscheiden, auf wen er mit einer Waffe schießen soll.
Es verschlägt Giuseppe Bergmann schließlich kurzerhand nach Puerto Ayacucho am oberen Lauf des Orinoco nach Südamerika, wo sein eigentliches Abenteuer nunmehr richtig beginnen soll. Was folgt ähnelt mehr einer Odysee durch das fremde Land, welches ihm die Bekanntschaft mit einigen finsteren Glückrittern und hübschen Damen einbringt, ihn Schiffbruch auf dem Orinoco erleiden lässt, die Gastfreundschaft von Indios einbringt und sogar einen ziemlich schmerzhaften Kontakt mit südamerikanischen „Freiheitskämpfern“ hautnah spüren lässt.
Wie das große Abenteuer für den Protagonisten Giuseppe Bergmann endet? In gewisser Weise tragisch, aber zum Glück wird diese Reihe ja fortgesetzt.
Schreibstil & Artwork:Milo (eigentlich: Maurilio) Manara wurde am 12.09.1945 in Lüsen, einem Ort nahe Bozen in Südtirol, geboren und gehört heute unumstritten zu den weltweit renommiertesten Comic-Künstlern, obwohl er als Zeichner für Comics erst in den späten 60er Jahren in Erscheinung getreten ist. Mit regelmäßigen Zeichnungen für zwei in Italien sehr populäre, zum Teil pornografische Comicmagazine des Genres „fumetti neri“ (ital.; zu Deutsch „schwarze Comics“) finanzierte er zwischen 1968 und 1971 sein Architekturstudium an der Universität in Venedig. Sein Erstlingswerk „Genius“ aus dem Jahr 1969 ist der erste Schritt in eine außergewöhnliche Comic-Karriere. Zwischen 1971 und 1973 zeichnete er die billig produzierte erotische Piratenstory „Jolanda de Almaviva“ und fertigte etliche Comicstrips für die italienischen Magazine „Telerompo“ und „Corriere dei Ragazzi“.
Der Durchbruch gelang Manara 1978 mit seiner Comicadaption des chinesischen Literaturklassikers „Der Affenkönig“, dem in der Zeit von 1978 bis 1987 die nach den Vorlagen von Hugo Pratt und Federico Fellini geschaffene Reihe um die Figur des Giuseppe Bergmann folgte. Sein besonderes Faible für Erotik (gemischt mit gediegenem Humor) führte Manara 1983 in der Reihe „Click!“ fort. Weitere internationale Erfolge stellten sich allerdings auch ein – so erschienen beispielsweise „Mann aus Papier“, „Der Schneemensch“, „Candid Camera“ oder aber Ende der 90er Jahre „Kamasutra“. Zu den Höhepunkten seines Schaffens im Bereich des anspruchsvollen erotischen Comics dürften zweifelsohne „Außer Kontrolle“ („Il gioco“), veröffentlicht 1983, und „Der Duft des Unsichtbaren“ („Il profumo dell'invisibile“) gehören.
In den 80er-Jahren begann Manara damit, verstärkt mit anderen großen Künstlern wie Hugo Pratt, Federico Fellini oder aber auch Luc Besson zusammenzuarbeiten. Gemeinsam mit Pratt schuf er die beiden Bände „Ein indianischer Sommer“ und „El Gaucho“, mit Fellini entstanden „Die Reise nach Tulum“ und „Die Reise des G. Mastorna“. Doch Manara zeigt sich auch in anderen Genres recht umtriebig. So schuf er mit dem französischen Regisseur Luc Besson zwei Werbespots für die Parfum-Marke „Chanel No. 5“, arbeitete an der Visualisierung verschiedener Spots für Autofirmen mit oder schuf CD-Cover für diverse Interpreten.
Doch seine Leidenschaft für das Medium Comic ist ungebrochen. Zu seinen letzten Arbeiten gehört die gemeinsam mit dem Szenaristen Alexandro Jodorowsky entstandene historische Comic-Reihe „Die Borgia“, die zwischen 2006 und 2010 auf deutsch bei „Kult Editionen“ erschien und der Band „X-Men – Frauen auf der Flucht“, den er mit Chris Claremont, dem wichtigsten und einflussreichsten Autor in der Geschichte von Marvels X-Men, schuf.
Wie in fast allen Ländern der westlichen Welt, so kam es in den Jahren um 1968 auch in Italien zu einem Aufbegehren der Studenten, die später in den 70er Jahren nicht nur in der Gründung von verschiedenen linksextremistischen Gruppierungen ihren Höhepunkt fand. 1973 hatte Italien die größte revolutionäre Linke aller entwickelten Industrieländer, mit Zehntausenden von Anhängern und drei Tageszeitungen. Im Frühjahr 1977 besetzten Studenten in Palermo, Catania und Neapel ihre Universitäten, um gegen die Abschaffung einiger Feiertage sowie ein geplantes Gesetz zur Universitätsreform zu protestieren. Im Februar 1977 kam es zu Übergriffen von Faschisten und nachdem die Polizei zwei Demonstranten erschossen hatte, die Universität von Bologna besetzte und linke Radiostationen dicht machte, eskalierte die Situation: Erstmals machten auch Demonstranten von der Schusswaffe Gebrauch.
Manara, dem man eigentlich eher den Hang zur Darstellung von nackten Damen und allerlei erotischer Spielerei nachsagt, nimmt sich dieser dramatischen Geschehnisse in seinem Land indirekt an und sorgt mit zahlreichen Anspielungen auf politische Unruhen, Demonstrationen und einer klischeehaften Überzeichnung revolutionärer Träumerei für eine seltsam unentschlossene Handlung, in deren Mittelpunkt Giuseppe Bergmann steht. Der Protagonist schickt sich an in diesen wilden, von Drogen, sexueller Emanzipation und dem unbändigen Drang nach Freiheit geprägten Hintergrund sein „eigenes“ Abenteuer zu suchen. Den Anspruch den Manara dabei mit seiner Geschichte erhebt ist hoch, doch bleibt sie – trotz aller zeichnerisch überzeugenden Ausführungen – irgendwo ein wenig blutleer. Hier rächt es sich wahrscheinlich, dass Hugo Pratt den Vertrag für Manara für das Comicmagazin „A Suivre“ eingefädelt hatte und dieser nun vor dem Problem stand, schnell eine überzeugende zeitgenössische Geschichte zu Papier zu bringen.
Die gänzlich in schwarz-weiß gehaltenen Zeichnungen bestechen durch ihre absolut realistische Darstellung, bei dem der feine, aber dennoch markant-präzise Strich von Manara noch mehr zur Geltung kommt, als in seinen kolorierten Alben. Für manchen Betrachter mögen diese Zeichnungen etwas „altbacken“ aussehen, aber man muss sich dabei auch das Alter der Geschichte vor dem Hintergrund des damaligen Geschmacks vor Augen halten.
Qualität, Ausstattung & Übersetzung:Insgesamt „nur“ 148 Seiten als gebundene Hardcoverausgabe mit edlem Schutzumschlag und gediegenem Papier machen auch diesen Band der Werkausgabe nicht nur zu einem Schwergewicht sondern, sondern schon der äußere Eindruck weiß zu überzeugen: Unter dem stilvoll gestaltetem Schutzumschlag verbirgt sich (wie bei den anderen Bänden) ein gänzlich in einem geschmackvollen Rotton gestalteter Hochglanzeinband, den auf der Vorder- und Rückseite jeweils eine leicht bekleidete Dame ziert, wie man sie aus dem opulenten Schaffenswerk von Manara kennt.
In Sachen Ausstattung gibt es als Einstimmung wiederum ein sehr lesenswertes Vorwort, welches sich intensiv mit den Hintergründen zur Entstehung der Figur des G. Bergmann und einigen zusätzlichen Zeichnungen aufwarten kann. Zudem gibt es im Anhang noch einen weiteren Leckerbissen: Auf 17 Seiten wird die „Felliana“ präsentiert, die im Jahr 2000 entstanden ist und – wie der Name unschwer verrät – eine zeichnerische Hommage an das Schaffenswerk des italienischen Regieurs Frederico Fellini ist.
Fazit:Mit der Figur Giuseppe Bergmann versucht Manara die Denk- und Fühlweise eines Zeitalters einzufangen und auf seine eigene intelligente Art und Weise dem Leser näher zu bringen. Manches mag davon heute unverständlich sein (oder auch weiterhin bleiben). Dennoch sind die Geschichten um den seltsamen Protagonisten und seiner abenteuerlichen Suche souverän in Szene gesetzt und können durchaus mit Blick auf künstlerische, philosophische oder auch religiöse Themen beeindrucken. Wer geballte Erotik in diesem Band erwartet, den muss ich allerdings enttäuschen. Auch wenn den Leser einige hervorragend gelungene erotische Zeichnungen erwarten, so steht doch die skurrile Selbstfindung von Giuseppe Bergmann deutlich im Vordergrund.
Unterm Strich bleibt ein Stück italienischer Zeitgeist, der nicht unbedingt an Aktualität verloren hat und auch nach einigen Jahrzehnten für manchen Leser eine gelungene Entdeckung sein dürfte. Ich persönlich kann mich leider nicht uneingeschränkt den zahlreichen Kritikern anschließen, welche diese Reihe als absolute Pflichtlektüre empfehlen – dafür muss man Manara schon sehr mögen und sich in eine andere Zeit versetzen können, da ansonsten dieser Band nur ein verwirrendes Erlebnis bleibt, von dem Manara selbst sagte, „es sei der Versuch das komplexe Verhältnis zwischen Realitätsflucht und Kompromiss zu erkunden“.
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