Inhalt:Der Leser wird in diesem Band – entgegen des Titels – mit einer neuen Protagonistin konfrontiert, welche eigentlich mehr oder weniger anstelle von Giuseppe Bergmann eine wesentliche Rolle in dem Szenario übernimmt. Es handelt sich um Fosca, die sexuell frustrierte Ehefrau eines Carabinieri, der sich beim Polo-Spiel das Rückgrat gebrochen hat und die sich als Produktionsleiterin für eine Filmfirma ihr Geld verdient. Ihr Vorgesetzter möchte sie auf die Suche nach einer verschollenen Filmcrew schicken, die seit einigen Monaten verschwunden ist und deren experimenteller Film die Produktionsfirma bereits eine gehörige Menge Geld gekostet hat. Die letzten Hinweise auf den Verbleib der Crew stammen aus Kathmandu und so muss sich Fosca an der Seite von Steve, dem Drehbuchautor, Fabio und Giuseppe Bergmann, der als Fahrer fungiert, mit einem zum Wohnmobil umgebauten Laster auf die Spur der Mitglieder der Crew machen bis nach Kathmandu.
Die einzig verfügbaren Indizien über den Verbleib der Gruppe sind einige scheinbar defekte Videobänder mit dem bereits gedrehten Material. Hier fügt Manara geschickt eine zweite Handlungsebene in das Szenario ein und der Leser kann auf den Bändern die Szenen und Aufnahmen von den Orten sehen, an denen die verschollene Filmcrew bereits Material für ihren Film gedreht hat. Im Zentrum der Handlung steht dabei ein mittelalterlicher Ritter, der stark an die Figur „Prinz Eisenherz“ von Harold Foster erinnert und der ebenfalls eine Reise von Europa nach Indien antritt, wo er nach einem langen Ritt und zahllosen mystischen und absurden Erlebnissen schließlich sein Seelenheil findet.
So führt die Reise sowohl den Ritter auf den Bildern der Videobänder als auch die seltsame anmutende Vereinigung von Menschen um Fosca an die Handlungsorte der Aufnahmen und geradewegs in eine düstere und bedrohliche Atmosphäre, da Militärs scheinbar daran interessiert sind, in den Bergen von Tibet einen Nukleartest durchzuführen. Schreibstil & Artwork:Milo (eigentlich: Maurilio) Manara wurde am 12.09.1945 in Lüsen, einem Ort nahe Bozen in Südtirol, geboren und gehört heute unumstritten zu den weltweit renommiertesten Comic-Künstlern, obwohl er als Zeichner für Comics Manara erst in den späten 60er Jahren in Erscheinung getreten ist. Mit regelmäßigen Zeichnungen für zwei in Italien sehr populäre, zum Teil pornografische Comicmagazine des Genres „fumetti neri“ (ital.; zu Deutsch „schwarze Comics“) finanzierte er zwischen 1968 und 1971 sein Architekturstudium an der Universität in Venedig. Sein Erstlingswerk „Genius“ aus dem Jahr 1969 ist der erste Schritt in eine außergewöhnliche Comic-Karriere. Zwischen 1971 und 1973 zeichnete er die billig produzierte erotische Piratenstory „Jolanda de Almaviva“ und fertigte etliche Comicstrips für die italienischen Magazine „Telerompo“ und „Corriere dei Ragazzi“.
Der Durchbruch gelang Manara 1978 mit seiner Comicadaption des chinesischen Literaturklassikers „Der Affenkönig“, dem in der Zeit von 1978 bis 1987 die nach den Vorlagen von Hugo Pratt und Federico Fellini geschaffene Reihe um die Figur des Giuseppe Bergmann folgte. Sein besonderes Faible für Erotik (gemischt mit gediegenem Humor) führte Manara 1983 in der Reihe „Click!“ fort. Weitere internationale Erfolge stellten sich allerdings auch ein – so erschienen beispielsweise „Mann aus Papier“, „Der Schneemensch“, „Candid Camera“ oder aber Ende der 90er Jahre „Kamasutra“. Zu den Höhepunkten seines Schaffens im Bereich des anspruchsvollen erotischen Comics dürften zweifelsohne „Außer Kontrolle“ („Il gioco“), veröffentlicht 1983, und „Der Duft des Unsichtbaren“ („Il profumo dell'invisibile“) gehören.
In den 80er-Jahren begann Manara damit, verstärkt mit anderen großen Künstlern wie Hugo Pratt, Federico Fellini oder aber auch Luc Besson zusammenzuarbeiten. Gemeinsam mit Pratt schuf er die beiden Bände „Ein indianischer Sommer“ und „El Gaucho“, mit Fellini entstanden „Die Reise nach Tulum“ und „Die Reise des G. Mastorna“. Doch Manara zeigt sich auch in anderen Genres recht umtriebig. So schuf er mit dem französischen Regisseur Luc Besson zwei Werbespots für die Parfum-Marke „Chanel No. 5“, arbeitete an der Visualisierung verschiedener Spots für Autofirmen mit oder schuf CD-Cover für diverse Interpreten. Seine Leidenschaft für das Medium Comic ist jedoch ungebrochen. Zu seinen letzten Arbeiten gehört die gemeinsam mit dem Szenaristen Alexandro Jodorowsky entstandene historische Comic-Reihe „Die Borgia“, die zwischen 2006 und 2010 auf deutsch bei „Kult Editionen“ erschien und der Band „X-Men – Frauen auf der Flucht“, den er mit Chris Claremont, dem wichtigsten und einflussreichsten Autor in der Geschichte von Marvels X-Men, schuf.
Selbstverwirklichung war in den späten sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts das erklärte Ziel von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen in vielen westlichen Industriestaaten, so auch in Italien. Und so entstanden in den 70er Jahren Gruppierungen, die statt der herrschenden Gesellschaftsstrukturen selbstbestimmte, alternative Lebensentwürfe bevorzugten. Sie suchten Erleuchtung, freie Liebe oder Bewusstseinserweiterung mittels aller möglichen Drogen. Leuchtende Augen bekamen in den 70er Jahren Hippies und Aussteiger jeder Art, die von Goa hörten. Dort meinten Sinnsucher, Esoteriker, Kapitalismuskritiker und Gurus aller Art, das Gelobte Land gefunden zu haben. So wundert es auch nicht, wenn Manara seine Akteure auf einer Art „Hippie Trail“ mit ihrem umgebauten Lkw geradewegs durch Staaten wie die Türkei bis nach Indien führt. Allerdings hat Manara weit aus mehr im Sinn als die Mitglieder seiner Reisegruppe lediglich auf einen absurden Trip zu schicken. Er nutzt geschickt die beiden Erzählebenen aus und führt den Leser mit auf die Suche nach dem verschollenen Filmteam, welches seinen wiederum fiktiven Ritter auf eine mystische Reise führt, die ihm letztlich Erleuchtung und Zufriedenheit an einem paradiesischen Ort bringen soll. Aber Manara zeigt sich hier als Schelm und präsentiert keine Erlösung – zumindest nicht für die Akteure seiner Handlung. Die mystische Verklärung des Aussteigertums erhält bei ihm einen bitteren Beigeschmack und auch die Suche nach dem wahren Paradies wird kritisch beleuchtet.
Die Bergmann-Reihe besticht auch in diesem Band durch ihre gänzlich in schwarz-weiß gehaltenen Zeichnungen und eine angenehm realistische Darstellung der Protagonisten, der eine gewisse Leichtigkeit inne wohnt. Der feine, aber dennoch markant-präzise Strich von Manara kommt durch den harten Kontrast noch mehr zur Geltung, als in seinen kolorierten Alben und zeigt deutlich den hohen künstlerischen Anspruch, dem mancher Kritiker Manara nicht immer bei der Darstellung seiner lasziven Damen zugetraut hat. Der Stil der Bilder mag dabei auf den modernen Leser etwas „altbacken“ wirken, aber man muss sich dabei auch das Alter des Szenarios und den sozialen Hintergrund vor Augen führen, der nunmehr rund 30 Jahre zurückliegt, als natürlich auch die geistige Nähe von Manara zu seinen Freunden Hugo Pratt und Frederico Fellini. Qualität, Ausstattung & Übersetzung:Auch der achte Band der Werkausgabe ist wiederum ein stattlicher Hardcoverband mit 148 Seiten, den ein überaus passender Schutzumschlag mit dem Bild der Protagonisten des Abenteuers ziert. Wem dies nicht gefallen sollte, der kann sich diesen Band auch unverhüllt anschauen, da sich unter dem Schutzumschlag ein geschmackvoll in Rot gehaltener Hochglanzeinband befindet, den – wie bereits bei den anderen Bänden – eine leicht bekleidete Dame ziert, wie man sie aus dem Oeuvre von Manara kennt. Wie bereits bei den anderen Bänden, gibt es zur Einstimmung zunächst ein überaus kurzweiliges Vorwort, welches sich mit den Hintergründen der Entstehung und einigen Deutungsversuchen beschäftigt.
Im Anhang bekommt man das Portfolio 2 „Erinnerungen an einen indianischen Sommer“ nebst einem fiktiven Nachwort und einigen beeindruckenden farbigen Skizzen zu dem Szenario „Ein indianischer Sommer“, welches bei mir einiges befremden auslöste. Nicht nur das es hier eine fiktive Hommage von Autor James Fenimore Cooper gibt, der sich überaus freudig und zufrieden über das Szenario von „Ein indianischer Sommer“ auslässt und überhaupt nicht in den Bergmann-Kontext passen mag, hier scheint generell etwas schief gelaufen zu sein, hätte ich mir dieses Portfolio doch bei dem gleichnamigen Band „Ein indianischer Sommer“ gewünscht und nicht als Lückenfüller im Anhang bei einem psychedelisch anmutenden Trip nach Indien. Fazit:Erneut nimmt sich Manara mit der Figur des Giuseppe Bergmann den seinerzeit aktuellen gesellschaftlichen Geschehen an, auch wenn die Hauptprotagonistin in diesem zweiten Teil der Reihe eine junge Frau ist, die, eigentlich als Nebenfigur eingeführt, in das Bergmannsche Abenteuer gesogen wird, Wandlungen durchläuft und so zur Hauptperson wird, ohne eigentlich Gegenstand der Geschichte zu sein. Mit der Figur von Fosca scheint Manara in diesem Band die weibliche Denk- und Fühlweise eines Zeitalters einfangen zu wollen und auf seine eigene intelligente Art und Weise dem Leser näher bringen zu wollen. Manches, wie beispielsweise die sexuelle Befreiung von Fosca, mag davon heute unverständlich sein (oder auch weiterhin bleiben), doch gibt es einige recht interessante, fast schon philosophisch anmutende Momente im Szenario.
Es ist weniger künstlerischer Anspruch den Manara mit seiner Geschichte erhebt, sondern eher die Momentaufnahme eines Stückes italienischen Zeitgeistes, dem er als Autor und Zeichner mit seinen ganz eigenen Mitteln ein Abbild schafft. Auch wenn das Szenario von Manara mit seinen Sprüngen zwischen Realität und spiritueller Suche mit einem bitteren Lächeln entzaubert wird, so hat doch auch hier der grundlegende Gedanke nichts an Aktualität verloren.
Natürlich dürfen allerlei erotische Eskapaden und frivole Entdeckungen nicht fehlen. Wer allerdings einen Überschwang an Erotik in diesem Band erwartet, den muss ich enttäuschen. Auch wenn den Leser einige hervorragend gelungene erotische Zeichnungen erwarten, so steht doch eine skurrile Doppelerzählung im Vordergrund, deren Enden sich am Schluss letztlich finden und ergänzen – wenn auch auf ganz eigene Art.
Ich persönlich halte das Szenario dieses Bergmann-Bandes für absolut harmonisch und ausgeglichen konzipiert und zu den besseren Veröffentlichungen dieser Reihe. Natürlich schreckt dieser Band mit seiner kruden Mischung Esoterik und Mystizismus sicherlich einige Leser ab, doch kann ich diesen Band nur uneingeschränkt empfehlen, wenn man sich ein komplettes Bild über die Vielfalt des Erzählers und Zeichners Manara machen möchte. |
||||||||||||||||||||