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Der Selbstmörderclub
Bewertung:
(2.9)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 09.12.2012
Autor:Clément Baloup (Autor) und Eddy Vaccaro (Zeichner)
Übersetzer:Tanja Krämling
Typ:Comic / Graphic Novel
VerlagSplitter Verlag
ISBN/ASIN:978-3-86869-507-6
Inhalt:96 Seiten, Hardcover mit SU
Preis:€19,80
Sprache:Deutsch

Inhalt:

Angesiedelt in den von Gaslaternen beleuchteten Straßen des viktorianischen Londons, lernt der Leser den exzentrischen und gefährliche Abenteuer liebenden Prinz Florizel von Böhmen kennen, der mit seinem Begleiter, Oberst Geraldine, in London weilt und es liebt, sich nachts und unter dem Schutz von Oberst Geraldine inkognito in die merkwürdigsten Clubs der Stadt zu begeben.

 

Auf einer ihrer nächtlichen Touren zum Leicester Square treffen die beiden in einer üblen Kneipe auf einen überaus merkwürdigen Mann, der damit beschäftigt ist, Sahnetörtchen an die Anwesenden zu verteilen. Jedes Törtchen allerdings, welches er nicht verteilen kann, muss von ihm selbst gegessen werden. Angeregt von diesem Übermaß an Lächerlichkeit, welcher sich dieser Mann mit seiner Aktion preisgibt, lädt Florizel ihn spontan zu einem gemeinsamen Abendessen ein, um mehr von diesem Menschen zu erfahren. Während des gemeinsamen Essens erzählt der Mann von seinem bitteren Schicksal, aber auch von dem „Selbstmörderclub“, einer der wohl extravagantesten und geheimnisvollsten Einrichtungen der Stadt. Hier treffen sich die Lebensmüden, die Gelangweilten oder aber schon halbwegs Verrückten, um bei einem Kartenspiel darum zu losen, wer wen umbringt: Wer das Pik-As ausgespielt bekommt, wird das Opfer und das Kreuz-As kürt seinen Mörder. Fasziniert von diesem überaus ungewöhnlichen Club beschließt Florizel aus purer Neugierde ebenfalls Mitglied zu werden, auch gegen den Protest von Oberst Geraldine.

 

Durch ihren neuen Freund erhalten Florizel und Geraldine am nächsten Abend Zugang zu diesem Club, der sich in Box Court befindet. Nach anfänglichem Zögern begrüßt sie der Präsident des „Selbstmörderclubs“ als neue Mitglieder und Florizel muss noch am gleichen Abend an einem der berühmt-berüchtigten Kartenspiele teilnehmen. So nimmt das Schicksal seinen Lauf und rasch lernen der Prinz und der Oberst die bittere Wahrheit hinter diesem Spiel kennen. Aber es soll noch schlimmer kommen, da Florizel bereits am zweiten Abend im Club beim Spiel das Pik-As erhält und somit das nächste Opfer werden soll. Allerdings will sich der verwegene Florizel, den lediglich seine unbändige Neugierde in diesen Club getrieben hat, nicht einfach mit diesem Schicksal abfinden, sondern setzt alles daran dem ruchlosen Präsidenten des Clubs das Handwerk legen.

 

Doch trifft der Leser nicht nur auf die Protagonisten Prinz Florizel und Oberst Geraldine, sondern macht im laufe der weiteren Geschichte Bekanntschaft mit Silas Scuddamore und Leutnant Brackenbury. Und so spannt sich der Handlungsbogen nach dem furiosen Auftakt weiter, der schließlich auf eine letzte und überaus gefährliche Begegnung zweier Rivalen hinausläuft.

Schreibstil & Artwork:

Der französische Comic-Autor und Illustrator Clement Baloup wurde 1978 in Montdidier geboren und studierte an der renommierten „École européenne supérieure de l’image“ in Poitiers/Angoulême. Baloup ist auch Mitglied von Zarmatelier, einem in 2001 gegründeten Atelier von Comiczeichnern aus dem Großraum Marseille. Zu den Gründungsmitgliedern gehören einige, nicht nur in Frankreich, ziemlich bekannte Namen, unter anderem Richard Di Martino, Bruno Bessadi, Eric Stoffel, Thomas Allart, Olivier Thomas und Yann Valéani. Hier lernte Baloup auch den Zeichner Eddy Vaccaro kennen. Das Zarmatelier möchte das Bewusstsein für Comics erhöhen und führt hierzu regelmäßig Workshops, Diskussionsrunden und Ausstellungen durch.

 

Als Szenarist widmet sich Clement Baloup der eher unbekannten Sammlung von drei miteinander verwobenen Kurzgeschichten von Robert Louis Stevenson, die 1878 unter dem Titel „The Suicide Club“ erschienen ist und die Episoden „Story of the Young Man with the Cream Tarts“, „Story of the Physician and the Saratoga Trunk“ und „The Adventure of the Hansom Cab“ enthält, die in verschiedenen Übersetzungen im laufe der letzten Jahrzehnte auch in deutscher Sprache erschienen sind.

 

Der Schriftsteller Robert Louis Stevenson wurde 1850 in Edinburgh geboren und studierte zunächst auf Wunsch seines Vaters Ingenieurwissenschaften, später Jura um sich dann schließlich ganz der Schriftstellerei zuzuwenden. Ein Lungenleiden zwang ihn allerdings dazu, in südlichere Gefilde umzusiedeln: Nach langen Aufenthalten in Südfrankreich, der Schweiz und in Kalifornien zog es ihn schließlich in die Südsee, wo er von 1890 bis zu seinem Tod 1894 auf Samoa lebte. Seit 1880 begleitete ihn seine Frau Fanny auf seinen abenteuerlichen Reisen.

 

Stevensons Werk besteht aus Reiseberichten und Abenteuerromanen, aber auch aus autobiografischen Skizzen, Essays und Kindergedichten. Den größten Bekanntheitsgrad dürfte der Abenteurerroman „Die Schatzinsel" sowie die berühmte Erzählung „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde" haben. Auch wenn die Werke von Stevenson nicht unbedingt zum absoluten Kanon der klassischen Weltliteratur zählen, so gibt es doch insbesondere bei seinen Kurzgeschichten eine geschliffene Sprache zu entdecken, der man deutlich anmerkt, mit welcher Verbissenheit er an der Perfektion seiner Geschichten arbeitete. So sind Stevensons Geschichten oft vielfältiger und hintergründiger in ihren Texten als man zunächst offensichtlich meint. Mit nicht immer erkennbarem spöttischem Ton widmet er sich dem Untergang der viktorianischen Werte und grundlegenden ethisch-moralischer Fragen. Mit sicherem Gespür für das Szenario kürzt Baloup den Text der Kurzgeschichten behutsam und bringt ihn auf ein zeitgenössisches Tempo, ohne die Vorlage zu zerstören. Dabei bleiben etliche Seitenhiebe auf die damaligen Verhältnisse im viktorianischen England erhalten, als auch einige zeitlose philosophische Fragen, die sich um den Tod und einige andere menschliche Neigungen drehen, die an Aktualität nichts eingebüßt haben.

 

Wer den Kurzgeschichtenband kennt, dürfte bei dieser recht konsequenten und werkgetreuen Adaption sicherlich auf seine Kosten kommen. Wer die Kurzgeschichten bislang allerdings noch nicht gelesen haben sollte, der dürfte nicht unerhebliche Probleme bekommen, da Baloup alle drei Geschichten durchgehend in einem erzählt und somit dem Leser keine Möglichkeit gibt, sich auf die neuen Protagonisten und die sich verändernden Hintergründe einzustellen, welche auf einmal das Szenario beherrschen. Zwar gibt es einen roten Faden, der das Szenario insgesamt zusammenhält, doch dieser alleine reicht nicht, wenn sich auf einmal Frust über eine vermeintlich verworrene Handlung einstellt. Hier wäre es schlicht und ergreifend notwendig gewesen, deutlich sichtbare Wechsel zwischen den einzelnen Geschichten einzufügen, wie man sie auch im Original vorfindet.

 

Der 1973 geborene Franzose Eddy Vaccaro ist erst sein einigen Jahren als Zeichner im Bereich Comics aktiv, obwohl er bereits seit Kindesbeinen eine besondere Affinität zum Zeichnen hat. Vaccaro studierte angewandte Kunst, machte sein Vordiplom um sich dann erst einmal jegliche Art von Betätigung im Bereich der Bildendenden Kunst zu enthalten und sich gänzlich der Musik zu widmen. Es folgte die Zusammenarbeit mit diversen Rock-Bands in denen er Gitarre oder Bass spielte und es einige Jahre dauerte, bis er sich wieder dem Zeichnen zuwandte. Heute schafft er es mittlerweile beide Dinge unter einen Hut zu bekommen und widmet sich sowohl der Musik als auch dem Bereich Comics. Nach eigener Aussage scheint das Zeichnen für ihn eine Art Ausgleich zu sein, wenn er stundenlang an seinem Zeichentisch sitzt und komplette Welten erschafft.

 

Die Bildaufteilung von Vaccaro ist überwiegend dem Normaufbau verpflichtet und so bekommt der Leser fast ausschließlich Bilderzeilen geboten, die aus mehreren Einzelbildern zusammensetzen. Ganze oder halbseitige Bilder setzt Vaccaro nur selten ein. Ein sicheres Gespür für Einstellungen und Perspektiven machen es leicht Stimmungen und Szenen zu erfassen. Insoweit eine gelungene Arbeit, die in ihrer Überschaubarkeit für eine gute Lesbarkeit sorgt. Betrachtet man sich allerdings die Ausführung der Figuren und Hintergründe, so beschleicht einen eher das Gefühl, man habe es mit einem kolorierten Storyboard zu tun. Mit wenigen Strichen werden hier Protagonisten gezeichnet, die man manchmal lediglich an den unterschiedlichen Farben erkennen kann und mich – man möge mir verzeihen – an „pädagogisch wertvolle“ Bilderbücher für Kleinkinder erinnern. Dies scheint allerdings durchgehend der Zeichenstil von Vaccaro zu sein, den er auch bei anderen Publikationen pflegt. Was einem Matthias Schultheiss mit wenigen Federstrichen gelingt, sieht bei Vaccaro in meinen Augen leider ziemlich misslungen aus. Man sollte sich auf jeden Fall im Vorfeld die Leseprobe sehr genau anschauen und für sich entscheiden, ob einem dieser Stil gefällt.

Qualität, Ausstattung & Übersetzung:

Der Splitter Verlag präsentiert den Band „Der Selbstmörderclub“ in seiner Reihe „SplitterBooks“, die sich bereits mit der Veröffentlichung einiger anderer sehr guter und auch innovativer Comics trotz ihres kleineren Formates einen sehr guten Ruf gemacht hat. Die Verarbeitung des Hardcoverbandes, der mit Schutzumschlag erscheint, lassen in Sachen Qualität und Druck keine Wünsche offen. In Sachen Ausstattung gibt es in diesem Band lediglich einige Hinweise auf der Innenseite des Schutzumschlages, ansonsten hat man auf weitere Extras verzichtet. Die wiederum angenehm zu lesende Übertragung aus dem französischen besorgte Tanja Krämling.

Fazit:

Wer sich auf eine gelungen in Szene gesetzte Adaption einer wunderbaren, aber leider wenig beachteten Sammlung von drei miteinander verwobenen Kurzgeschichten von Robert Louis Stevenson freut, der dürfte mit diesem Band unter Umständen nicht unbedingt glücklich werden. Trifft das Szenario in seiner Konzeption noch den Ton und besticht (mit einigen Abstrichen durch eine mangelhafte Aufklärung des Lesers über den Aufbau der einzelnen Kapitel) durch seine sprachlich überaus geschickte Inszenierung, so können mich die Bilder von Vaccaro überhaupt nicht überzeugen. Die mit wenigen Strichen nicht immer treffsicher gezeichneten Charaktere bleiben unscharf und auch die sehr schön gelungene Kolorierung mit ihren zarten Aquarelltönen nebst einigen wenigen überaus detailfreudig gezeichneten Straßenansichten kann daran leider kaum etwas ändern. Hier habe ich stellenweise Akteure verwechselt und mich bei dem doch recht dunklen erzählerischen Unterton ob der zeichnerischen Ausführung eher köstlich amüsiert.

 

Ein Band der sicherlich polarisieren dürfte (wie er es auch in meinem Freundes- und Bekanntenkreis tat) und bei dem ich noch einmal nur dazu raten kann, sich die Leseprobe des Splitter Verlages anzuschauen.