Das Genre des Steam-Punk ist nahezu Zeitlos und immer wieder gibt es Romane und Rollenspiele die sich mit diesem überaus ambitionierten Thema der SF auseinandersetzen. Die Zielsetzungen sind dabei höchst unterschiedlich, ebenso wie der Stil und das Vorstellungsvermögen, welches den Leser erwartet. Ein Autorenduo aus Österreich schickt sich nunmehr an, nach der letzten größeren deutschsprachigen Veröffentlichung die mit „Opus anima“ ihr vorläufiges Ende nahm, den Leser für sich einzunehmen. Im Gegensatz zu großen Verlagen handelt es sich hier allerdings um die Produktion zweier Enthusiasten, die einige Euros aufgewendet haben, damit ihr Rollenspiel einem größeren Publikum zugänglich wird.
Der äußere Eindruck
Mit insgesamt 168 Seiten präsentiert sich die solide gebundene Hardcover-Ausgabe, die in Sachen Qualität und Verarbeitung anderen Publikationen des Genres in nichts nachsteht. Bereits die Cover-Gestaltung gibt ein wenig Aufschluss über die ungefähre zeitliche Einordnung des Hintergrundes, als auch über mögliche Charaktere, ziert doch eine Gruppe von typischen „Finsterland“-Abenteurern die Front des Umschlages, die gerade ein Haus verlässt.
Das Layout ist durchgehend schwarz-weiß und zweispaltig im Aufbau, wobei die einzelnen Kapitel recht übersichtlich gegliedert sind und es als Einstieg sogar eine Kurzgeschichte zur Einstimmung gibt. Das Druckbild ist sauber und lässt sich bis auf den manchmal gewöhnungsbedürftigen Umbruch der Spalten angenehm lesen. Problematisch ist bei diesem Band die Suche nach einzelnen Abschnitten in den Kapiteln, da diese nicht immer sonderlich deutlich hervorgehoben sind und durch den bereits erwähnten Spaltenumbruch schwer zu lesen sind. Hier hätte ab und zu ein etwas auffälligerer Schrifttyp bei den Überschriften oder das deutlichere Hervorheben bei grundlegenden Regelmechanismen in gesonderten Textkästen sicherlich zu einer besseren Orientierung beigetragen.
Die Illustrationen von Eleonore Eder, Chris Gmeiner, Georg Pils, Stefan Fädler, Lukas Hofreiter und Agnes Wieninger sind recht gut auf die Thematik von Finsterland abgestimmt und vermitteln dem Leser recht anschaulich einen Eindruck von den Bewohnern und ihrer Kleidung. In Sachen Qualität brauchen sich die Zeichnungen nicht zu verstecken, auch wenn es sich vornehmlich um Charaktere handelt und diese oftmals einen eher statischen Eindruck hinterlassen. Hier hätte ich mir etwas mehr Illustrationen zu Städten und Orten, als auch etwas mehr Dynamik bei den Figuren gewünscht.
Der Inhalt
Verteilt auf insgesamt 10 Kapitel erwarten den Leser alle grundlegenden Elemente von „Finsterland“, da sowohl der Regelmechanismus als auch grundlegende Informationen über die Spielwelt geboten werden und es zum Abschluss sogar noch ein komplettes Einstiegsabenteuer gibt.
Einleitung
Das erste Kapitel bietet neben einer stimmungsvollen Kurzgeschichte einige Ausführungen zum Thema Rollenspiel und der oftmals bemühten Frage: Was ist ein Rollenspiel und wie funktioniert der Regelmechanismus in solchen Spiel. Interessanter dürften hier für den gestandenen Rollenspieler die Ausführungen zu „Quellen und Inspiration“ sein, welche nicht nur Bücher, Filme und Musik, sondern auch Videospiele, Comics, Anime und Mangas und Malerei umfasst, die allesamt mehr oder weniger einen Bezug zum Thema „Finsterland“ und zur Ausgestaltung von dessen Atmosphäre besitzen. Ein kurzes, aber nicht unwichtiges Glossar nebst der Erklärung der im Band verwendeten Abkürzungen schließt das Kapitel ab.
Erstellen einer Figur
Die Charaktererschaffung ist eine überaus einfache und schnelle Angelegenheit: Zunächst wird eins von den neun Charaktermodellen (Machinatoren, Ritter, Soldaten, Magier, Detektive, Dilettanten, Räuber, Diebe oder Ingenieure) ausgesucht und dann die Eigenschaften ausgewürfelt. Diese umfassen Stärke, Geschick, Intelligenz, Wahrnehmung und Charisma. Interessanterweise werden dann allerdings aus den gewürfelten Werten die effektiven Eigenschaften abgeleitet, die später im Spiel die Zahl der einzusetzenden Würfel bestimmen.
Die Fähigkeiten bestimmen sich aus drei bzw. vier großen Bereichen: Abenteuer, Leben, Wissen und (falls einer der Charaktere einen Zauberer spielen sollte) Zaubern. Auf die wichtigste Gruppe können maximal 9 Punkte, auf die zweitwichtigste 7 und auf die letzten 5 Punkte verteilt werden. Wer die oWoD kennt, dem dürfte dieses Prinzip nicht fremd sein. Weitere Faktoren wie Kampfwerte, Lebens- und Magiepunkte und ähnliches werden zum Teil aus den vorhandenen Werten abgeleitet bzw. aus den Kapiteln „Spezialmanöver“ und „Hintergrund“ übernommen.
Spezialmanöver
Spezialmanöver erhält man durch Talent, gute Ausbildung oder viel Übung. Insgesamt machen sie den Unterschied zwischen einem Amateur und einem Profi aus. Charaktere besitzen bei der Erschaffung zwei Spezialmanöver, zu denen mittels Erfahrungspunkten im Laufe des Spiels weitere erworben werden können. Jedes Spezialmanöver hat sechs Untermanöver, die besondere Fähigkeiten beinhalten. Es gibt Kampfspezialmanöver, Spezialmanöver für Magie, Körperliche, Soziale und Technische Spezialmanöver als auch Übernatürliche Spezialmanöver. So gehören beispielsweise zu dem Kampfspezialmanöver Faustkampf die Spezialmanöver Beinarbeit, Straßenkampf, Verletzen, Einstecken als auch die optionalen Fähigkeiten KO-Schlag und Linker Haken.
Hintergründe
Hintergründe zeigen, aus welcher Umgebung der Charakter stammt und zu welchen Organisationen, besonderen Fähigkeiten oder auch Ausrüstung er Zugang hat. Zu den Organisationen gehören unter anderem die Machinatorsekte, Ritterorden, Veteranengruppe (die sich vornehmlich an ehemalige Soldaten und Offiziere richtet), Magischer Zirkel, Räuberbande, Dilettantenclique (wohlhabende oder auch nur spleenige Adelige und Neureiche), Ingenieursgilde, Diebesgilde und Detektei.
Jede dieser Organisationen bietet dem Charakter besondere Ausbildungsmöglichkeiten und Ausrüstungsgegenstände, die mit Erfahrungspunkten gekauft werden können. Da man grundsätzlich immer nur Mitglied einer Organisation sein sollte dieser Schritt gut überlegt sein. Zudem unterliegt man den jeweiligen Einschränkungen der Organisation, die sich beim Ritterorden beispielsweise in Gehorsam, Übermut und Fairness äußern und Aspekte sind, die spieltechnisch einzuhalten sind.
Der Hintergrund Reichtum beschreibt die materiellen und finanziellen Ressourcen des Charakters, die von Fahrzeugen, Immobilien, Dienern bis hin zu Luxus als solchem reichen, der letztlich Geld und Wertsachen umfasst. Ergänzt wird das Kapitel mit einem Abschnitt zu Funktionen, die ebenfalls mittels Erfahrungspunkten gekauft werden können und interessante Sachen bieten, wie Adelstitel, Presseausweis oder aber die Funktion Gesetzeshüter, wonach der Charakter die Macht des Gesetzes vertritt und andere Figuren festnehmen darf. Hinweise zu Helfern und Besonderheiten bei der Ausstattung von Charakteren die Machinae spielen, runden das Kapitel sinnvoll ab.
Handlungen
Die Charaktere der Spieler sind Helden, aber wenn diese etwas machen müssen, was nicht unbedingt Routine ist, so muss der Spieler für diese Handlung würfeln. Je nach Handlung werden die effektive Eigenschaft und die jeweilige Fähigkeit ermittelt, auf die ein Wurf erfolgen soll. Dabei wirft der Spieler so viele zehnseitige Würfel, wie er bei effektiver Eigenschaft und Fähigkeit zusammen hat. Jeder Wurf mit einer Sieben oder mehr zählt dabei als Erfolg. Selbst wenn man die effektiver Eigenschaft und Fähigkeit nicht besitzen sollte, so darf man mit mindestens einem Würfel sein Glück versuchen.
In diesem Kapitel werden mögliche Handlungen aufgeführt, zu denen insbesondere Zaubern, körperliche Handlungen (Klettern, Schwimmen, Springen usw.), soziale Interaktionen (Einschüchtern, Überreden), Wissensfragen (insbesondere Erste Hilfe!) und Technik gehören.
Kämpfe
Zu Beginn des Kapitels werden zunächst die grundlegenden Begriffe für den Kampf erklärt. Hierzu zählen: Runden, Reihenfolge, Felder, Bewegung, Aktion, Reaktion, Schaden, Schutz und natürlich Heilung. Wem das noch nicht reichen soll, der kann mit den passenden Erweiterungsregeln seinem Spiel mehr Würze verleihen, doch reichen die Grundregeln für einen Einstieg zunächst vollends aus.
Interessanterweise findet man hier auch einen Abschnitt über Ausrüstung, der sich nicht nur mit Nah- und Fernkampfwaffen beschäftigt, sondern auch mit Fahrzeugen und anderen Gegenständen des täglichen Lebens, wie beispielsweise Kleidung, Ausrüstung für Reisen oder aber medizinische Ausstattung.
Der Kampf selbst gliedert sich in drei größere Abschnitte: Zunächst wird die Initiative ermittelt, nach der sich die Reihenfolge der einzelnen Spieler (als auch Gegenspieler) richtet. Je höher die Anzahl der der Erfolge, umso besser. In der sich anschließenden Phase werden die einzelnen Handlungen angesagt. Jede Figur hat eine Aktion pro Runde, die insbesondere beim Kampf zum Angreifen verwendet wird, egal ob mit Nah- oder Fernkampfwaffe oder zum Einsatz von Magie. Entsprechend den Erfolgen bleibt den Gegnern noch die Möglichkeit zur Verteidigung. Unterstützt wird dieses System von Erfolgen durch eine Kampfkarte, auf welcher der Standort der einzelnen Charaktere festgelegt ist und auf deren Feldern sich die Akteure bewegen. Somit kann jederzeit nachvollzogen werden, wie die Bewegung sich gestaltet und Aktionen sich auswirken.
Die Regeln zur Abwicklung von Kämpfen sind denkbar einfach in der Ausgestaltung, aber warum sollte es auch immer hochkomplex und absolut realistisch sein? Hier haben auch andere Systeme bewiesen, wie man spannende Kämpfe mit einem fast schon minimalistischen System sinnvoll darstellen kann.
Spielwelt
Der erste Abschnitt setzt sich mit grundlegenden sozialen Aspekten auseinander, wonach die Gesellschaft des Finsterlandes fast überall strikt in Schichten eingeteilt ist, an deren Spitze die Fürsten und Adeligen stehen, die freien Bauern, Bürger, leibeigenen Bauern, Arbeiter und schließlich der sonstige Rest an Menschen folgt. In kurzen, fast schon lexikonartigen Texten erfährt man mehr über die einzelnen Schichten und beispielhafte Tätigkeiten.
Die Lebensweise, wie beispielhaft die Ess- und Trinkgewohnheiten, den Kalender, die Zeitungen, das Bildungswesen als auch Vereine und Verbände folgen diesem Aufbau und so spannt sich vor dem Leser ein recht umfassendes Bild über die gebräuchlichen Sitten und Lebensgewohnheiten von Finsterland. Ebenso aufschlussreich sind die Abschnitte über zentrale Themen wie Technologie, Magie und Religion als auch über die Geschichte des Finsterlandes, deren Entwicklung von der Urzeit bis in die nach wie vor konfliktbeladene Gegenwart beschrieben wird.
Zwei weitere große Abschnitte widmen sich der Geographie und den wichtigen Städten (nebst ausführlicher Beschreibung) als den wichtigen Personen, wie dem Kaiser und den Kurfürsten. Hier gibt es zwischen den Zeilen etliches zu erfahren, welches zwar nicht immer für das eigene Spiel relevant, aber für das Verständnis der Welt von Finsterland relevant ist. Den Abschluss des Kapitel bildet eine Karte von Finsterland, in der alle wichtigen Städte, Flüsse und sonstigen wichtigen Örtlichkeiten verzeichnet sind.
Spielleiter
Dem Spielleiter ist ein eigenes Kapitel gewidmet, in dem es einige nützliche Informationen über die Gruppengestaltung nebst den grundlegenden Modellen und Archetypen unterschiedlicher Charaktere gibt. Die im Abschnitt „Tipps und Tricks für Spielleiter“ gemachten Aussagen über die Möglichkeiten Handlungen zu beschreiben, Kämpfe zu gestalten oder wie man Nichtspielercharaktere darstellt dürften sich vornehmlich an Einsteiger richten – hier ist für gestandene Rollenspieler sicherlich einiges an Inspiration zu holen, aber nicht unbedingt grundlegend neues zu erfahren. Interessanter hingegen dürfte der Abschnitt die Entwicklung der Charaktere sein und die Möglichkeit Erfahrungspunkte zu sammeln, um diese dann für entsprechende Steigerungen auszugeben.
Einige recht allgemein gehaltene Ausführungen über die Konzeption von eigenen Geschichten, deren Aufbau und Dramatik so wie Hinweise auf die richtige Auswahl der Gegner und erschwerte Kämpfe runden dieses Kapitel ab.
Gegner
Jeder Held braucht natürlich auch Gegner – und die gibt es in „Finsterland“ mehr als genug. Neben Kriminellen, Monstern, Intriganten und Kreaturen findet man eine ganze Menge eindrucksvoller aber auch zum Teil furchteinflößender Antagonisten.
Hilfreich ist der Abschnitt mit allgemeinen Gegnermodellen, aus denen man als Spielleiter recht schnell für fast alle gängigen Gegnertypen eigene NSC generieren kann. Etwas mehr ins Detail gehen danach Abschnitte über die Eisenmeister, Erlenväter, Trolle, Salamander als auch noch sonstige Monster, die vom monströsen Albtraum des Boschmonsters über Geister bis hin zu lebenden Toten und Drachen reichen. Hier gibt es nicht nur spieltechnische Werte, sondern man erfährt auch einiges über die Hintergründe der jeweiligen Wesen, differenzierte Werte für bestimmte Untergruppen, als auch über das Aussehen und ihre Gesellschaft.
Dies dürfte mit Sicherheit eine der ungewöhnlichsten Fundgruben sein, die ich seit langen in einem „Bestiarium“ gelesen habe. Sicherlich mag hier und da einiges überzogen sein, doch passen diese Kreaturen allesamt recht schlüssig in die Welt von „Finsterland“ und bieten dem kreativen Spielleiter eine ganze Menge Spaß!
Einstiegsabenteuer
Zum Abschluss gibt es mit dem Einstiegsabenteuer „Das Geheimnis der Eisenmeister“ ein bewusst für Anfänger angelegtes Abenteuer, welches zudem einen guten Einblick in die Spielregeln und deren Anwendung vermittelt.
Die Charaktere werden in diesem Abenteuer von einem Bekannten gebeten, diesen bei der Untersuchung eines Geheimnisses zu helfen. Doch bevor die Charaktere ihn erreichen können, begeht dieser Selbstmord und es scheint, als würden die Charaktere nunmehr selbst Opfer einer Intrige werden und müssen alles daran setzen, die Forschungen des Toten abzuschließen, zumal sie zu Zielen der Attentäter geworden sind.
Auf insgesamt 14 Seiten gibt es in fünf Abschnitten einen gut strukturierten Plot, der jeweils mit einer Zusammenfassung, Texten für den Spielleiter, Skizzen, Illustrationen, Handouts und Werten der NSC aufwarten kann. Etwas störend empfinde ich die Texte, die man den Spielern vorlesen „sollte“. Hier ist der Band doch sehr auf Einsteiger des Genres ausgerichtet und Veteranen dürfte es sicherlich nicht schwer fallen, diese Texte recht frei zu improvisieren, ohne der Geschichte ihren Reiz zu nehmen.
Fazit:
Was hier als Fan-Produktion einiger Enthusiasten vorgelegt wird, braucht sich wirklich nicht hinter anderen großen Namen auf dem Markt für Rollenspiele zu verstecken: Professionelles Layout und etliche Illustrationen lockern den solide gebundenen Hardcoverband auf. Über die Qualität der Illustrationen mag man sich vortrefflich streiten, aber hier handelt es sich ebenfalls um Fan-Produkte, die dankenswerter Weise diesem Band zuteil wurden.
Das Layout mit seinem Spaltenumbruch ist zu Beginn gewöhnungsbedürftig, da man doch hier und da in Absätze rutscht, die bereits zu einem anderen Abschnitt gehören. Dafür entschädigt das System durch eine überaus einfache und schnelle Erschaffung von Charakteren als auch einem flotten Kampfsystem. Zwei wichtige Faktoren für Spieler und Spielleiter, die mehr Wert auf den Spielfluss legen, als sich mit kniffligen Regelfragen zu beschäftigen.
Etwas dünn hingegen ist der Aspekt des eigentlichen Steam-Punk und der Zauberei, die man in diesem Band nicht so recht zu packen bekommt. Hier bleibt einiges recht schwammig und man wird sich auf Folgeprodukte vertrösten lassen müssen, die sich mit den Aspekten Zauberei und Technik beschäftigen. Dafür wird man dann allerdings auch mit einer recht umfassenden Weltbeschreibung entschädigt, die zumindest wichtige Hinweise auf die Entwicklung der Gesellschaft und auch Wissenschaft gibt, wie man sie derzeit in Finsterland findet.
Für mich ein überaus gelungener Einstieg in eine neue phantastische Welt, die sich anschickt mit einer Mischung aus Magie, Steam-Punk und einem Hauch Savage-Worlds die Spieltische für sich einzunehmen. Dank des hervorragenden Supports auf der Homepage des Herstellers dürfte zudem auch so schnell kein Mangel an kurzen Abenteuern und weiteren Hintergrundinfos sein.