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Schritte ins Licht 1 -  Die Geometrie des Zufalls
Bewertung:
(3.8)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 20.02.2013
Autor:Bruno Marchand (Autor und Zeichner)
Übersetzer:Saskia Funke
Typ:Graphic Novel
Setting:Frankreich
VerlagAll Verlag
ISBN/ASIN:978-3-926970-18-3
Inhalt:48 Seiten, Hardcover
Preis:13,80 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt:

Paris im Jahre 1960 – hier lebt Marianne Bell, die das Schicksal nach Ende des Krieges mit ihrer Mutter von England in die Metropole an der Seine gebracht hat. Marianne arbeitet im Jardin des Plantes und führt ein recht beschauliches Leben, wenn da nicht seltsame Zyklen in ihrem Leben wären und regelmäßig im Abstand von 5 Jahren und 7 Monaten gravierende Dinge passieren. Das Ende des aktuellen Zyklus naht in 8 Wochen und eine gewisse Anspannung ist der ständige Begleiter von Marianne, da die Ungewissheit an ihr nagt, welches Ereignis sich wohl diesmal einstellen wird. Doch die Dinge bekommen einen ganz anderen Lauf, als sie auf dem Weg zur Arbeit beinahe einen Passanten umfährt, der sich später als Peter Banning, ein Freund ihres Vaters herausstellt, die beide während des Krieges in derselben Fliegerstaffel der Royal Air Force gedient haben.

 

Gemeinsam mit Peter Banning versucht Marianne das Rätsel zu lösen, welches ihre Mutter und sie überstürzt von England nach Paris getrieben hat. Ihre Mutter wollte nie über diese Dinge reden und ist vor einigen Jahren gestorben. Auch ihr Großvater, Jules Mahy, behauptet, von den Hintergründen ihrer Flucht aus England nichts zu wissen. Peter Banning weiß lediglich, dass Simon Bell von den Militärbehörden des Hochverrates angeklagt wurde, da er den Deutschen Informationen über die Operationen der Royal Air Force in Nordafrika geliefert haben soll. Peter bezweifelt bis heute die Schuld seines Freundes – dieser hätte niemals sein Land verraten. Allerdings sollte Peter seinem Freund Simon einen Gefallen erfüllen. Er sollte ein Notizbuch, welches Simon vor seiner Gefangennahme durch deutsche Truppen einem nepalesischen Gurkha anvertraut hatte, wieder holen und es der Mutter von Marianne zukommen lassen. Peter will diesen letzten Wunsch seines alten Freundes gerne erfüllen und bietet Marianne seine Hilfe an. Unter Umständen könnten die Aufzeichnungen sogar helfen Simon Bell zu rehabilitieren.

 

Nach anfänglichem Zögern lässt sich Marianne auf das Angebot von Peter Banning ein und so führt sie ihr Weg zunächst nach Lausanne, wo Peter lebt. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg nach London, wo sie hoffen auf andere Kriegskameraden zu treffen, die ihnen Informationen zu dem Nepalesen geben können. Die Suche nach Spuren ist nicht einfach, aber es scheint, als würde Marianne ein sicheres Gespür für diese mysteriöse Suche zu besitzen, die sich als nicht unbedingt einfach herausstellt.

 

Schreibstil & Artwork:

Bruno Marchand wurde 1963 geboren. Nach künstlerischem Sekundarunterricht besuchte er die Vorlesungen im Comic-Fachbereich am Institut Saint-Luc in Brüssel. 1989 arbeitete er bei „Tintin Reporter“, dem kurzlebigen Nachfolger des Traditionsmagazins „Tintin“, wo er Kurzgeschichten und Illustrationen erstellte. Diese Arbeiten setzte er bei Spirou und Bayard Presse fort. 1991 erschien bei Decourt zusammen mit Colette de Buyser sein erstes selbst illustriertes Album „Ma vie de chat“ (Mein Leben als Katze).

 

Bereits seit 1988 war er für Kollegen bei verschiedenen Projekten als Kolorist tätig. Zu den Wichtigsten gehören „Dallas Barr“, „La Guerre eternelle“ und „Libre a jamais“. 1991 erschienen im Comicmagazin „A Suivre“ vier Comicseiten von Marchand in der Sondernummer „Silence, on rêve“ (Ruhe, wir träumen). Im Rahmen dieser Arbeit kam es zu einem Zusammentreffen mit dem 2012 verstorbenen Zeichner Jean Giraud (Moebius). Ein japanisches Animationsstudio hatte sich 1985 an Moebius gewandt, um Winsor McCays Werk zu adaptieren. Das Projekt schlug zwar damals fehl, aber es führte 1994 zum Szenario des 1. Bandes von „Little Nemo“ („Die Träume des Little Nemo“), welches von Bruno Marchand gezeichnet wurde. Der 3. und 4. Band wurde von Bruno Marchand nicht nur gezeichnet sondern auch nach McCays Werk getextet. Seine aktuelle Serie „Quelques pas vers la lumiere“ (dt. All-Verlag, Schritte ins Licht) deren erster Band 2008 bei Soleil Productions erschien, bildet den Höhepunkt seines bisherigen Schaffens. Von der, regelmäßig in den französischen Bestsellerlisten zu findenden Serie, sind bisher vier Ausgaben erschienen, von denen nunmehr die ersten drei Bände veröffentlicht werden.

 

Marchand spielt mit einer Art „Mustererkennung“ seiner Protagonistin, die stets bewusst oder auch unbewusst ihre Fähigkeit einsetzt, in einer Menge von Geschehnissen und Ereignissen Regelmäßigkeiten, Wiederholungen, Ähnlichkeiten oder Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Zufälle, welche die Geschichte vorantragen, passieren in dem Szenario ständig. Manche werden fast von Marianne übersehen, andere mit belustigtem Erstaunen registriert. Und wieder andere berühren den Leser seltsam, weil im Zusammentreffen scheinbar zusammenhangloser Ereignisse für einen Moment eine bis dahin verborgene Ordnung im Dasein der Protagonistin aufscheint. Das mag hier und da von Marchand etwas dick aufgetragen sein, doch ist der insgesamt recht ruhige und getragene Stil, in dem diese Entwicklung vorgebracht wird erstaunlich und macht den Leser neugierig auf die weitere Reise. Es bleibt abzuwarten, wie sich dieses Sammelsurium von originellen Ideen und Charakteren weiterentwickelt, zumindest ist es Marchand gelungen mit Marianne eine irgendwie zerbrechlich wirkende Schönheit zu skizzieren, die in eindrucksvollem Kontrast zu der Zielstrebigkeit und dem Engagement von Peter steht.

 

Als Zeichner ist der Stil von Bruno Marchand unübersehbar eine Hommage an die „Ligne Clair“, wie sie der belgische Comic-Zeichner Hergé begründete. Mit „Schritte ins Licht“ propagiert er zeichnerische und stilistische Richtung, in der die recht sorgfältige Komposition der Einzelbilder, mit einer geradlinigen Erzählweise einhergeht, in der keine unterschiedlichen Zeitebenen, mit der Haupthandlung konkurrierende Einschübe oder dergleichen vorkommen. Auch bei Marchand findet man die überschaubaren Reihen, in denen bis zu drei oder vier Bildern angeordnet sind und die Lesbarkeit und Transparenz der Handlung unterstützen. Ebenso versucht Marchand fast ausschließlich schmaler Umrisslinien zu verwenden und ein auf Schattierungen, Schraffuren oder Raster weitgehend zu verzichten. Doch ist es für Marchand auch eine Wanderung auf einem schmalen Grat, da man sich diesen Stil nicht einfach aneignen kann oder auch möchte. Vorsichtig streut er einige moderne Elemente ein und arbeitet intensiv mit seinen Einstellungen. Insgesamt ist das alles recht schön anzusehen und glücklicherweise weit davon eine ausschließliche Kopie des unvergesslichen Stils von Hergé zu sein.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung:

Der All Verlag bietet seinem Leser mit diesem Hardcoverband eine überaus ansehnliche Qualität. So erhält man für sein Geld einen solide verarbeiteten Band, der sowohl durch ein angenehmes Druckbild als auch durch seinen extravagant gestalteten Einband überzeugt. In Sachen Ausstattung gibt es ein kurzes Porträt des Autors und Zeichners Bruno Marchand nebst einem Überblick über die bisherigen Veröffentlichungen und Arbeiten. Ansonsten muss man allerdings auf weitere Extras verzichten. Wer es gerne exklusiver mag, der sei auf die in einer auf 111 Exemplare limitierte und mit einem Schutzumschlag und einem signierten Druck versehene Vorzugsausgabe verwiesen. Bei der sollte man sich allerdings beeilen, da diese rasch vergriffen sein dürfte. Die vorgelegte tadellose Übersetzung von Saskia Funke lässt sich angenehm lesen.

 

Fazit:

Was Marchand präsentiert, ist ein überaus ambitioniertes Szenario, welches aber einen gewissen spröden Charme atmet. Angesiedelt um 1960 zeigt es eine seltsame Suche und eine Verkettung von Zufällen in einer Zeit, die noch einige Jahre davon entfernt ist geprägt zu werden von langhaarigen Hippies und Revolutionären, die sich mit klapprigen Autos und abgedrehten Ideen von der Veränderung der Welt und der Suche nach dem Sinn des Lebens rückblickend als die Generation der 68er darstellen. Hier sind es zwei Menschen, die augenscheinlich mitten im bürgerlichen Leben stehen und sich einer gewissen Magie hingeben, die der Welt inne wohnt.

 

So begeben sich Marianne Bell und ihr Begleiter Peter Banning auf die Suche nach dem verschwundenen Notizbuch ihres Vaters Simon Bell und damit gleichzeitig auch auf eine Reise zurück in die Vergangenheit, deren Folgen immer noch eine schwere Bürde für den Ruf von Mariannes Familie ist. Unterm Strich sicherlich keine leichte Kost, die mit ihren Zufällen, Verstrickungen und dem Geheimnis von Simon Bell den Leser an sich zu binden versucht. Man muss sich auf diese Erzählung sicherlich einlassen, um dann die unvermutete Schönheit mancher Dialoge oder einzelner Panels zu entdecken. Für mich eine gelungene Erst-Veröffentlichung, die bereits Freude auf die beiden noch ausstehenden Bände der Reihe macht.