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Manara Werkausgabe 9: Ein Autor sucht sechs Personen - Tag des Zornes
Bewertung:
(3.9)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 24.03.2013
Autor:Milo Manara (Szenario und Zeichnungen)
Übersetzer:Michael Leimer
Typ:Comic / Graphic Novel
Setting:Gegenwart
VerlagPanini Comics
ISBN/ASIN:978-3-86201-065-3
Inhalt:192 Seiten, Hardcover mit SU
Preis:29,95 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt:

In einem Prolog trifft der Leser vor dem beindruckenden Panorama der Ruinenstadt Mach Picchu in Peru auf zwei Männer, die sich um eine mysteriöse Tasche streiten. Nach einem Handgemenge gelingt es einem der beiden die Tasche an sich zu bringen und zu fliehen – doch hat er seinen Gegner nicht umgebracht, so das dieser ihm Rache schwört.

 

Giuseppe Bergmann wartet schon seit über drei Stunden auf die Hauptdarstellerin für einen Film. Nichts über diesen Film ist bekannt und der verschlossene Umschlag mit dem Drehbuch darf erst geöffnet werden, wenn die Hauptdarstellerin eintrifft. Als Signora Jane eintrifft, muss sie Bergmann enttäuschen – sie kann die Rolle leider nicht annehmen, da sie noch mitten in den Arbeiten an einem anderen Film steckt. Kurzerhand wird eine Kostümschneiderin engagiert, die zwar über keine schauspielerische Erfahrung verfügt, aber die Hauptrolle übernehmen soll. Bergmann erklärt ihr die Handlung des Films, bei der es um die Suche nach den Bauplänen der Inkas geht, die früh herausgefunden hatten, wie man die Energie der Sonne nutzen kann. Mit dem Auftauchen der Konquisdatoren und dem Mord tausender von Eingeborenen ging dieses Wissen verloren – nunmehr ist es jedoch wieder aufgetaucht. Natürlich handelt es sich dabei um ein Wissen, welches in der heutigen Zeit große Konzerne und Erdölunternehmen interessieren würde.

 

So entspinnt sich aus diesem Drehbuch eine phantastisch-absurde Reise, welche Bergmann und seine Begleiterin zunächst nach Algerien führt, von wo aus es bis nach Äthiopien weitergehen soll. Doch ist es nicht nur eine abenteuerliche Fahrt mit höchst unterchiedlichen Begegnungen und Erlebnissen, sondern auch eine Art von sexueller Revolution für die zu Beginn noch schüchterne Lou-Lou, die erst unter dem Einfluss des Filmprojektes ihre Einstellung zum Leben und zu Sexualität ändert.

 

Die afrikanischen Abenteuer, die Giuseppe Bergmann erlebt, werden in ihrem Verlauf von vielen Personen beeinflußt, denen der Protagonist bei seiner seiner seltsamen Fahrt begegnet. Insbesondere die denkwürdige Band „The Pears“, die keine Tournee durch Afrika unternehmen will, sondern nur einen kurzen Urlaub machen möchte, sorgt am Schluss für ein überaus denkwürdiges und spektakuläres Finale.

 

Schreibstil & Artwork:

Milo (eigentlich: Maurilio) Manara wurde am 12.09.1945 in Lüsen, einem Ort nahe Bozen in Südtirol, geboren und gehört heute unumstritten zu den weltweit renommiertesten Comic-Künstlern, obwohl er als Zeichner für Comics Manara erst in den späten 60er Jahren in Erscheinung getreten ist. Mit regelmäßigen Zeichnungen für zwei in Italien sehr populäre, zum Teil pornografische Comicmagazine des Genres „fumetti neri“ (ital.; zu Deutsch „schwarze Comics“) finanzierte er zwischen 1968 und 1971 sein Architekturstudium an der Universität in Venedig. Sein Erstlingswerk „Genius“ aus dem Jahr 1969 ist der erste Schritt in eine außergewöhnliche Comic-Karriere. Zwischen 1971 und 1973 zeichnete er die billig produzierte erotische Piratenstory „Jolanda de Almaviva“ und fertigte etliche Comicstrips für die italienischen Magazine „Telerompo“ und „Corriere dei Ragazzi“.

 

Der Durchbruch gelang Manara 1978 mit seiner Comicadaption des chinesischen Literaturklassikers „Der Affenkönig“, dem in der Zeit von 1978 bis 1987 die nach den Vorlagen von Hugo Pratt und Federico Fellini geschaffene Reihe um die Figur des Giuseppe Bergmann folgte. Sein besonderes Faible für Erotik (gemischt mit gediegenem Humor) führte Manara 1983 in der Reihe „Click!“ fort. Weitere internationale Erfolge stellten sich allerdings auch ein – so erschienen beispielsweise „Mann aus Papier“, „Der Schneemensch“, „Candid Camera“ oder aber Ende der 90er Jahre „Kamasutra“. Zu den Höhepunkten seines Schaffens im Bereich des anspruchsvollen erotischen Comics dürften zweifelsohne „Außer Kontrolle“ („Il gioco“), veröffentlicht 1983, und „Der Duft des Unsichtbaren“ („Il profumo dell'invisibile“) gehören.

 

In den 80er-Jahren begann Manara damit, verstärkt mit anderen großen Künstlern wie Hugo Pratt, Federico Fellini oder aber auch Luc Besson zusammenzuarbeiten. Gemeinsam mit Pratt schuf er die beiden Bände „Ein indianischer Sommer“ und „El Gaucho“, mit Fellini entstanden „Die Reise nach Tulum“ und „Die Reise des G. Mastorna“. Doch Manara zeigt sich auch in anderen Genres recht umtriebig. So schuf er mit dem französischen Regisseur Luc Besson zwei Werbespots für die Parfum-Marke „Chanel No. 5“, arbeitete an der Visualisierung verschiedener Spots für Autofirmen mit oder schuf CD-Cover für diverse Interpreten. Seine Leidenschaft für das Medium Comic ist jedoch ungebrochen. Zu seinen letzten Arbeiten gehört die gemeinsam mit dem Szenaristen Alexandro Jodorowsky entstandene historische Comic-Reihe „Die Borgia“, die zwischen 2006 und 2010 auf deutsch bei „Kult Editionen“ erschien und der Band „X-Men – Frauen auf der Flucht“, den er mit Chris Claremont, dem wichtigsten und einflussreichsten Autor in der Geschichte von Marvels X-Men, schuf.

 

Das Afrika in dem sich Bergmann bewegt, ist weit entfernt von dem reinen und überhöhten Symbol für Abenteuer, dessen sich Schriftsteller wie beispielsweise Hemingway bedienten. Was Manara seinen Lesern bietet ist ein Blick nach Afrika in die Zeit kurz nach der Unabhängigkeit vieler Staaten, die sich von ihren Kolonialherren lossagten. Das oftmals beschworene Reich der Freiheit erweist sich allerdings für die meisten Menschen als Chimäre, auch wenn die meisten afrikanischen Länder in den 1960er und 70er Jahren ein bemerkenswertes, wenngleich bescheidenes Wirtschaftswachstum erlebten. Hier setzt Manara mit seine beiden Geschichten die zwischen 1980 und 1982 entstanden sind an, um dem Leser ein Afrika zu präsentieren, welches der Autor als Überbringer von positiven Werten sieht. Es sind ärmliche Gegenden, die er inmitten seiner phantastischen Reisen präsentiert, mit Menschen, die Not am eigenen Leib spüren, für die Afrika aber eine Mutter ist, welche mit positiven Werten aufwarten kann, welche die westliche Welt nicht oder nicht in dieser Form wahrnehmen will.

 

Einigen europäischen Menschen haben diese Hoffnung in Afrika und die neuen Möglichkeiten erkannt, die dieser Kontinent bietet. So auch Jugendlichen oder jungen Erwachsenen in vielen westlichen Industriestaaten die in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf der Suche nach selbstbestimmten, alternativen Lebensentwürfen waren. Es wundert also nicht, wenn etliche Aussteiger in diesem Kontinent eine kochende Masse ungezügelter Energie entdecken, in welcher der weiße Mann seine Identität verliert und sich letztendlich aufgibt.

 

Die Bergmann-Reihe besticht auch in diesem Band durch ihre gänzlich in schwarz-weiß gehaltenen Zeichnungen und eine angenehm realistische Darstellung der Protagonisten, denen immer eine gewisse Leichtigkeit inne wohnt. Der feine, aber dennoch markant-präzise Strich von Manara kommt durch den harten Kontrast der fehlenden Kolorierung noch mehr zur Geltung, als in anderen Alben und zeigt deutlich den hohen künstlerischen Anspruch, dem mancher Kritiker Manara nicht immer bei der Darstellung seiner lasziven Damen zugetraut hat. Die afrikanische Reise nutzt Manara aber auch für zahlreiche stilistische Variationen – vom akademischen zum grotesken bis hin zum abstrakten Stil – derer sich Manara bedient um seine Geschichten zu erzählen und die Personen zu zeichnen, die den Weg von Giuseppe Bergmann kreuzen. Der Stil der Bilder mag dabei auf den modernen Leser etwas „altbacken“ wirken, insbesondere wenn er uns in psychedelische Gestade führt, aber man muss dabei auch das Alter des Szenarios und den sozialen Hintergrund sehen, der nunmehr rund 30 Jahre zurückliegt.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung:

Auch der neunte Band der Werkausgabe ist wiederum ein stattlicher Hardcoverband mit stattlichen 192 Seiten, den ein überaus passender Schutzumschlag mit einer Collage der Protagonisten des Abenteuers ziert. Wem dies nicht gefallen sollte, der kann sich diesen Band auch unverhüllt anschauen, da sich unter dem Schutzumschlag ein geschmackvoll in Rot gehaltener Hochglanzeinband befindet, den die Rückenansicht eine leicht bekleideten Dame ziert, wie man sie aus dem Oeuvre von Manara kennt. Wie bereits bei den anderen Bänden, gibt es zur Einstimmung zunächst ein überaus kurzweiliges Vorwort, welches sich mit den Hintergründen der Entstehung, zusätzlichen Informationen als auch Deutungsversuchen beschäftigt. Im Anhang bekommt man zusätzlich das Portfolio Nr. 3 „Das Geheimnis der Natur“ von Manara geboten, welches zwar keinen konkreten Bezug zu dem Szenario von Giuseppe Bergmann hat, jedoch wieder einmal die kreative Bandbreite von Manara aus einem anderen Blickwinkel beleuchtet und vor allem durch die Farbkompositionen besticht.

 

Fazit:

Im Original tragen die beiden Szenarien den Untertitel „Die afrikanischen Abenteuer des Giuseppe Bergmann“ und dies dürfte den Inhalt wahrscheinlich immer noch am besten charakterisieren. Zweifelsohne sucht Giuseppe Bergmann immer noch ein Abenteuer auf den Spuren von Hugo Pratt, doch ist der Weg den Manara mit seinem Szenario einschlägt vollkommen anders in seinem Aufbau und in der Struktur, als Pratt ihn je beschritten hätte. Mit seinem Protagonisten und alter ego Giuseppe Bergmann reist Manara tief in die afrikanische Befindlichkeit und gibt ihm und natürlich auch seiner weiblichen Begleitung, einen Einblick in einen Kontinent, der hart mit seinen Krisen zu kämpfen hat, aber dennoch ein Stück Hoffnung und Freude verbreitet. Dies geschieht allerdings nicht plakativ und mit erhobenem Zeigefinger, sondern eher beiläufig.

 

Natürlich dürfen allerlei erotische Eskapaden und frivole Entdeckungen auch in diesem Band nicht fehlen. Ähnlich wie bereits mit der Figur von Fosca skizziert Manara mit Lou-Lou in diesem Band erneut die weibliche Denk- und Fühlweise einer modernen Frau, die nach anfänglichem Zögern ihre sexuelle als auch intellektuelle Befreiung durchläuft. Sie ist für Manara erneut ein Prototyp in einer sich verändernden Gesellschaft mit neuen Wertvorstellungen.

 

Die Reise bzw. die vermeintliche Abenteuergeschichte präsentiert sich als erzähltechnisch kompaktes und zugleich anspruchsvolles Szenario, welches sich in einer Mischung aus psychedelischem Road-Movie mit allerlei Action- und Erotikeinlagen gibt und augenzwinkernd unterm Strich wiederum die Unfähigkeit Manaras beweist eine Abenteuergeschichte zu schreiben, sondern vielmehr im laufe des Erzählens zum Spielball seiner eigenen zeichnerischen Geschöpfe zu werden. Wer also lediglich erotische Eskapaden unter der Sonne Afrikas erwartet, der sollte sich diesen Band besser nicht zulegen! Ansonsten kann ich diesen Band wegen seiner Komplexität nur eingeschränkt empfehlen, da dieser sicherlich einen wunderbaren Einblick in die Vielfalt des Erzählers und Zeichners Manara gibt, aber durch seine bedeutungsschwangeres Szenario den Leser auch erdrückt.