Inhalt:(Vorsicht Spoiler!!!)Ich stehe ja wie verrückt auf das Format und die Aufmachung der Mantikore-Bücher. Die machen sich einfach im Regal ausgesprochen gut. Eines Tages werde ich ein Foto von dem Abschnitt meines Regals machen und einer Besprechung beigeben müssen.
Das Cover zeigt uns den Ex-Straßenjungen Hissune, den wir aus Band 1 kennen und der nun Dienst in den Tiefen des (bürokratischen) Labyrinths schiebt. Aus purer Langeweile verschafft er sich Zugang zur Bibliothek mit Erinnerungswürfeln, von denen einer die Titelillustration ziert, und kann sich so in viele berühmte Personen Majipoors versetzen und ihre Geschichten hautnah miterleben.
Die Aufmachung habe ich ja lobend hervorgehoben; dazu kommt eine mehr als solide Übersetzung und auch der Lektor läuft wieder zu ordentlicher Form auf – zwei vergeigte „dasse“ und ein schön prominenter Fehler auf dem Cover – augenscheinlich haben wir es hier nämlich mit „Band 2 der Majipoor Choniken“ zu tun. Glücklicherweise reparieren die meisten Gehirne diesen kleinen Faux-Pas, sodass er den meisten Menschen gar nicht auffällt.
Kommen wir zum Inhalt. Im Prolog erfahren wir etwas über den kleinen Bürokraten Hissune, der die Rahmenhandlung dieser Kurzgeschichtensammlung bildet. Ihn treffen wir – in kursiver Schrift – jeweils zu Beginn der Geschichten wieder, wo er kurz auf die vorherige Geschichte zurückblickt und in die neue einleitet.
Thesme und der Ghayroge: Puh! Die Sammlung startet mal direkt mit einer merkwürdigen und völlig actionlosen Geschichte. Thesme hat sich mit ihrer Stadt Narabal verkracht und wohnt alleine im Dschungel. Sie rettet einem reptilienartigen Alien, dem Ghayrogen Vismaan, das Leben und lässt ihn bei sich wohnen. So weit so unspektakulär. Interessant an der Geschichte sind die vielen zwischenmenschlichen Komponenten – so hinterfragt man immer mehr ob Thesme die Bewohner von Narabal nicht völlig falsch einschätzt, wundert sich wie sich das Verhältnis von Thesme und Vismaan entwickelt und wie es zum völlig abrupten und unmotivierten Ende der Geschichte kommen kann…
Zeit des Brennens: Auch hier – wenig Action, viel Zwischenmenschliches, ja geradezu Philosophisches. Eremoil hat es in der Hierarchie der Armee hoch gebracht. Derzeit besteht seine Aufgabe darin, im Auftrag von Koronal Siamot mit seinen Kriegern ganze Landstriche abzufackeln. Unschön an der Sache ist, dass diese Landstriche von seinen Landsmännern bewohnt werden und er sie vorher davon überzeugen muss, ihr Land zu verlassen. Der Grundbesitzer Kattikawn allerdings bleibt standhaft und will mit seinem Land sterben. Diese Hingabe führt dazu, dass Eremoil sich zu seinem Koronal begibt und die Kurzgeschichte in einer philosophischen Betrachtung über Kriege und ihre Notwendigkeiten endet.
Im fünften Jahr der Reise: Langsam wird es aufregender. Wir befinden uns mit Kapitän Sinnabor Lavon an Bord seines Schiffes, mit dem er und seine Mannschaft versuchen, das Große Meer zu überqueren. Nach fünf Jahren treffen sie auf Drachengras, das ihre Reise vorerst stoppt…
Calintane erklärt: Jetzt wird es total abstrus! Calintane wird zum „Bewacher“ des Pontifex Arioc ernannt, der – scheinbar senil – immer wieder ausrückt und recht merkwürdige Dinge treibt. Calintane findet allerdings schnell heraus, dass die Fluchten nichts mit Senilität, sondern eher mit einer großen Freiheitsliebe des Monarchen zu tun haben. Schlussendlich findet er eine doch eher ungewöhnliche Methode, dem „Goldenen Käfig“ zu entfliehen. Aber lest selbst. Bisher ganz klar mein persönliches Highlight der Sammlung, auch wenn es langsam ruhig etwas heftiger losgehen könnte.
Die Wüste der gestohlenen Träume: Auch diese Episode ist ganz nett. Der aufstrebende Verwaltungsbeamte Dekkeret läuft vor einer Missetat davon, die er in der Vergangenheit begangen hat. Auf dieser Mission wird er zuerst mit einer schönen Frau, dann mit unheimlichen, aber anscheinend läuternden Träumen und schlussendlich mit einem Typ „wahnsinniger Wissenschaftler“ konfrontiert, der mit den Träumen der Menschen hantiert. Das Ende ist zwar – fast schon programmatisch – überraschend, aber nicht so, dass man sich wochenlang im Schlaf herumwälzen und darüber nachgrübeln würde.
Der Seelenmaler und der Gestaltwandler: Erinnert ihr euch noch an die erste Geschichte? Mensch verliebt sich in Alien? Hier ist die Lage eine völlig andere: Mensch verliebt sich in Metamorphen, einen „Ureinwohner“ von Majipoor.
Schuld und Sühne: Äh, ja. Es geht wirklich um Schuld und Sühne – in der Majipoor’schen Variante mit staatlich gesteuerten Träumen, Vergebung und allem was dazugehört. Nicht besonders doof, nicht außergewöhnlich clever…
Unter den Traumdeutern: Ging es ja in „Schuld und Sühne“ schon um die Manipulation von Träumen, lernen wir hier etwas über die Ausbildung der Traumdeuter. Wir verfolgen den Anfang der Karriere der mittlerweile bekannten Tisana bis hin zu ihrer Prüfung. Auch hier erwartet uns in der Prüfung eine kleine Überraschung. Langsam nehmen die Überraschenden Wendungen so Überhand, dass es mal überraschend wäre, eine Geschichte ganz „vulgär“ enden zu lassen.
Ein Dieb in Ni-moya: Und die nächste schön erzählte Liebesgeschichte. Die junge Inyanna nimmt von zwei Betrügern ein angebliches Erbe an. Sie reist um die halbe Welt, um ihr Erbe in Ni-moya anzutreten, muss aber erkennen, dass „ihr Haus“ wohl doch eher Calain, dem Bruder des Herzogs gehört. Nach einigen Irrungen und Wirrungen und einer Karriere als Diebin, wird eben jener Calain auf sie aufmerksam, nimmt sie nicht nur zur Geliebten, sondern macht diese Verbindung auch noch aktenkundig. So gehört ihr nach seinem Tod ihr angebliches Erbe nun wirklich. Am Ende der Geschichte trifft sie die beiden Betrüger wieder und – guess what – es gibt ein völlig überraschendes Ende.
Voriax und Valentine: Hmmm… Eine Rammelgeschichte mit einem Dreier von Lord Valentine und seinem Bruder, der vor ihm den Thron bestiegen hatte? Geht mir weg mit dem Hippie-Kram. ;-)
Epilog: Die Klammer der Rahmenhandlung schließt sich auf für den Protagonisten überraschenden, für den cleveren Leser erwartete Art und Weise. Hissune wird zu Lord Valentine gerufen und dann… ?
Sorry! Aber irgendwie lässt mich dieser Band total kalt. Es entwickelt sich im Laufe der Zeit eine wirklich interessante Sci-Fi-Fantasy-Welt und auch die einzelnen Episoden sind unbestritten gut erzählt und angemessen gut übersetzt, aber insgesamt springt der Funke so was von nicht über. Ich kann ganz ehrlich nicht sagen was genau mich gestört hat, aber ich musste mich echt durch die Geschichten quälen. Sorry Mr. Silverberg. Sorry, Mantikore, aber diese Reihe ist die bisher einzige in eurer ständig anwachsenden und äußerst sorgsam ausgewählten Bibliothek, die ich nicht unbedingt weiter verfolgen muss.
Fazit:Hmmm… Für mich sind diese Kurzgeschichten weder Fisch noch Fleisch. Für „richtig anspruchsvolle Fantasy“™ sind sie dann doch nicht gut genug erzählt – Schrägstrich – komponiert und um sich richtig flott zu lesen, sind sie einfach zu träge. Nichtsdestotrotz geben sie einen schönen Einblick in die Welt Majipoor und wir haben es mit clever ausgesuchten Momentaufnahmen zu tun, die alle Gesellschaftsschichten, Zeiten und Genres abdecken. Wer also Silverberg-Fan ist und/oder sich einen stichprobenartigen Überblick über eine interessante Fantasywelt verschaffen möchte, der ist hier bestens bedient.
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