Links zur Rezension Inhalt:Der Journalist und Autor Spider Jerusalem hat vor fünf Jahren einen Vorschuss von „Driven Press“ für zwei weitere Bücher erhalten, doch hat es ihn in die Einöde eines Hauses in die Berge gezogen, wo er keinen weiteren Gedanken mehr an diese Bücher verschwendet hat und das Geld schon lange verprasst hat. Erst ein Anruf seines Verlegers bringt ihm dieses Unheil wieder ins Gedächtnis und falls er der nachdrücklichen Aufforderung nicht folge leisten sollte, hätte er ziemlich schnell entweder einige Auftragskiller oder eine ziemlich hässliche Anklage am Hals. Also muss Spider Jerusalem zurück in die Stadt, um dort wieder als Scheiß-Reporter zu arbeiten und die Arbeit an den beiden Büchern zu beenden.
Sein Weg führt ihn direkt zu Mitchell Royce, seinem alten Bekannten und zuständigen Chef-Redakteur. Um an den beiden noch ausstehenden Büchern schreiben zu können braucht er Geld, eine Versicherung und eine Wohnung. Er bekommt das Angebot, eine regelmäßige Kolumne zu schreiben. Im Gegenzug erhält er eine Wohnung und eine Journalistenversicherung.
Ziemlich schnell findet sich Spider sowohl in seiner neuen Wohnung als auch in der Stadt zurecht und stößt auf den drohenden Aufstand der Transienten-Bewegung. Bei Transienten handelt es sich um Menschen, die ihren Körper mittels moderner Gen-Technik verändern und dabei das Aussehen von Aliens erlangen. Da er Fred Christ, einen der führenden Köpfe der Bewegung, kennt, macht sich Spider auf den Weg in den besetzten Stadtbezirk, in dem sich die Tranienten-Bewegung verschanzt hat.
Nach seinem Interview mit Fred Christ wittert Spider seine Chance auf eine große Story, gibt er doch den Tranienten keine große Chance ihre Forderung auf Gleichberechtigung durchzusetzen. Als dann der Aufstand im besetzten Viertel losbricht, geschieht das, was Spider geahnt hat: Im Vorfeld des Wahlkampfes des neuen Präsidenten möchten sich einige Herrschaften in der Stadt als Kämpfer für Recht und Ordnung profilieren. Ein geeignetes Opfer könnten die Transienten sein, die den Cops lediglich einen kleinen Vorwand geben müssten, damit diese den Aufstand niederschlagen können. Und wirklich – die Dinge laufen schief für die Tranienten und Spider muss sich beeilen um seine Story nicht zu verpassen und den Menschen die Wahrheit zu erzählen.
Allerdings nimmt das Elend für Spider kein Ende, da ihm seine Redaktion eine Assistentin zuteilt. Chandon Yarrow soll sich um Spider Jerusalem kümmern und zumindest versuchen ihn anzuhalten, seine Kolumnen zur jeweiligen Date-Line abzugeben. Mit seiner Kolumne und der Verbreitung seiner unverblümten Wahrheit über Geschehnisse in der Stadt macht sich Spider allerdings nicht nur Freunde. Mit Yarrow an seiner Seite lernt Spider neueste technische und soziale Entwicklungen kenne, trifft auf einige alte Bekannte und macht sich zielstrebig weiterhin bei seinen Mitmenschen unbeliebt – insbesondere bei seinem selbsternannten weiteren Kampf gegen den Präsidenten des Landes, liebevoll von Spider das „Monster“ genannt. Schreibstil & Artwork:Der Brite Warren Ellis (geb. 1968) zählt zu den renommiertesten Comic-Autoren der Gegenwart und begann seine Karriere 1990 in englischen Magazinen, bevor er 1994 erstmals für den US-Verlag Marvel unter anderem an den Reihen „Hellstorm“, „Marvel 2099“ und „Thor“ arbeitete. Für Aufmerksamkeit sorgten vor allem die Reihen, die bald darauf für DC Comics entstanden, nämlich „Stormwatch“, „The Authority“ und vor allem „Transmetropolitan“. In der Folge entwickelte sich Ellis zu einem der wenigen Star-Autoren des Mediums, dessen Synonym für hochklassige, intelligente Science-Fiction-Comics wurde. „Global Frequency“ und „Planetary“ untermauerten diesen Status nachhaltig.
In den letzten Jahren schrieb Ellis viele kontroverse Comics für den Verlag Avatar (unter anderem „Black Summer“, „No Hero“, „Crecy“ und „Supergod“), moderne Action-Stoffe für Marvel (unter anderem „Nextwave“, „Astonishing X-Men“, „Ultimate Iron Man“). Ellis vielbeachteter erster Roman „Gott schütze Amerika“ („Crooked Little Vein“) erschien im Juli 2007 in den USA und zwei Jahre später in deutscher Übersetzung bei Heyne. Sein zweiter Roman, der Thriller „Gun Machine“, erschien ebenfalls 2013 in deutscher Übersetzung. Warren Ellis lebt in Southend-on-Sea in England und pflegt seine sehr aktive Online-Persönlichkeit.
„Transmetropolitan“ ist eine dunkle Geschichte, voller Gewalt und Gemeinheiten, in der es kein Tabus gibt und somit dieser Band eigentlich nur dem erwachsenen Leser empfohlen sei. Viel mehr ein Roman, der in Comic-Form erzählt wird, skizziert Ellis mit dem ersten Band grob die Stadt und stellt ihre Bewohner und Sitten vor, lehrt uns ihre Kultur, Technik und gesellschaftlichen Gepflogenheiten und geht langsam über zu den politischen Elementen und den Skandalen, welche die Stadt ebenso prägen.
Als die Comicreihe „Transmetropolitan“ 1997 erschien, konnte noch niemand ahnen, welchen Kultstatus diese Reihe in den kommenden Jahren erreichen sollte. Wahrscheinlich musste erst ein Brite mit einem losen Mundwerk und einigen abstrusen Ideen erscheinen, der einen Protagonisten für eine vom Cyberpunk beeinflusste Welt erschuf, wie sie der Leser bislang im Bereich SF noch nicht kannte. Zwar hatten auch Autor Garth Ennis und Zeichner Steve Dillon mit der Reihe „Preacher“ für einige Aufregung gesorgt, doch die war wohl eher dem religiösen Hintergrund der Reihe geschuldet. Warren Ellis bietet mit dem Protagonisten Spider Jerusalem hingegen einen geradezu ekelhaft egoistischen Charakter, der als Journalist für die „Wahrheit“ seiner Stories keine Skrupel hat, alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen. Inspiration fand Warren Ellis für Spider Jerusalem in dem extrovertierten und egomanischen Gonzo-Journalisten Hunter S. Thompson, dessen bekanntestes Buch „Fear and Loathing in Las Vegas“ sicherlich einigen Lesern bekannt sein dürfte.
Der amerikanische Zeichner Darick W. Robertson hat in seiner zwanzigjährigen Karriere Hunderte von Comics für alle großen US-Verlage gezeichnet. Sein erster Profi-Job war eine Story für „Justice League Quarterly“, gefolgt von einer kurzen Strecke für die Serie „Justic League Europe“ (beide für DC Comics). Danach wechselte er zu Marvel, wo er – nach einer Wolverine-Ausgabe – bei den „New Mutants“ landete. Nach einigen Arbeiten für Malibu und Acclaim kehrte er zu DC zurück, wo er „Transmetropolitan“ zeichnete. Dieser riesige Erfolg machte Robertson zu einem der berühmtesten und begehrtesten Comic-Zeichner Amerikas. Anschließend arbeitete er an „The Boys“ von Garth Ennis. Derzeit illustriert er Grant Morrisons neue Mini-Serie „Happy“, die bei Image Comics erscheint.
Robertson lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern zur Zeit in Napa, Kalifornien, wo er in seiner Freizeit an „Custom Action Figures“ bastelt, Musik schreibt und sich dem Singen und Gitarre spielen widmet.
Mit seiner zeichnerischen Gestaltung von Spider Jerusalem, hat Robertson eine leicht erkennbar Kultfigur geschaffen: Gekleidet in einem schwarzen Anzug, oftmals mit nacktem Oberkörper, der von diversen Tätowierungen bedeckt ist, trägt er seine leidlich geschmacklose bunte High-Tech-Sonnenbrille. Robertson bringt die Stadt mit unglaublichen Details zum Leben und packt in fast jedes Panel eine Fülle von Informationen, die manchmal schon fast zuviel für den Leser sind. Die Massen von tausend Kulturen und Religionen, die Sättigung durch überall präsente Medien und Werbung werden auf zum Teil subtile Art und Weise zum Leben erweckt und so fühlt sich der Leser, als könne der den Gestank der Stadt riechen, das Verkehrschaos wahrnehmen und die Anwesenheit der Menschenmassen fühlen. Jeder Block dieser Stadt ähnelt auf groteske Art und Weise einem gigantischen Times Square, der mit Bildern, Lichtern und anderen visuellen Eindrücken dem Menschen zwar vertraut ist, aber zugleich auch ermüdend und zermürbend echt.
Man kann nicht unbedingt behaupten, Darick W. Robertson sei mit seinen Zeichnungen für „Transmetropolitan“ stilbildend für eine ganze Generation gewesen, doch brachte er das notwendige Handwerkszeug und die Erfahrung mit, um als Zeichner die zum Tei abstrusen Ideen von Warren Ellis umzusetzen. Und so ist es letztlich die präzise Charakterzeichnung der einzelnen Figuren, die sich mit stimmigen Hintergrundkulissen vereint und nebst Kolorierung ein harmonisches Ganzes ergibt.
Qualität, Ausstattung & ÜbersetzungDer Speed Verlag veröffentlichte zwischen März 1999 bis Dezember 2002 insgesamt 32 deutsche Einzelhefte und brachte auch vier Sammelausgaben auf dem Markt. Leider sind die Hefte nur noch antiquarisch zu erhalten und so ist es umso schöner von einer neuen Komplettausgabe von „Transmetropolitan“ von Panini zu hören. Der erste von insgesamt fünf Sammelbänden umfasst die Hefte 1 bis 12 und kann sich als solide verarbeitete Hardcoverausgabe auf jeden Fall sehen lassen. Neben einem Vorwort von Garth Ennis, welches zwar von 1997 stammt, aber mit seinem Inhalt geradezu zeitlos ist, kann der Band mit den verschiedenen Covern der einzelnen Ausgaben aufwarten als auch einer kurzen Biographie von Warren Ellis und Darick W. Robertson
Fazit:Eigentlich ist „Transmetropolitan“ nicht viel mehr als ein zeichnerisch typischer amerikanischer Mainstream-Comic. Was macht also den Reiz der Figur von Spider Jerusalem und dem Szenario aus? Wahrscheinlich ist es die dunkle und zornige Art, wie Spider Jerusalem auf die Stadt reagiert, die sich im Lärm und Dreck windet, sich mutiert und täglich neu erfindet. Eine schöne neue Welt, der Spider Jerusalem das Mittel seines ganz eignen Journalismus entgegenhält und somit zum brillanten Gegenentwurf klassischer SF-Utopien wird. Es gibt keine Gerechtigkeit, Frieden oder soziale Gleichheit – im Gegenteil. Alles wird noch schlimmer, noch widerlicher und erschreckender. Zu einer Zeit, als Gegen Ende der achtziger Jahre Amerika von „political correctness“ nicht geprägt, sondern geradezu aufgeweicht war, schlug dieser Comic wie eine Bombe ein und hielt nicht nur konservativen Kreisen einen Spiegel vor das Gesicht.
Wer „Transmetropolitan“ bislang verpasst haben sollte oder die alten Ausgaben nicht komplett hat, der kommt hier voll auf seine Kosten, insbesondere, wenn man auf der Suche nach einer bitterbösen und geradezu zeitlosen Satire auf eine nicht mehr unbedingt allzu entfernte Zukunft ist.
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