Links zur Rezension Inhalt:Man mag eigentlich nicht viel über den Inhalt der 12 Kurzgeschichten dieses Bandes verraten, möchte man doch dem Leser nicht das Vergnügen nehmen, diese für sich selbst zu entdecken. Im Schnitt weniger als 10 Seiten „kurz“ bieten die schwarz-weiß gehaltenen Geschichten ein breites Spektrum von erzählerischen Experimenten, die geprägt sind von den Eindrücken, als Gabriel Bá und Fabio Moon in São Paulo lebten und versuchten, mit ihren Comics und Ideen Geld zu verdienen. So gibt es Geschichten über Partys, den Nachthimmel mit seinen Sternen, das Warten auf die Liebe oder aber denkwürdige Augenblicke in einer Kneipe, deren Geschehnisse aus zwei Blickwinkeln erzählt werden oder auch den Toten, der an seinem Geburtstag wieder auf die Erde kommt, um mit seinen Freunden das Leben zu feiern. Magische Momente treffen auf die harsche Realität, wie sie auch uns Europäern nicht unbekannt erscheint und hinterlassen im Leben der Protagonisten der Geschichten ihre Spuren. Wunderbar komponierte, arrangierte und in Szene gesetzte kleine Geschichten, die insgesamt den Eindruck machen, als würden sie in diesem Reigen irgendwo alle miteinander in Verbindung stehen.
Schreibstil & Artwork:Der brasilianische Comic-Zeichner Gabriel Bá und sein Zwillingsbruder Fabio Moon sind seit frühester Kindheit als Zeichnerduo aktiv und haben schon an etlichen Projekten zusammengearbeitet. Nach ihrem Abschluss an der Kunsthochschule haben sie zusammen das Fanzine „10 Pãezinhos" herausgegeben und später für den US-amerikanischen Verlag AIT den Comic "Smoke and Guns" kreiert, ein Bandenkrieg-Epos im Zigaretten-Verkäuferinnen-Milieu. 2006 veröffentlichten sie bei Dark Horse die autobiografisch angehauchte Graphic Novel „De:Tales: Stories of Urban Brasil", die von Booklist als eine der zehn wichtigsten Comicpublikationen des Jahres ausgezeichnet und als „Bester Comic 2006" für den Eisner-Award nominiert wurde.
Unter zahlreichen anderen Projekten hat Gabriel Bá als Zeichner für „Casanova" mit Autor Matt Fraction zusammen an der Miniserie „The Umbrella Academy" gearbeitet, für die er zusammen mit dem Autor und Sänger der US-Band „My Chemical Romance“ Gerard Way wiederum mit dem Eisner-Award ausgezeichnet wurde. Der Leitspruch von Gabriel Bá lautet „Comics sind wie Poesie", denn „in einem Gedicht ist ein Wort stets mehr als ein Wort, und in einem Comic kann ein Bild mehr als Bild sein." Gabriel Bá zeichnet derzeit an der zweiten Staffel von „The Umbrella Academy", und wird zusammen mit seinem Bruder in die frühen Tage des Hellboy-Universums abtauchen und sich für die grafische Umsetzung von „B.U.A.P. 1947“ aus der Feder Mike Mignola und Josh Dysart verantwortlich zeichnen.
Das Bemühen um die Darstellung einer integralen Realität führt Bá und Moon dazu, die geschlossenen Form des klassischen Comics mit strukturiertem Geschehnisverlauf, Chronologie und allwissendem Erzähler abzulehnen. Sie brechen diese Struktur auf, bescheiden sich als Erzähler und sind kaum noch allwissend, sondern spalten sich in mehrere Personen oder Perspektiven auf oder verschwinden ganz. Man experimentiert, lässt den Leser aktiv am Schaffensprozess teilnehmen und stellt so ein neues Verhältnis zwischen Autor und Leser und dem Medium Comic her. Das Gesamtkunstwerk Comic entsteht erst durch die Mitarbeit des Lesers, der die einzelnen Botschaften und Fragmente zu einem Ganzen zusammenfügt.
Zeichnerisch beeindrucken die Schwarz-weiß-Episoden mit denen die kleinen Wunder des Lebens in der harten brasilianischen Realität präsentiert werden. Es herrscht ein klassischer Aufbau, der mit einer Sequenz von 3 oder 4 Panels pro Zeile arbeitet und dabei meist mit drei Zeilen pro Seite auskommt. Großformatige Bilder trifft man selten, aber immer wieder auf Menschen, deren Gesichter und Emotionen die in einem recht realistisch gehaltenen Stil und klarer Linienführung überzeugen können.
Qualität, Ausstattung & Übersetzung:Cross Cult bietet dem Leser eine gebundene Hardcoverausgabe die im Format A 5 erscheint und sowohl durch ihre Verarbeitung als auch die Druckqualität überzeugt. In Sachen Ausstattung gibt es ein kurzes Vorwort von Gabriel Bá und Fábio Moon, das sich mit der Entstehung und den Hintergründen der Geschichten des Bandes auseinandersetzen. Hier hätte ich gerne noch etwas mehr gelesen, aber vielleicht hätte das aber die eine oder andere Geschichte schlicht und ergreifend „entzaubert“. Insofern ist dieses kleine Extra in seiner prägnanten Kürze ausreichend. Die absolut gelungene Übersetzung stammt von Frank Neubauer und lässt sich überaus angenehm lesen. Das Lettering und das Layout stammen von Amigo Grafik.
Fazit:Mit ihrem bereits 2006 veröffentlichten Band „De:Tales“ erzählen der brasilianische Comic-Zeichner Gabriel Bá und sein Zwillingsbruder Fabio Moon zwölf Geschichten aus ihrem Heimatland. Wer allerdings meint, es handele sich um typisch brasilianische Geschichten, den muss ich enttäuschen. Es sind Erzählungen, die aus dem Alltag gegriffen sind und Geschichten über Menschen erzählen. Dabei gelingt dem Duo mit dem Medium Comic ein geradezu wunderbarer Kunstgriff: Zwischen der Realität, die man eigentlich die „reale Realität“ nennen müsste, und der magischen Realität, wie Menschen sie nur selten erleben können, gibt es eine dritte Realität, und diese andere Realität ist nicht nur Produkt des Sichtbaren und Greifbaren, nicht nur der Halluzination und des Traums, sondern ist Ergebnis der Verschmelzung dieser beiden Elemente. Mit dieser dritten Realität jongliert das Duo in seinen Geschichten über Menschen, die Liebe, Freunde und den Tod. So scheinen diese Erzählungen auf einmal nicht „typisch brasilianisch“ zu sein (falls es das überhaupt gibt), sondern haben einen universellen Ansatz, den auch der Leser in Europa ohne Probleme verstehen kann. Insofern wundert mich die Verleihung des Eisner-Award im Jahr 2006 für diesen kleinen aber feinen Band nicht, insbesondere wenn man neben den erzählerischen Raffinessen auch noch die hervorragenden Zeichnungen sieht, welche im Einklang mit den Szenarien stehen. Für mich eine absolut überzeugende Entdeckung, die ich neugierigen Lesern mit einem Faible für Geschichten mit „Lebensgefühl“ nur ans Herz legen kann und die nicht ein weiteres „Dschungel-Abenteuer“ vom Amazonas erwarten.
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