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Bruce J. Hawker – Gesamtausgabe 1
Bewertung:
(4.0)
Von: Jörg Deutesfeld
Alias: Debaser
Am: 07.05.2014
Autor:William Vance (Autor und Zeichnungen)
Übersetzer:Harald Sachse, Tobias Haßdenteufel
Typ:Comic / Graphic Novel
Setting:Historische Seefahrer
VerlagSplitter Verlag
ISBN/ASIN:978-3-86869-608-0
Inhalt:192 Seiten, Hardcover - Großformat
Preis:34,80 EUR
Sprache:Deutsch

Inhalt:

Der erste Sammelband der zweibändigen Gesamtausgabe enthält die vier Abenteuer „In den Tiefen der HMS Thunder“ (Les entrailles du H.M.S. Thunder: La ruche infernale), „Kurs auf Gibraltar“ (Cap sur Gibraltar), „Die Orgie der Verdammten“ (L’orgie des damnés) sowie „Press Gang“ (Press gang)

 

In den Tiefen der HMS Thunder

Das englische Schlachtschiff „HMS Thunder“, ein imposanter Dreidecker mit einer Bewaffnung von 104 Kanonen und einer Besatzung von 865 Mann, soll sich dem Geschwader von Vizeadmiral Sir Samuel Hood anschließen, welches in den Gewässern von Algeciras, unweit der Meerenge von Gibraltar, kreuzt. Auf ihrem Weg trifft die „HMS Thunder“ auf eine spanische Fregatte, die mit zwei Begleitschiffen das Schlachtschiff zur Konfrontation auf offener See zwingt.

 

Hier wechselt Blickwinkel unter Deck und der Leser verfolgt die Geschehnisse auf einem der Geschützdecks, wo 225 Mann damit beschäftigt sind, die Kanonen zum Gefecht vorzubereiten. An einer der Kanonen ist auch Bruce J. Hawker mit seinen Gefährten zugange und man bekommt als Leser einen imposanten Eindruck von dem tödlichen Tanz der schwimmenden Festungen auf hoher See, als der Geschützdonner die Zwischendecks durchzieht.

 

Kurs auf Gibraltar

Ein eisiger Wind fegt am 10. Januar 1800 durch das Londoner Hafenviertel, wo sich Kapitänleutnant Bruce J. Hawker, der neue Kommandant der königlichen Fregatte „Lark“ von seiner Freundin verabschiedet. In der Schlacht von Abukir hat der noch junge Bruce J. Hawker an Bord der „Vanguard“ großen Eindruck auf Admiral Nelson gemacht, dem er letztlich auch sein neues Kommando zu verdanken hat. Sein Auftrag lautet mit der „Lark“ zwei Frachtschiffe zu eskortieren, die mit Waffen und Munition für den wichtigen Mittelmeerstützpunkt Gibraltar unterwegs sind. Kein einfacher Auftrag, aber auch nicht unmöglich in der Ausführung, selbst wenn sein Schiff nur über alte und zum Teil defekte Kanonen verfügt.

Als die „Lark“ bereits die Kreidefelsen von Dover hinter sich gelassen hat, erreicht ein Küstensegler mit einer Botschaft für den Kommandanten den Verband. Kapitänleutnant Bruce J. Hawker erhält eine Nachricht von der Admiralität, welche ihn über einen spanischen Flottenverband informiert, der im Golf von Cadiz kreuzt. Er wird dazu angehalten, die Linie des Flottenverbandes ohne Rücksicht auf Verluste zu durchbrechen und Gibraltar zu erreichen, zumal sich an Bord eines der Frachtschiffe Teile einer Geheimwaffe befinden, die für den dortigen Stützpunkt gedacht sind. Ein Scheitern von Hawker würde von der Admiralität nicht akzeptiert.

Drei Wochen später nähert sich der Konvoi dem Golf von Cadiz und Nebel zieht auf. Da man sich in spanischen Hoheitsgewässern befindet, lässt Hawker die Mannschaft das Schiff in Gefechtsbereitschaft bringen. Und tatsächlich kommt es zur schicksalsschweren Begegnung mit einem überlegenen spanischen Geschwader, welches den britischen Konvoi unter Beschuss nimmt. Trotz harter Gegenwehr ist am Ende des Tages die Schlacht für die „Lark“ und die beiden Frachtschiffe beendet und die britischen Soldaten nebst den Offizieren sind Gefangene der Spanier, die sie nach Cadiz bringen, wo auf die Offiziere bereits die Kerkerhaft wartet.

 

Die Orgie der Verdammten

Bruce J. Hawker und vier andere Offiziere der Fregatte „Lark“ befinden sich als Gefangene an Bord eines spanischen Schiffes, welches sie zur Festung El Ferrol bringen soll, wo man sie nochmals verhören möchte, um sie dann als Sklaven auf spanischen Galeeren einzusetzen. Die Lage für die Männer in ihrem finsteren Verschlag unter Deck scheint aussichtslos, aber mit dem Mut der Verzweiflung schaffen es Bruce J. Hawker, George Lund, James Jackson, Richard Burns und Percy Reeves die spanischen Wachen zu überlisten. Sie sind jedoch nicht die einzigen Passagiere an Bord, befindet sich doch im Geschützdeck, dem geräumigsten Teil des Schiffes, eine Gruppe von Zigeunern, deren Ausgelassenheit keine Grenzen kennt und die Überfahrt mit Teilen der Mannschaft als großes Fest versteht.

Während Bruce mit seinen Freunden sich den Weg durch die engen Gänge des Schiffsbauches freikämpft und einen ganz besonderen Plan für ihr Verschwinden vorbereitet, kommt es im Geschützdeck zu einem handfesten Streit zwischen der spanischen Besatzung und den Zigeunern, in deren Verlauf ein Mann stirbt und die Situation eskaliert. Während der Kampf tobt machen sich Bruce und seine Männer auf die Flucht von Bord – allerdings haben sie die Pulverkammer in Brand gesetzt und in wenigen Augenblicken wird das Schiff explodieren.

Bei stürmischer See gelingt Bruce und seinen Mitstreitern in einem Rettungsboot die Flucht und es gelingt ihnen auch, eine der Zigeunerinnen zu retten, die auf dem Meer treibt. Das Schicksal ist auf ihrer Seite, werden sie doch auf hoher See von einem englischen Schiff gerettet. Als man jedoch erkennt, wenn man aus dem Meer gerettet hat, wendet sich das Blatt für Bruce J. Hawker, da man ihn für sein Versagen an Bord der „Lark“ und dem Scheitern seiner Mission wegen Hochverrats anklagen will.

 

Press Gang

Zurück in England klagt man Bruce J. Hawker wegen seines vermeintlich unwürdigen Verhaltens an Bord der „Lark“ an. Bis zu seiner endgültigen Verurteilung darf er allerdings auf freien Fuß bleiben. Ein schwacher Trost, löst doch auch seine Verlobte ihre Bindung mit ihm auf und es scheint, als habe er alles verloren, was ihm wichtig war.

Als Hawker abends durch das Hafenviertel spaziert, wird er Zeuge, wie eine „Press Gang“, ein Kommando, welches Männer für die Marine zwangsrekrutiert, Furcht und Schrecken in der „Black Tavern“ verbreitet. Als die Männer der „Press Gang“ eine Frau in einer Seitengasse bedrohen, greift Hawker ein und muss zu seinem Erstaunen feststellen, erneut der jungen Zigeunerin von der spanischen Fregatte geholfen zu haben. Gemeinsam fliehen sie vor ihren Verfolgern und Hawker bringt das Mädchen in Sicherheit. Allerdings gelingt es den Männern der „Press Gang“ später doch noch Hawker habhaft zu werden und ihn an Bord des Schlachtschiffes „HMS Thunder“ zu bringen, wo er nunmehr als Kanonier unter Deck seinen Dienst leisten muss.

Der Angriff einer spanischen Fregatte auf hoher See kann von der „HMS Thunder“ nur unter großen Verlusten und schwerer Beschädigung des Schiffes gewonnen werden. Nachdem die Schlacht gewonnen ist, entdeckt Bruce J. Hawker unter den Offizieren an Bord seinen alten Freund Leutnant Lund, der sich beim Kommandant für ihn einsetzen will. Doch der Kommandant ist schwer verletzt und das schwer beschädigte Schiff steuert nahezu führerlos in einen schweren Orkan hinein. Unter Deck ist die Stimmung der Männer gereizt, verweigert man ihnen doch ärztliche Hilfe nach der Schlacht. Die Lage eskaliert und es kommt zum Aufstand der zum großen Teil zwangsrekrutierten Männer. Allerdings wissen Lund und Hawker eins – ohne Führung ist das Schiff in dem schweren Sturm verloren. Nur mit Mühe gelingt es Hawker die Mannschaft inmitten des Sturms zum durchhalten zu zwingen. Doch als der Sturm sich verzogen hat, soll Bruce trotz seines Engagements für sein Handeln bestraft werden. Erneut stehen die Dinge schlecht, aber es zeichnet sich unerwartete Hilfe ab.

 

Schreibstil & Artwork:

William van Cutsem, der später unter seinem Pseudonym William Vance bekannt werden sollte, wurde am 8. September 1935 in Belgien geboren. Nach dem Besuch der Académie des Beaux-Arts in Brüssel arbeitet er zunächst in einer Werbeagentur. Sein Debüt als Zeichner machte er 1962 mit einigen Zeichnungen in der niederländischen Version des „Tintin-Magazins“. Seine ersten Comic-Geschichten waren in der Regel Biografien, aber im Jahr 1964 begann er seine erste Serie, „Howard Flynn", die von einem Marineoffizier handelte. Vance wirklich großes Talent offenbarte sich, als er mit dem Szenaristen Jacques Acar 1965 die Western-Serie „ Ray Ringo" und 1967 nach den Szenarien von Michel Greg vier kurze Geschichten über einen Geheimagenten in Brasilien zeichnete, die es später als Agentenserie „Bruno Brazil" auf insgesamt 11 Alben brachte. Gleichzeitig übernahm er die Serie „Bob Morane“, um den gleichnamigen ehemaligen Fliegerpiloten und seinen Freund Bill Ballantine, die Vance nach Erzählungen von Henri Vernes zeichnete und die im wöchentlichen Magazin „Femmes d'Aujourd'hui“ erschien und später als Serie von Felicimo Coria übernommen wurde. Mit André- Paul Duchâteau produzierte er ab 1976 die „Bruce J. Hawker"-Serie, die im „Tintin“-Magazin und „Femmes d' Aujourd'hui“ erschienen.

 

Höhepunkt seiner Karriere wurde zweifelsohne die Spionage-Serie „XIII ", deren Szenario von Jean Van Hamme geschrieben wurde, welches wiederum auf dem Buch von Robert Ludlum „Die Bourne Identität" basiert. Ab 1984 wird „XIII " um den Protagonisten und die Suche nach seiner wahren Identität aufgebaut. Was folgt, ist eine Reihe von spannenden Intrigen, Regierungs- und Militär-Coverups, Mordversuche und eine Menge Action.

 

Ins Western-Genre kehrte er 1991 mit dem „Blueberry" Spin-off „Marshall Blueberry“ ein, deren Szenarien von Jean Giraud stammten. In erster Linie durch die Arbeiten den niederländischen Comiczeichners Hans Georg Kresse inspiriert, ist William Vance ein überaus sorgfältiger Künstler mit einem großen Sinn für Realismus und Detailtreue. Im Jahr 2010 kündigte er seinen Rücktritt als Zeichner infolge seiner fortschreitenden Parkinsonschen Erkrankung an.

 

Mit dem Charakter des Bruce J. Hawker hat William Vance einen zeitlosen Helden mit zahlreichen Facetten geschaffen, der sowohl authentisch als auch überzeugend daherkommt. Man erfährt in den Geschichten nicht viel über den Protagonisten, aber das ist auch nicht notwendig, um ein Gespür für die zielsicher präsentierte zeitgenössische Schilderung der britischen Kriegsmarine zu erhalten. Hier herrschen nicht nur raue, sondern zum Teil auch menschenverachtende Sitten vor, denen sich der Protagonist immer wieder mit Entschlossenheit entgegenstellt, ohne dabei Unglaubwürdig zu erscheinen. Es ist weniger der strahlende Glanz der britischen Marine als vielmehr die immer wiederkehrenden Abgründe menschlichen Verhaltens, welche die Spannung in den Geschichten ausmachen – hier treffen tiefe Männerfreundschaften auf blankes Kalkül der Marineführung und antiquiertes Gehabe von alten Offizieren auf echtes Engagement von Männern, die ums blanke Überleben kämpfen. Dies geschieht ohne jegliches Pathos und oder Feststellungen von Richtig und Falsch. Dies überlasst Vance letztlich dem Leser.

 

Zeichnerisch präsentiert sich Vance als detailversessener Perfektionist, für den auch noch die letzte Schaumkrone des peitschenden Meeres von Bedeutung ist. Für damalige Verhältnisse verlässt Vance den klassischen Seitenaufbau und bricht sowohl mit großformatigen Darstellungen als auch mit ineinander übergreifenden Panels gewohnte Leseverhältnisse auf. Manche Panels zeugen allerdings auch von einem etwas lieblos hingezeichneten Hintergrund für die handelnden Figuren, der in dieser Form nicht nachvollziehbar ist. Hier habe ich mir schon vor Jahren wesentlich mehr Sorgfalt gewünscht, zerstört Vance doch immer wieder die von ihm sorgsam aufgebaute Stimmung der Erzählung.

 

Qualität, Ausstattung & Übersetzung:

Der Splitter Verlag schickt sich an, die ersten vier Abenteuer von Bruce J. Hawker, die zwischen 1979 und 1985 erschienen sind, in einer qualitativ hochwertigen Gesamtausgabe zu vereinen, die sowohl vom Druck als auch von der Verarbeitung an dieser Stelle nur lobend hervorgehoben werden kann. Es ist allerdings nicht nur die gebotene Qualität die überzeugt, sondern auch die Fülle an Ausstattung dieses Bandes. So gibt es ein sehr umfassendes Dossier von Jacques Pessis, welches sich mit der Entstehung der Figur von Bruce J. Hawker als auch mit der Reihe als solche beschäftigt und mit zahlreichen Zeichnungen und anderen Illustrationen aufwarten kann. Zudem gibt es eine überaus lesenwerte Biographie von William Vance, Auszüge aus den französischen Original-Comics und einiges mehr. Die gelungene Übersetzung stammt von Harald Sachse und Tobias Haßdenteufel, wobei das sehr authentische deutsche Lettering von Calvin Gotta stammt. Mit 192 Seiten wahrlich ein Schwergewicht, welches nicht nur dem Sammler viel Freude bereiten dürfte.

 

Fazit:

Man kann eigentlich nur voll des Lobes sein für diesen wunderbaren ersten Tei der Gesamtausgabe: Ein grafisch orientiertes Dossier, viele große Abbildungen und eine hochwertige Neu-Digitalisierung des Comicteils zeichnen diesen umfangreichen Band aus, der zwar nicht unbedingt zu den günstigen Neuanschaffungen der Saison gehört, aber mit seinem Inhalt sicherlich nicht nur Fans und Sammler überzeugen kann. Man mag sich unter Umständen über einige Aussagen von Jacques Pessis in seinem Dossier über Vance vortrefflich streiten, insgesamt bietet es aber einen wunderbaren Überblick über die gesamte Arbeit des Multitalents, der bei weitem nicht nur auf hoher See unterwegs war, sondern auch andere überaus erfolgreiche Reihen konzipierte und zeichnete.

 

Für mich eine absolute Kaufempfehlung, da ich einige der Geschichten von Bruce J. Hawker noch aus Kinderzeiten kenne und ich mich sehr gefreut habe, sie auf diese Art und Weise neu zu entdecken. Wer ein Faible für gelungene Darstellungen von Schlachtschiffen auf hoher See hat und Geschichten im Stil von „Master und Commander“ mag, der dürfte hier sehr gut aufgehoben sein, selbst wenn die Zeichnungen zweifelsohne aus den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts stammen – für mich nach wie vor einfach sehens- und lesenswert.