Inhalt:Das Tagebuch von Clementine beginnt am 12. Oktober 1994 und nimmt den Leser mit auf eine Reise in das Leben einer Teenagerin, die diesem Tagebuch in den nächsten Jahren die Aufzeichnungen ihres noch jungen Lebens anvertrauen wird.
Wie jedes andere Mädchen mit 15 Jahren schwärmt Clementine für Jungs, kämpft sich durch die Schulzeit und versucht ihr junges Leben mit ihren Freundinnen zu genießen. Allerdings nimmt ihr Leben im Oktober 1994 eine gänzlich andere Wendung, als sie zum ersten Mal Emma sieht und ihre Gedanken sich um dieses ältere Mädchen mit den blaugefärbten Haaren dreht. Ihre kurze Beziehung mit Thomas beendet sie und muss zu ihrem erschrecken feststellen, sich zu Mädchen hingezogen zu fühlen. Durch ihre konservative Erziehung erscheint ihr dies alles unmöglich und nur schwer fassbar, aber dennoch muss sie sich eingestehen, tief in ihrem Inneren lesbisch zu sein.
Durch einen Zufall trifft Clementine abends in einer einschlägigen Szenekneipe auf Emma und all ihre Träume scheinen wahr zu werden, auch wenn ihre Freundinnen die sexuelle Orientierung von Clementine nicht akzeptieren wollen. Einzig ihr Kumpel Valentin steht ihr in dieser schweren Zeit an der Seite, der selbst in einen Jungen verliebt ist und seine sexuelle Neigung vor seinen Freunden mehr oder weniger verstecken muss.
Es ist aber nicht nur ein seltsamer Kampf gegen die Vorurteile der Gesellschaft gegenüber Homosexuellen, den Clementine auf sich nehmen muss, sondern auch ihre bisherige Erziehung zur Heterosexualität, die als „normal“ angesehen wird, steht ihr im Weg. Es ist ein langer Weg, den Clementine zurücklegen muss, zumal Emma selbst in einer festen Beziehung ist und selbst als beide endlich zusammen sind, es recht unterschiedliche Lebensentwürfe sind, die beide antreiben.
Schreibstil & Artwork:Die 1985 in Nordfrankreich geborene Comicautorin Julie Maroh studierte am Brüsseler Institut Saint-Luc und der Académie royale des beaux-arts de Bruxelles. Sie selbst veröffentlichte drei Sammlungen von intimen Geschichten bevor 2010 ihre Graphic Novel „Le bleu est une couleur chaude“ im Verlag Glénat erschien und sie international bekannt machen sollte. Die Arbeit an „Le bleu est une couleur chaude“ begann sie bereits im Alter von 19 Jahren. Selbst bekennende Lesbe sind es aber keine autobiographischen Bezüge, die sie in ihrer Geschichte darstellt, sondern verarbeitet vielmehr aus eigener Erfahrung und Kenntnis die größtenteils gleichen Schritte und Nöte, die homosexuelle Menschen durchmachen müssen, wenn sie ihre sexuelle Bestimmung finden. Beim renommierten „Festival International de la Bande Dessinée d’Angoulême“ erhielt sie 2011 für diese sensible und fesselnde Geschichte über weibliche Homosexualität und ihre Akzeptanz in der heutigen Gesellschaft den Publikumspreis.
Eine Verfilmung unter dem Titel Blau ist eine warme Farbe (La Vie d’Adèle – Chapitre 1 & 2) des ein französischer Film- und Theaterregisseurs tunesischer Herkunft Abdellatif Kechiche mit Adèle Exarchopoulos und Léa Seydoux in den Hauptrollen wurde 2013 bei den Filmfestspielen von Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Die explizite und sehr lange Sexszene im Film hat nicht nur unter den Zuschauern für heftige Diskussionen gesorgt sondern auch für die Äußerung von Julie Maroh, es sei eine „brutale und chirurgische, überbordende und kalte Zurschaustellung von sogenanntem lesbischen Sex“.
Neben der mit klaren und realistischen Strichen gehaltenen Zeichnungen, sind im Szenario die Übergänge zwischen den farbigen und Schwarz-Weiß-Sequenzen recht elegant gelöst, wobei die Darstellung der Gegenwart in Farbe und die der Vergangenheit in Schwarz-Weiß erfolgt und der Farbe Blau eine besondere Bedeutung zukommt. Der Leser folgt den Ereignissen der Vergangenheit in Clementines Tagebuch, aber da sich ein Gedächtnis nie ganz alles erinnert, sondern immer nur an spezifische Details wie beispielsweise ein Geruch, eine Geste oder ein Objekt, so sind unter den unvollkommenen Erinnerungen von Clementine, solche, die „Blau“ sind, um die starke Bedeutung dieser Erinnerungen noch zu verstärken. Julie Maroh sagte selbst, bei der Wahl der Farbe Blau handelte es sich eigentlich nur um eine grafische Entscheidung. Sie habe in einer Art Ausschlussverfahren festgestellt, welche Farben in diesem Kontext funktionieren würden. Die Farbe Blau war letztlich die beste Lösung um ihre Intention zu verwirklichen und natürlich auch eine schöne Wortspielerei für den Titel des Comics.
Qualität, Ausstattung & Übersetzung:Der Autorencomic „Blau ist eine warme Farbe“ erscheint beim Splitter Verlag in der Reihe „Splitter Books". In Sachen Qualität und Verarbeitung steht die Reihe der kleinen handlichen Splitter Books den großformatigen Alben des Verlags in nichts nach. Die Verarbeitung des Hardcover-Bandes (nebst Schutzumschlag) ist ordentlich und auch das Druckbild kann überzeugen. Die Absicht des Splitter Verlages mit diesen Bänden eine Brücke zwischen Fach- und Buchhandel zu schlagen, scheint aufzugehen, zumal dieses scheinbar günstigere Format auch die Veröffentlichung von „Experimenten“ erlaubt, die sonst so in dieser Form für den Verlag nicht möglich wären.
In Sachen Ausstattung gibt es in diesem Band lediglich ein kurzes Autorenporträt von Julie Maroh, das sich mit einer knappen Seite begnügt. Hier gab es bei einigen anderen Ausgaben der Reihe schon wesentlich mehr an Extras, was allerdings zu verschmerzen ist. Die tadellose Übersetzung der französischen Texte stammt von Tanja Krämling.
Fazit:Was Julie Maroh in ihrer Graphic Novel dem Leser bietet, ist eine junge Frau in einer Zeit rückwärts gewandter Moralvorstellungen, die ihren eigenen Weg gehen will und dabei nicht nur mit ihrer Umwelt harte Kämpfe auszufechten hat, sondern auch mit sich selbst. Die Zeichnungen von Julie Maroh spiegeln dabei perfekt die manchmal widersprüchlichen Emotionen, die von einer solchen Situation ausgehen und lassen den langsamen Weg zur Akzeptanz entstehen. Julie Maroh arbeitet dabei mit einem lobenswerten Taktgefühl, ohne Schwere oder erhobenen Zeigefinger.
Ein wunderbarer Comic, der die das chaotische Innenleben der Gefühle eines Teenagers beleuchtet, ihm bei der Suche nach seiner eigenen Sexualität folgt, die Liebe zu einem anderen Mädchen schildert, die Ablehnung der eigenen Familie und einige andere recht extreme Reaktionen, die in ihrer Darstellung recht klischeehaft, aber als durchaus möglich daherkommen. Egal welche sexuelle Orientierung man hat, so bietet dieser Autorencomic doch eine überaus persönliche und engagiert erzählte Geschichte einer schwierigen Liebe, die wunderschön illustriert ist, ohne dabei in ein Klischee zu verfallen. Für mich eine angenehme Entdeckung in der ansonsten rechten kargen Welt der großen „Liebes-Comics“, die trotz einem schockierenden und tragischen Ende ein Plädoyer auf die Liebe ist.
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