Links zur Rezension Vorwort: „Werfen Sie einmal einen Blick aus dem Fenster, Watson. Schauen Sie sich an, wie da Gestalten auftauchen, kaum erkennbar, und wieder im Nebelmeer verschwimmen. Ein Dieb oder Mörder könnte an einem solchen Tag London durchstreifen wie der Tiger den Dschungel, unbemerkt bis zum Angriff, und auch dann nur für sein Opfer sichtbar.“ – Sherlock Holmes –
„London – Im Nebel der Themse“ ist ein 233 Seiten umfassender Quellen- und Abenteuerband für Cthulhu von Pegasus Press, der sich ausführlich mit der britischen Metropole in der Zeit von 1890-1920 befaßt. Dieses Werk gliedert sich in insgesamt sieben Kapitel, auf die im weiteren Verlauf der Rezension im Detail eingegangen werden soll. Vorweg möchte ich das außergewöhnlich gelungene Artwork dieses Buches hervorheben, das ich selten als so passend empfunden habe wie bei diesem Werk. Alle Bilder sind durchgängig in schwarz-weiß gehalten, doch die Mischung von alten Fotos, Zeichnungen, Bauplänen und Werbeplakaten fangen die in dem Band vermittelte Stimmung wunderbar ein und sind mehr als nur schönes Beiwerk für die Augen. Ebenso ist die sinnvolle Aufteilung und Anordnung der Kapitel sowie der Unterkapitel ausdrücklich zu loben, da sie es dem Leser sowohl das erste Lesen sehr vereinfachen wie auch ein schnelles Nachschlagen im späteren Verlauf einer Kampagne ohne Probleme möglich machen.
Kapitel 1: Zur Einführung Im ersten Kapitel wird die Entwicklung der Stadt London beschrieben, angefangen in der Urzeit bis hin zur Metropole im Jahre 1920. Ob diese Daten geschichtlich alle so korrekt sind, vermag ich nicht zu sagen, aber ich gehe einfach davon aus, so daß hier der Leser schon sehr viele interessante Details aufgelistet bekommt. Des weiteren geht dieses Kapitel auf die verschiedenen Katastrophen ein, die London im Laufe der Zeit heimgesucht haben, sei es der „Schwarze Tod“ oder verschiedene Brandkatastrophen. Die beiden Epochen, für die dieses Werk ausgelegt ist, werden auch im Detail beschrieben. Hierbei handelt es sich einerseits um die klassische Cthulhu Zeit um 1920 wie auch die „Gaslicht“-Epoche um 1890. Es wird für diese Epochen ein kurzer geschichtlicher Abriß geliefert, der sowohl politische wie auch kulturelle Veränderungen aufzeigt und dem Leser näherbringt. Verschieden Kästen auf den Seiten stellen wichtige Persönlichkeiten wie etwa Königin Victoria näher vor oder stellen hier schon eine Verbindung mit dem Cthulhu-Mythos her. Dieses Schema zieht sich wie ein roter Faden durchs Buch, so daß einem Spielleiter an den verschiedensten Stellen mögliche Abenteuerideen präsentiert werden. Außerdem wird in diesem Abschnitt des Werkes das politische System Großbritanniens vorgestellt, wie auch das Währungssystem in diesen Zeiten. Zusätzlich wird hier noch Spielern mit einem kurzen Artikel geholfen, deren Charaktere keine Briten sind. Es wird erläutert, wie das Verhältnis der Briten gegenüber Amerikanern bzw. Deutschen zu jener Zeit ist und wo in London sich diese Ausländer meist aufhalten.
Kapitel 2: Streifzüge durch London Dieses umfangreiche Kapitel geht im Detail auf die verschiedenen Stadtteile von London und ihre Besonderheiten ein. Und wenn ich sage „im Detail“, dann ist auch genau das gemeint! Die Dichte der hier angebotenen Informationen ist so groß, daß man förmlich von ihnen erschlagen wird. Nicht nur, daß die Lebensverhältnisse beschrieben werden, nein, auch Sehenswürdigkeiten, Besonderheiten und für die Spieler / den Spielleiter wichtige Gebäude oder Personen werden nähergebracht. So ist z.B. eine komplette Karte des Londoner Zoos abgedruckt worden oder das Schienennetz der Londoner U-Bahn. Die Beschreibungen werden immer wieder aufgelockert mit kleinen mysteriösen Geschichten, die man in einer Cthulhu-Kampagne verwenden kann wie etwa das seltsame 11-tägige Verschwinden von Agatha Christie 1925. Dazwischen werden alte Fotos und Bilder zum Thema abgedruckt, die den Text visuell unterstützen. Ein ganzer Abschnitt in diesem Kapitel beschäftigt sich mit Friedhöfen und Irrenhäusern im London dieser Epochen und auch verschiedene Geschichten von geisterhaften Erscheinungen werden aufgezählt. Dieser Abschnitt ist praktisch das Herzstück des ganzen Werkes. Ich bin ganz ehrlich: Ich habe noch nie so eine Fülle an Informationen in einem Regelwerk für ein Rollenspiel gesehen, die dann auch noch nicht mal trocken zu lesen sind, sondern einen regelrecht fesseln. Ich würde es schon fast als Referenz für Regelwerke dieser Art ansehen.
Kapitel 3: Leben in London Während das zweite Kapitel die Stadteile im Einzelnen näher beleuchtet, geht es in diesem Kapitel um das Leben in London an sich. Hier werden die alltäglichen Dinge vorgestellt wie etwa, wie der Londoner seinen Alltag verbringt, wobei hier nach den verschiedenen sozialen Schichten unterteilt wird. Es werden die Besonderheiten des sogenannten „Cockney“-Englisch aufgeführt und wichtige Sachen wie etwa der Verkehr in London abgehandelt. Sehr detailliert wird der Wandel von den Pferdefuhrwerken zu den Automobilen aufgeführt, aber auch der Schienen- wie auch der Luft- und Seeverkehr werden nicht vergessen. Unter anderem sind die verschiedenen Modelle der damals geläufigen Automobile mit ihrer Geschichte abgedruckt sowie verschiedene Reiserouten zu wichtigen Orten auf dem europäischen Kontinent. Ebenso wird auf das Freizeitverhalten der Londoner eingegangen, sei es Sportveranstaltungen, die damals üblichen Klubs (Stichwort: „Clubbing“) oder auch Pubs, Gesellschaftsspiele und Opiumhöhlen. So habe ich z.B. nach 29 Jahren endlich kapiert, wie Cricket abläuft! Sehr wichtig für viele Kampagnen dürfte der Abschnitt über die Polizeikräfte und die Gerichtsbarkeit in London (bzw. Großbritannien) sein. Auch hier werden wieder dem Leser detailliert die Besonderheiten näher gebracht, so daß er ohne Probleme mittels dieser Informationen eine glaubwürdige Kampagne ausarbeiten kann. Abgerundet wird das ganze durch die Beschreibung mehrerer spektakulärer Kriminalfälle quer durch die Geschichte Londons, die wiederum Anhaltspunkte für eine Cthulhu-Kampagne darstellen können.
Kapitel 4: Als Spielercharakter in London Dieser Abschnitt ist relativ kurz ausgefallen, was aber nicht gleichzusetzen ist mit „schlecht“. Hier werden verschiedene mögliche Spielerkonzepte für die Epochen vorgestellt, wie z.B. der „Butler“ oder der „Consulting Detective“. Es wird auf die Feinheiten, sowohl vom Hintergrund wie auch von den Regeln her, eingegangen, so daß Spieler sich sehr schnell ein für ihren Geschmack zutreffendes Konzept erstellen können. Weiterhin werden die für eine Cthulhu-Kampagne sicherlich unerläßlichen Orte der Informationsbeschaffung näher beschrieben, seien es nun Bibliotheken, Buchhandlungen oder Zeitungen Auch wenn dieser Abschnitt nur knapp acht Seiten umfaßt, so ist er doch ein Quell von Informationen, da z.B. ein Großteil der Namen der zur damaligen Zeit vorhandenen Zeitschriften abgedruckt ist.
Kapitel 5: Okkultismus und Mythos in London Dieses Kapitel dürfte mit Sicherheit zu den wichtigsten Abschnitten für Spielleiter von Cthulhu-Kampagnen gehören, da hier die notwendigen Informationen geliefert werden, um in den Mythos in London einzutauchen. Leider ist hier der erste wichtige Kritikpunkt an diesem Buch zu nennen: Dieser Abschnitt ist meiner Ansicht nach viel zu kurz! Zwar werden die wichtigsten Organisationen wie etwa die Freimaurer oder die Theosophische Gesellschaft detailliert vorgestellt, aber die Beschreibung von nur zwei geheimen Kulten erscheint mir doch zu wenig. Zwar sind diese Beschreibungen bei beiden Kulten („Neue Bruderschaft der Dunkeln Mutter“ und „Clavea People“) äußerst umfangreich, jedoch hätte man sicherlich noch den einen oder anderen Anstoß für eine Kampagne geben können, wie es ansatzweise mit kleinen Hinweisen in den vorherigen Kapiteln geschehen ist. So hat man hier ein Kapitel, das man sicherlich sehr schnell verschlingt, aber am Ende doch ein wenig unbefriedigt ist, weil sicherlich mehr drin war. Ein kleiner Wermutstropfen an dieser Stelle.
Kapitel 6: Szenarien Hier werden zwei Abenteuer für Cthulhu in London dargeboten, wobei ich eines (Nebel der Wahrheit) als ganz hervorragend empfand, während das andere mir (Elwoods Kinder) nicht so ganz zusagte. Für alle Spieler sollte hier mit dem Lesen Schluß sein, da ich die Handlung beider Abenteuer jetzt kurz beschreiben werde. Vorher sei noch gesagt, daß beide Szenarien durch hervorragende Handouts und Beschreibungen glänzen, so daß für einen Spielleiter praktisch keine Wünsche offen bleiben.
Nebel der Wahrheit: In diesem Szenario werden die Spieler mit den Geschehnissen um Jack the Ripper konfrontiert, die sich hier aber einmal ganz anders darstellen. Denn bei dem Ripper handelt es sich um einen von den Freimaurern angeheuerten Mörder und bei seinen Opfern um von Dämonen geschwängerte Frauen. Das Abenteuer lebt davon, daß es die Spieler hier gleich mit zwei Organisationen zu tun haben: Auf der einen Seite mit den Freimaurern, die von keinem geringeren als Mycroft Holmes, dem älteren Bruder von Sherlock Holmes angeführt werden, und auf der anderen Seite einen geheimnisvollen Kult um den verrückten Arzt Dr. William Gull und dem uralten Mythosforscher J.M. Hoene-Wronski, die versuchen, Nachkommen der beiden Großen Alten Nug und Yeb, den blasphemischen Zwillingen, „herzustellen“, was ihnen auch einmal schon gelungen ist. So müssen sich die Spieler als Ermittler der Morde durch eine Vielzahl von Informationen kämpfen, nur um immer wieder Steine in den Weg gelegt zu bekommen, da die Freimaurer natürlich versuchen, den Hintergrund ihres angeheuerten und mittlerweile wahnsinnigen Mörders geheim zu halten. Ein insgesamt sehr spannendes Szenario mit verschiedenen möglichen Enden, daß meiner Ansicht nach ein hohes Maß an Spielspaß darstellen wird.
Elwoods Kinder: Ein eher durchschnittliches Abenteuer, in dem die Spieler eigentlich nichts weiter zu tun haben, als ganz London vor dem Untergang zu bewahren. Der Hintergrund basiert darauf, daß die Spieler ein Buch finden, in dem die Beschreibung eines Kindes von Abhoths zu finden ist. Dieses Wesen kann Menschen assimilieren, wobei es sich ständig vergrößert und die von ihm geschaffenen Wesen können dann weitere Menschen aufnehmen (das klassische „Schneeball-Prinzip“). Es beginnt nun ein Wettlauf mit der Zeit, da die Spieler herausfinden müssen, woher dieses Buch stammt und wo sie das Wesen bzw. die schon assimilierten Menschen finden können, um diese zu vernichten, bevor ganz London dem Untergang geweiht ist. Ich bin kein Freund von Abenteuern dieser Güteklasse, da sie im Endeffekt durchaus das Ende einer ganzen Kampagne bedeuten können, ohne das die Spieler wirklich etwas falsch gemacht haben. Die „technische“ Aufmachung des Abenteuers läßt keine Wünsche offen, doch der Hintergrund und der Ablauf sind nicht nach meinem Geschmack. Ein weiterer leichter Punktabzug.
Kapitel 7: Anhang Während in anderen Werken der Anhang nur ein unwichtiges Detail zum Gesamtwerk ist, so ist er hier ein letztes Highlight. Es werden mal eben die wichtigsten Geschehnisse in Großbritannien der Jahre von 1888 bis 1930 aufgeführt, sowie die wichtigsten Feiertag im Londoner Kalenderjahr erläutert. Auf mehreren Seiten werden die wichtigsten Adressen der unterschiedlichsten Händler, Organisationen, etc. abgedruckt sowie übersichtliche Preislisten über die nötigsten Dinge des Alltags abgebildet. Hinzu kommt noch das komplette Straßenverzeichnis von London, daß sich auf die im Buchdeckel abgedruckte Karte von London bezieht. Ein würdiger Abschluß eines herausragenden Werkes!
Fazit: Was soll ich anderes sagen als: Kauft es Euch! Dieses Werk enthält für den fast lächerlichen Preis von Euro 29,95 so viele Informationen, wie ich es in der Form noch nie in einem Quellenband gesehen habe. Ich denke, ich übertreibe hier nicht, wenn ich behaupte, daß man dieses Buch ruhig als Referenzwerk für andere Quellenbücher dieser Art nehmen kann. Zu beachten ist vor allen Dingen, daß ein Großteil der hier angebotenen Informationen auch in anderen Kampagnen verwendet werden können, die im London dieser Epochen spielen. Es gab leichte Abzüge meinerseits aufgrund des Abenteuers und es etwas kurzen Abhandelns des Mythos-Kapitels, aber ansonsten gibt es nichts, aber auch gar nichts auszusetzen. Fhtagn!
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