Links zur Rezension Einleitung und ProduktaufmachungDie zwei gestalterischen Grundsäulen der 4. Edition von D&D (im Folgenden kurz “4E”) bestehen bekanntlich aus einer Regel-Entschlackung der Vorgänger-Edition sowie dem erstmaligen Versuch, einen Teil des Spiels exklusiv über digitale Inhalte und „Tools“ zu vermitteln – dem D&D Insider (kurz „DDI“). Als Teil des DDI fungieren auch die klassischen Magazine Dragon und Dungeon, die im Zuge der Lizenzübernahme von 2007 (von Paizo zurück zu WotC) als Print-Medien eingestellt und digitalisiert wurden. 2009 brachte der Verlag dann erstmals eine Auswahl des Dragon-Magazins in Druckform heraus, ein Jahr später folgt nun Selbiges für das Dungeon-Magazin: das Dungeon Magazin Annual. (Die vorzügliche Rezension von Zechi zu Ersterem sei hiermit verlinkt.)
Das Buch ist ein schmuckes Hardcover in der gewohnten Aufmachung der 4E-Bücher aus dem Hause WotC: 160 Seiten, vollfarbig, stabiler Einband mit teilweise glänzendem Titelbild. Das Innere gliedert sich in eine knappe einseitige Einleitung und fünf Abenteuer – der Verlag hat bewußt darauf verzichtet, anderes Material aus dem Dungeon im vorliegenden Band abzudrucken, wie etwa Spielleitertipps und Regelerweiterungen (eine de facto Auswahl aus diesen Kategorien findet sich nämlich bereits im 2009 erschienenen Dungeon Master’s Guide 2). Gleich drei Lektoren hat der Verlag bemüht, die sich um die Auswahl und Einpflegung des Materials kümmerten. Jedoch mit gemischten Erfolg. Was sofort ins Auge fällt, ist, dass die Übersetzung vom vertikal (oder „Landscape“-)orientierten Bildschirmformat des digitalen Magazins in die klassisch horizontale (aufrechte) Seitenorientierung der 4E-Bücher sehr unlieb verlaufen ist. Sehr, sehr oft finden sich halb-leere Seiten und verirrte Absätze – das Layout wirkt hier lieblos. Auch die Druckqualität scheint etwas niedriger als in anderen 4E-Produkten zu sein, die ich in letzter Zeit rezensierte. Zuletzt kommen Schlampigkeitsfehler im Lektorat hinzu, wie das Vergessen der Information, für welche Stufen einzelne Abenteuer überhaupt vorgesehen sind (S. 60), oder eine fehlende Legende bzw. Nummerierung von Übersichtskarten (S. 133). Gruselig wird es, wenn der Verlag die Grundprämisse des sog. „Delve“-Formats über Bord wirft, zusammengehörige Informationen zu einer Begegnung auf sich gegenüberliegenden Seiten abzudrucken: Die Begegnungen von Seite 137 bis 152 liegen auf jeweils einer Vorder- und Rückseite, was bedeutet, dass man ständig vor und zurück blättern muss und umgekehrt (auf gegenüberliegenden Seiten) unzusammenhängende Informationen präsentiert bekommt. Das sind eindeutige Indizien dafür, dass der Verlag bei der Herstellung des Buches geschludert hat. Ich erwähne das vorweg, da meine Produktbewertungen in der Regel ausschließlich inhaltsbasiert sind.
Bevor ich nun zum Inhalt komme, eines vorweg. An tatsächlich neuen Inhalten sind nur einzelne „Sidebars“ hinzugekommen – in Summe geschätzte 4 Seiten. Auch an Karten- und Bildmaterial ist (soweit ich das richtig erkenne) nichts hinzugekommen. Man hat das Originalmaterial übernommen – DDI-Abonnenten haben insofern von vornherein keinen Grund, sich das Buch wegen Neuinhalten zu besorgen. Eine Anmerkung noch – anders als im Dragon-Annual kann kein einziger Eintrag des Bandes mehr von Nicht-DDI-Abonnenten herunter geladen werden. Dem Leser wird also tatsächlich (bisheriges) Exklusiv-Material angeboten. Damit zu den einzelnen Abenteuern. Inhalt (Achtung Spoiler!)Abenteuer 1: “Menace of the Icy Spire“ (Stufe 2) Das erste Abenteuer in der Sammlung versteht sich als Fortsetzung zum Forgotten Realms Campaign Guide, genauer zu Kapitel 1 um die Stadt Loudwater. Der Hexenmeister Draigdurroch (vgl. ebd. S. 28) hat in seinem Turm über gefährliche magische Experimente den Argwohn des Feywilds auf sich gezogen – dessen Bewohner versehen den Turm nun mit einer dicken Eisschicht, um diesem Treiben Einhalt zu gebieten. Was weiter nicht schlimm wäre, nur greift das ungewöhnliche Phänomen des Eis-Turms um sich und verursacht langsam, aber sicher eine zunehmende Winterlandschaft in der Umgebung, deren Anzeichen bis nach Loudwater vordringen. Dort lauern auch schon die aus dem genannten Kampagnenband bekannten NSCs wie Lady Moonfire, um die SC auf die Reise zum Turm zu schicken. Am Turm selbst lauern eine Menge Kreaturen, Fallen und Rätsel. Das Abenteuer ist so konzipiert, dass man es in einer gängigen LFR-Sitzung von vier Stunden spielen kann – deshalb gibt es auch Tipps für den schnellen Einstieg. Obwohl sehr einfach gestrickt, halte ich das Abenteuer für recht solide, und die Frostgoblins als neue Kreaturen werden einen (erst mal) bleibenden Eindruck bei den Spielern hinterlassen. Einzig das Kartenmaterial zu diesem Abenteuer – es stammt von Kyle Hunter – ist unter aller Kanone. Da bekomme ich ja mit Paintbrush schönere Karten hin.
Abenteuer 2: “Winter of the Witch“ (Stufe 22) Ein episches Abenteuer um die Hexengöttin Baba Yaga, die bei D&D schon seit AD&D-Zeiten eine klassische hochstufige Gegnerin ist. Allein Abenteuerautor Stephen Radney-MacFarland war sich unsicher, ob er dem Klassiker gerecht werden würde, und hat die Antagonistin deshalb kurzerhand in „Koliada, die Winterhexe“ umbenannt, eine Figur aus der slawischen Mythologie (vgl. Sidebar S. 32). Im Gegenzug werden Old-School-Elemente wie die „Maschine des Lum“ eingestreut – eine eigenwillige, komplexe Falle aus der AD&D-Ära (Seite 46). Die Geschichte des Abenteuers hat starke Anklänge an Narnia – eine pöse, weißhäutige Hexe möchte das blühende Land in ewigen Winter verwandeln, da braucht es mutige Helden, die der Hexe den Gar aus machen. Tatsächlich ist aber die Handlungsentwicklung deutlich komplexer, als man es von 4E-Abenteuern gewohnt ist. Zunächst einmal werden die SC von einem „falschen“ untoten Ritter, einem Doppelgänger von (aus Abenteuer „H1 Keep on the Shadowfell“ bekannten) Sir Keegan, angeheuert und auf eine völlig falsche Fährte in das Shadowfell geschickt – genauer, in die Schattenstadt Gloomwrought. Erst wenn die SC den Schwindel aufdecken, geraten sie ins eigene Abenteuer – und zum letztlichen Showdown auf der Schneeburg der Hexe, die (wie könnte es anders sein) einen weißen Drachen reitet. Mehr noch, die Schwierigkeit des Abenteuers, und die Folgen dessen Ausganges auf die Welt der SC, ist stark vom Vorgehen der SC abhängig (siehe S. 29) – etwas, das ich dem Abenteuer hoch anrechne, da zu viele Abenteuer für die 4E extrem linear sind, ihre Handlung sich auf Biegen und Brechen stupide herab spult, egal welche Entscheidungen die Spieler treffen oder wie intelligent diese Entscheidungen sind. An neuen Monstern winken die Frosttrolle und der Schicksalsengel – nichts allzu Aufregendes. Auch ist das Abenteuer (wohl aufgrund des epischen Plots) für mich ein bisschen zu lang geraten, die Anzahl der Begegnungen etwas zu hoch – das tut dem Abenteuertempo Abbruch. Fraglich ist sicher auch, warum das Abenteuer thematisch so stark an das erste in der Sammlung anschließt (der Winter greift um sich – schon wieder?). Zu vermerken ist noch mal, dass der eigentliche (für D&D klassisch gewordene) Inhalt um Baba Yaga ausgespart wurde – eigentlich ein Armutszeugnis für den Verlag. Da hat der vormalige Lizenznehmer Paizo unlängst mit der Stadtbeschreibung von „Whitethrone“ in Cities of Golarion abermals unter Beweis gestellt, dass sie mit „D&D Lore“ wie Baba Yaga einfach gekonnter und reifer umgehen können.
Abenteuer 3: “Throne of the Stone-Skinned King“ (Stufe 15) Das deutlich längste Abenteuer im Buch (50 Seiten!) entstammt dem „Scales of War“-Adventure Path. Ich hatte diesem Adventure Path nach dessen verkorkstem Anfang keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt und wurde dementsprechend vom Metaplot dieses Auszugsabenteuers überfahren. „Before beginning their attacks, the githyanki built a network of allies across many planes.“ - so lautet der erste Satz im Abenteuertext. Er wird in der Folge auch nicht mehr erläutert. Aha. Also wird vorausgesetzt, dass die Leser mit dem Metaplot des Abenteuerpfades und den (auch für den Leser: geheimen) Plänen der Githyanki vertraut sind. Dem Internet und der Fangemeinde sei gedankt – einen Klick später wusste ich Bescheid, was die Githyanki in der SoW-Kampagne vorhaben. Es geht munter im Abenteuer weiter: „The PCs return to Sayre from Nefelus, bearing the Seed of Winter.“ Häh? Sayre? Nefelus? Seed of Winter? Wer oder was bitte ist das? Und so geht das weiter. Lauter Bezüge zu den Vorgängerabenteuern aus der Serie, die einem Neuleser wie mir völlig unzugänglich sind (und mit Links wie dem eben genannten nur bedingt nachvollziehbar werden). Anstatt diesem Missverhältnis abzuhelfen und kurze erklärende Sidebars für Neulinge einzustreuen, ergießt sich der Autor lieber in großen Ausführungen dazu, wie man den Metaplot der Kampagne noch weiter ausbauen kann (S. 62, S. 64) – hier wird der Text also noch voraussetzungsreicher. Als das Abenteuer dann auf S. 70 auch noch einen den SC „alt bekannten“ NSC namens Bram einführt (vgl. auch Sidebars auf S. 93) und beim Spielleiter voraussetzt, dass er (und seine Spieler) wissen, mit wem sie es hier zu tun haben, war bei mir der Geduldsfaden gerissen. Die restlichen 40 Seiten an Abenteuerinhalt sind schön präsentiert – gerade das Kartenmaterial ist ansprechend –, aber die brachiale Darbietung bedeutet, dass das Material in seiner Gesamtdarstellung für Leser unbrauchbar ist, die den DDI nicht schon ohnehin abonniert haben und den Abenteuerpfad seit Monaten verfolgen.
Abenteuer 4: “Storm Tower“ (Stufe 3) Dieses Abenteuer ist eine überarbeitete Version dessen, was WotC-Abenteuer-Autor Chris Perkins mit den Künstlern von PennyArcade und StarTrek-„Star“ Wil Wheaton im berühmt-berüchtigten D&D-Podcast von 2008/2009 gespielt hat. Das Abenteuer ist äußerst einfach gestrickt: Die Gelbschädel-Banditenbande hat sich im Sturm-Turm einquartiert, man soll den Banditen das Handwerk legen. Die eigentliche Qualität des Abenteuers liegt im humoristischen Potenzial, die die bewusst einfach gehaltene Rahmenhandlung und die eigenwilligen NSCs hergeben. Die Illustrationen zum Abenteuer sind fast sämtlich aus der Hand von PennyArcade-Zeichner Mike Krahulik und wissen in diesem Kontext zu gefallen. Wer den PodCast verfolgt hat, wird mit dem gebotenen Inhalt sofort vertraut sein. Das halte ich dem Abenteuer aber zugute, denn der Wiedererkennungswert (gerade bei den Vorlesetexten) ist eine zusätzliche Freude. Zudem hatte ich bei den (neuen) Anmerkungen von Chris Perkins das erste Mal im Buch den Eindruck, dass die dazugekommenen „Sidebars“ auch wertvolle Informationen enthalten können. Nicht nur lässt Perkins erfrischend ehrlich durchblicken, dass das Abenteuer seine eigenen Mindestansprüche an D&D-Abenteuer nicht erfüllt (eine bedenklich stimmende, aber absolut zutreffende Aussage, zu der auch andere Abenteuer-Autoren bei WotC seit 4E-Zeiten stehen könnten), er erklärt auch seine Beweggründe zur Gestaltung einzelner Elemente im Abenteuer und wie man an diesen weiter herum feilen könnte. Praktisch ist sicher auch, dass sich das ganze Abenteuer um den Sturmturm über bestehende Dungeon-Tiles spielen lässt.
Abenteuer 5: “The Forge Complex“ (Stufe 7) Ein Eberron-Abenteuer, das nahtlos an das Kaufabenteuer „Seekers of the Ashencrown“ anschließt. Abermals gilt es, den Goblins der Bladebearers das Handwerk zu legen. Diese haben sich die Naivität einer Agentin aus dem Hause Cannith zunutze gemacht, die eine stillgelegte arkane Schmelze im ehemaligen Klageland wieder anwerfen möchte. Dumm nur, dass in der Schmelze ein kriegsgeschmiedeter Drache wartet und dass die (Hob)goblins der Bladebearers die naive Dame bald hereinlegen werden. Die SC kommen auf die Schmelze erst zu einem späteren Zeitpunkt, als die Goblins den Betrieb bereits aufgenommen haben. Der Rest des Abenteuers ist ein reinrassiger Dungeon-Crawl, in dem es einiges zu erschlagen, Rätsel zu lösen, Fallen zu überwinden und (wenn gewollt) mit einzelnen NSCs in Wortgefechte zu verfallen gilt. Die Hintergrundgeschichte (ausführlich auf S. 130-131) ist für 4E-Verhältnisse äußerst komplex, fast schon zu komplex, wird aber über die diversen NSCs sehr gut in die eigentliche Abenteuerhandlung vor Ort eingewoben. Die neuen Monster – nur halbfertige Kriegsgeschmiedete, deren metallenes Gesicht teilweise mit Fleisch überzogen ist (ganz klar eine Anspielung auf „Terminator 1“, vgl. auch Bild auf S.134) – werten das Abenteuer zusätzlich auf. Völlig verwirrend fand ich hingegen die Kartographie des Abenteuers. Nicht nur fehlt die Raumnummerierung in der Übersichtskarte (auf S. 133), mir ist auch nach mehrmaligem Durchlesen unklar, wie die SC von der oberen in die untere Ebene des Gewölbes kommen sollen – wurde hier eine Treppe vergessen? Damit zur Bewertung. Fazit: Bewertung des ProduktesDie Grundidee des Bandes, ausschließlich Abenteuer zu präsentieren, war sicher goldrichtig. Mehr noch, durch das Format der Abenteuer besteht ja prinzipiell die Möglichkeit für den Verlag, Kaufabenteuer in einer etwas aufgelockerteren Version darzureichen, als es bei bisherigen 4E-Kaufabenteuern der Fall war. Zum Teil erfüllt der Band auch diesen Anspruch, und es gibt bei Abenteuer 2 und 5 deutlich mehr Raum für Hintergrundmaterialien und NSC-Profile als bei einfachen „Delve“-Abenteuern. Auch die Auswahl weiß prinzipiell zu überzeugen – man wollte vom untersten bis zum epischen Stufenbereich alles bedienen, wollte je ein Abenteuer für die zwei offiziell unterstützten Settings (Vergessene Reiche und Eberron) anbieten und abschließend etwas aus dem wichtigen „Scales of War“-Abenteuerpfad abdrucken. Die Ausführung scheitert jedoch immer wieder im Detail. Wie schon in der Einleitung erwähnt, macht es das undurchdachte Layout dem Leser unnötig schwer, die Abenteuer nachzuvollziehen (schlampige Karten, Begegnungen nicht auf gegenüberliegenden Seiten zusammengefasst). Erschwerend kommt hinzu, dass das deutlich längste Abenteuer im Buch – Abenteuer 3 mit 50 Seiten – für Nicht-DDI-Abonnenten inhaltlich völlig unzugänglich und damit für diese Leser zu 90% unbrauchbar ist. Auch das wirkt reichlich undurchdacht und schlampig. Wirklich empfehlen kann ich den Band daher nicht. Für Leute wie mich, die den DDI nicht abonnieren und über den vorliegenden Band einfach mal überprüfen wollten, wie hochqualitativ die Abenteuerinhalte darin momentan sind, war der Eindruck ernüchternd. Auch wenn die Abenteuer mitunter zu gefallen wissen, kann kein einziges aus dieser „Best Of“-Sammlung auch nur annähernd an den Durchschnitt (geschweige an die Höhen) aus der D&D-3.5-Ära des Magazins anschließen. Der Verlag ist sich dieser Schwächen bewußt, und Autor Rodney Thompson hat unlängst auf diversen englischen Foren den Aufruf gestartet, ihm bei der Verbesserung von 4E-Abenteuern behilflich zu sein. Hoffen wir, dass das Magazin in den nächsten Jahren wieder zu seiner Hochform findet. |
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