InhaltBurning Wheel ist das wohl erfolgreichste Indie-Rollenspiel auf dem Markt. Es überzeugt mit innovativen Ideen und konsequent zu Ende gedachten Regelmechanismen. Gleichzeitig stellt es hohe Anforderungen an die Spieler und den Spielleiter. Diese Rezension basiert auf meinen Erfahrungen mit dem Regelwerk und konzentriert sich darauf, wie sich Burning Wheel am heimischen Wohnzimmertisch schlägt. Wer mehr über die konkreten Regeln erfahren will, sollte zusätzlich Patricks Rezension zum selben Produkt hier im Gate lesen (Link siehe Kasten auf der rechten Seite).
Vor etwas mehr als einem Jahr machte ich auf dem GateCon 2008 in Eschwege Bekanntschaft mit dem Rollenspielsystem Burning Wheel, das Patrick auf dem besagten Forentreffen im Rahmen einer Demorunde vorstellte. Das Spiel war dynamisch, frei, spannend und ungemein unterhaltsam. Ich hatte die Rolle des jungen Elfenprinzen Finrir übernommen, der seinen zwergischen Kollegen Vost in dessen Festung besuchen, ihm zur Thronbesteigung gratulieren und ein Bündnis zwischen den beiden Völkern aushandeln sollte. All dies wäre, bedenkt man die latente Abneigung zwischen Elf und Zwerg, schon schwer genug gewesen. Aber natürlich musste mein schusseliger Berater auch noch das Gastgeschenk zu Hause liegen lassen. Ein schwerer Affront gegen die zwergische Gastfreundschaft. Trotzdem war auch dieser Fauxpas nur die sprichwörtliche Spitze des Eisberges, denn es stellte sich heraus, dass mein Entourage ihre eigenen Ziele verfolgten und auch die Berater des Zwergenprinzen nicht daran dachten, auf die Weisungen ihres jungen und unerfahrenen Herrschers zu hören. Die Situation schaukelte sich also nach und nach immer weiter hoch und endete schließlich in einem absolut filmreifen tarrantinoesquen Blutbad.
Diese Demorunde war jedenfalls so beeindruckend, dass ich mir dieses Rollenspiel kurzer Hand selbst zulegte, um es mit meiner Runde zu spielen. Der erste Eindruck nach der Lektüre des ca. 300 Seiten umfassenden Grundregelwerkes war jedoch eher ernüchternd, denn Burning Wheel entpuppte sich als ein sehr komplexes Spiel mit sehr umfangreichen Regeln. Diese wirkten beim Lesen zwar innovativ, hervorragend durchdacht und auf erfrischende Weise eigenständig im Vergleich mit traditionellen Rollenspielen wie D&D oder DSA, jedoch befürchtete ich, dass meine Spieler sich von der Regelflut überfordert sehen könnten. Burning Wheel richtet sich definitiv nicht an Casual Gamer, und genau dieser Gattung gehören meine Mitspieler zum größten Teil an. Also wanderte das Regelwerk wieder ins Bücherregal und teilte dort für Monate das Schicksal der vielen Rollenspielbücher, die ich gekauft, gelesen und nie genutzt hatte.
Letzten Endes drängten aber meine Spieler nach einer – aus meiner Sicht eher misslungenen Demorunde – darauf, eine Kampagne zu starten, und so trafen wir uns doch irgendwann alle, um zunächst die Grundparameter unserer Spielwelt abzustecken und anschließend Charaktere zu erschaffen. Letzteres stellte sich dann auch schon als erste Hürde heraus und deutete auf eine Erkenntnis, die beim Leiten wirklich deutlich zu Tage trat: Burning Wheel eignet sich nicht gut für große Gruppen. Es mag meiner noch eher geringen Erfahrung mit dem System geschuldet sein, jedoch empfand ich schon eine Gruppe von vier Spielern als tendenziell zu groß oder zumindest an der Grenze des Machbaren.
Dennoch haben wir es wie gesagt geschafft, Charaktere zu erstellen und haben nun inzwischen auch schon eine ganze Reihe von Spielabenden hinter uns, so dass ich nun endlich guten Gewissens diese Rezension auf Basis praktischer Spielerfahrung verfassen kann. Bei der Gestaltung unserer Kampagne folgten wir den Beispielen aus den offiziellen Diskussionsforen auf der Burning-Wheel-Webseite und gestalteten die Handlung völlig frei: Es gab keinen Plot, den ich mir als Spielleiter im Vorfeld ausgedacht hätte. Stattdessen legten die Spieler Ziele und Prioritäten für ihre Charaktere fest, sie gaben ihnen Gewohnheiten und Überzeugungen, die miteinander in Konflikt standen und sie untereinander zu einer Gruppe verbanden. Auf Grund dieser Motivationen dachte ich mir dann jeweils eine Anfangsszene (einen so genannten „Kicker“) aus, in welcher einer oder mehrere SC auf Grund ihrer Überzeugungen bei den Hörnern gepackt und zum Handeln gezwungen wurden. Alles, was danach geschah, war in keiner Weise geplant und entwickelte sich völlig frei daraus, dass die Spielercharaktere durch konkrete Aktionen versuchten, ihre jeweiligen Ziele oder Standpunkte durchzusetzen. Diese Aktionen wurden dann durch Proben auf Eigenschaften und Fertigkeiten aufgelöst, wobei in Burning Wheel der Spieler festlegt, welche Konsequenzen ein Erfolg hat, während ihn der Spielleiter über die Folgen eines Scheiterns in Kenntnis setzt. Letzteres ist deswegen interessant, weil der SL dazu verpflichtet ist, eine Fehlschlagskonsequenz zu präsentieren, die zwar (vorläufig) den Spieler daran hindert, seine Ziele zu erreichen, das Spiel dadurch aber nicht in eine Sackgasse manövriert, sondern, im Gegenteil, neue Komplikationen, Herausforderungen und damit eine unerwartete dramatische Wendung mit sich bringt und so die gemeinsam geschaffene Erzählung in eine neue Richtung treibt.
Dieser sehr freie Spielstil, der von den Regeln wenn schon nicht forciert, dann doch zumindest stark empfohlen wird, unterscheidet sich zumindest aus der Sicht des Spielleiters stark von „traditionellem“ Rollenspiel. Zunächst sei gesagt, dass dieses freie, auf Improvisation basierende Spiel tatsächlich sehr gut funktioniert – besser als ich es selbst für möglich gehalten hätte. Burning Wheel unterstützt dieses freie Spiel auf zwei Arten: Einerseits sind (Nichtspieler-)Charaktere ausreichend einfach aufgebaut, um sie bzw. ihre für die jeweilige Situation relevanten Spielwerte aus dem Stegreif zu erschaffen (das ist ja schon mal unabdingbar notwendig, um überhaupt Improvisieren zu können). Andererseits verfügt das Spiel über Regeln bzw. Richtlinien, welche darauf abzielen, dass beim Spielen tatsächlich eine spannende Geschichte entsteht, in der die Spielercharaktere die Hauptfiguren sind. Diese Konzepte sind wohl die wirkliche Innovation an Burning Wheel und sie umfassend zu erklären, wäre nicht ganz einfach. Ich verweise dazu an dieser Stelle auf meinen Artikel „Charaktergetriebenes Rollenspiel“ (Link siehe Kasten auf der rechten Seite), indem es um die Ideen geht, die in Burning Wheel umgesetzt wurden.
Wer diesen Artikel nicht lesen will, der muss sich mit einer abstrakten Erklärung zufrieden geben: Burning Wheel verfügt über Mechanismen zur Plotgenerierung, die man sich ähnlich einer mathematischen Funktion vorstellen kann: Man parametriert sie mit den Spielercharakteren, ihren Zielen, Wünschen, Überzeugungen und Eigenheiten, und erhält als Ergebnis eine (keineswegs völlig banale) Erzählung inklusive unerwarteter Wendungen und spannender Konflikte. Von einer mathematischen Funktion unterscheidet sich das System natürlich einmal darin, dass es weniger exakt ist und jede Menge Raum für Interpretation lässt, und außerdem auch dadurch, dass die Funktion durch die Zufallskomponente namens Würfelprobe eine Black Box ist – man startet sie mit einer initialen Eingabe, das Ergebnis ist aber für alle Beteiligten zunächst nicht vorhersehbar – und dadurch ist das Verfolgen der sich entwickelnden Geschichte für den Spielleiter ebenso spannend wie für die Spieler, weil er nämlich tatsächlich auch nicht weiß, was ihn erwartet. Außerdem braucht ein Burning Wheel Spielleiter kaum Zeit zur Vorbereitung: Fünfzehn Minuten reichen in aller Regel völlig, um sich ein paar Notizen auf einen Zettel zu schreiben, mit denen man problemlos über den Abend kommen sollte.
Natürlich hat aber auch diese Medaille zwei Seiten, und der Preis des freien Spiels ist in diesem Fall der Anspruch, den das System an alle Mitspieler stellt. Burning Wheel ist ein Spiel, das hohe Konzentration und eine gewisse Disziplin beim Spielen erfordert – nicht dahingehend, dass man das Spiel mit besonders großer Ernsthaftigkeit angehen müsste, sondern einfach dahingehend, dass die Spieler einerseits ihre Charaktere proaktiv handeln lassen müssen, um so den Plot gemäß ihrer Ziele und Überzeugungen zu gestalten. Der Spielleiter muss seinerseits vor allem gute Interpretationen für fehlgeschlagene Würfelproben improvisieren, um die Geschichte nicht zum Stillstand kommen zu lassen und er sollte selbst auch die Ziele, Angewohnheiten und Glaubenssätze der SC im Blick behalten, um im Zweifelsfall diese aufgreifen zu können und so Situationen zu präsentieren, in denen eben diese Spielercharakter-Prioritäten zu Konflikten führen, die für Spannung sorgen (solche Situationen bezeichnet man im Forge-Slang auch als „Bangs“).
Nach meiner bisherigen Erfahrung ist eine Runde Burning Wheel deswegen nicht unbedingt entspannend, sondern eher anstrengend und besonders als Anfänger hat man unter dem Spielleiter-Hut nach maximal drei oder vier Stunden die Grenze der geistigen Belastbarkeit erreicht – mangelnde Konzentration und Müdigkeit sind sehr gute Gründe, einen Spielabend zu beenden, da man sonst Gefahr läuft, mit der fortwährenden Interpretation von Würfelergebnissen und der Improvisation des weiteren Handlungsverlaufs überfordert zu sein und somit abstruse oder gar unlogische Wendungen in die Erzählung einzubringen, und sie dadurch unglaubwürdig zu machen.
Fazit:Insgesamt ist Burning Wheel ein hervorragendes Rollenspiel mit einem hohen Anspruch, das für weniger erfahrene Rollenspieler nur sehr bedingt zu empfehlen ist – zumindest ein oder zwei „Major Geeks“ mit einigen Jahren Erfahrung mit dem Hobby sollte man schon in der Gruppe haben, um ein halbwegs flüssiges Spiel zu gewährleisten – und auch dann spielt man Burning Wheel nicht wirklich „nebenher“, während man sich gleichzeitig über die aktuellen Bundesliga-Ergebnisse unterhält oder während des Spiels Regeln nachliest. Ein Benutzer der offiziellen Diskussionsforen hat es für meine Begriffe sehr passend charakterisiert: „Burning Wheel – Not a fucking ‚light’ game since 2002“. Wenn man sich darauf einlassen möchte, bekommt man allerdings ein Spiel, das mit innovativen Ideen aufwarten kann, die gleichzeitig so gut durchdacht sind und am Spieltisch dann auch tatsächlich so gut funktionieren, dass man nicht glauben möchte, dass dieses unheimlich reife Regelsystem in gerade einmal sieben Jahren von einem einzigen Spieldesigner entwickelt wurde. Burning Wheel ist ein intelligentes Spiel, was nicht von ungefähr kommt, denn so findet man z.B. im Quellenverzeichnis unter anderem Niccolo Machiavellis „Der Fürst“ (und wer dieses Werk gelesen hat, der wird auch erkennen, an welcher Stelle es die Gestaltung des Regelwerks beeinflusst hat) – zum Glück ist Burning Wheel aber nicht nur intelligent, es macht trotz (oder wegen) des hohen Anspruchs auch eine Menge Spaß. Mir persönlich wird es zwar die entspannte Verlieserkundung mit Bier und Brezeln auf Dauer nicht völlig ersetzen können, allerdings bietet es eine willkommene Abwechslung und wird mit Sicherheit auch Einfluss darauf haben, wie ich meine nächste D&D-Kampagne angehen werde.
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